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Menschen sonnen sich am Strand

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In „Jesolo“ schildert Tanja Raich neun Monate voller Kompromisse

Im Italienurlaub wird Andrea ungeplant schwanger. Ihr Lebensgefährte ist überglücklich. Tanja Raich schildert in ihrem Debütroman, wie die Protagonistin in die Rolle der Mutter gedrängt wird und die eigene Freiheit immer weiter aufgibt.

Von Lena Raffetseder

Andrea und Georg machen Urlaub in Jesolo. Schon wieder. Die Beziehung ist eintönig, der Urlaub auch. Die beiden haben sich voneinander distanziert und wollen längst verschiedene Dinge. Georg will, dass Andrea zu ihm und seinen Eltern zieht. Er will Kinder. Sie will ihr Leben weiterleben, wie es ist. So kann es eigentlich nicht weitergehen. Doch dann merkt Andrea, dass sie schwanger ist.

Mit dem Kredit haben wir uns verpflichtet. Mit deinem Haus schlagen wir Wurzeln.

Das ist Kapitel 0. Jedem Schwangerschaftsmonat widmet Autorin Tanja Raich ein Kapitel. Aber es ist nicht der schöne Prozess der Mutterwerdung. Andrea kämpft gegen das traditionelle Bild an, getrieben von der heftigen Erfahrung, nicht mehr als eigene Person wahrgenommen zu werden.

Tanja Raich

Kurt Fleisch

Tanja Raich liest am 26. März in der Buchhandlung Morawa in Hartberg, am 27. in Graz bei der Präsentation der Lichtungen „Literatur aus Südtirol“, am 29. beim Literaturfestival Wortspiele in Wien, am 4. April beim Prosafestival in Innsbruck und am 11. in der Buchhandlung Lerchenfeld in Wien.

Doch Andrea geht einen Kompromiss nach dem anderen Kompromiss ein. Grenzen, die sie sich selbst einmal gesetzt hat, werden aufgeweicht, die eigene Freiheit aufgegeben. Autorin Raich sagt, positive Geschichten würden sie nicht interessieren: „Mich hat schon die Veränderung interessiert, also eine unabhängige Frau, die ihre Bedürfnisse hat, die weiß, was sie will, und dann kommt die Schwangerschaft, die so vieles verändert, und es werden Entscheidungen getroffen, die man so nie treffen würde.“

Mit diesem Kind führen wir genau dieses Leben, das alle hier führen. (...) Mit denen man über das Wetter spricht, weil man über Politik und Religion nicht spricht.

Buchcover: Strand mit vielen bunten Schirmen

Blessing Verlag

„Jesolo“ von Tanja Raich ist im Blessing Verlag erschienen.

Der Widerstand der Protagonistin wird schwächer, der Zwang in die Mutterrolle stärker. Andrea bleibt oft passiv und tut Dinge, die für Lesende nur schwer erträglich sind. Der Druck aus dem Umfeld wird enorm. Je weiter die Schwangerschaft fortschreitet, desto hoffnungsloser wird die Protagonistin: Sie gibt die eigene Wohnung auf, ihren Job wird sie nicht wiederbekommen und die Schwiegermutter ist ständig bei ihr.

Dazu kommt der innere Kampf, weil Andrea einfach kein Kind will. Man muss nicht schwanger sein, um diesen Druck zu verstehen. Viele Frauen müssen sich die Frage nach dem Kinderwunsch ab einem gewissen Alter immer wieder anhören.

„Alles kreist irgendwann nur mehr um dieses ‚Gebären‘ und es gibt einfach kein anderes Thema mehr“, sagt Tanja Raich. Die Südtirolerin hat einen Debütroman mit feministischer Botschaft geschrieben. Unabsichtlich: „Du kannst nicht anfangen und denken, so jetzt schreib ich einen feministischen Roman, das kann nur in die Hose gehen. Mir ist es immer wichtig, in meinen Texten eine Ambivalenz zu zeigen.“

Das ist, was es heißt, hierzubleiben: Wir fügen uns ein. Wir fallen nicht auf. Wir haben: 1 Haus, 2 Autos, 1 Kind.

Zehn Monate im Leben dieser Frau. Je weiter die Schwangerschaft fortschreitet, desto bedrückender werden die Schilderungen. Man will wissen, wie es Andrea mit dem Kind gehen wird. Die interessante Prämisse des Romans, in Kapiteln von 0 bis 9 nur die Schwangerschaft zu behandeln, bedeutet aber, dass genau diese Frage unbeantwortet bleibt. Mit der Geburt endet der Roman abrupt. Die surrealen Elemente lassen genug Interpretation zu. „Ein Roman ist ja dazu da anzuregen, auch die Fantasie anzuregen und jeder muss sich sein eigenes Ende darin finden“, sagt Tanja Raich.

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