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Erich Moechel

Kollateralschäden der Copyrightrichtlinie kündigen sich an

Die absichtlich schwammig formulierten Schlüsselpassagen in der neuen Copyright-Richtlinie werden zu völlig unterschiedlichen nationalen Umsetzungen führen. Bis dahin herrscht zwei Jahre lang Rechtsunsicherheit im Netz.

von Erich Moechel

Nach der Entscheidung des EU-Parlaments, die Copyright-Richtlinie samt Upload-Filtern und „Leistungsschutzabgaben“ mit knapper Mehrheit durchzuwinken, zeichnen sich einige Kollateralschäden bereits klar ab. EU-weit wird kein Unternehmen in den nächsten beiden Jahren in Webservices investieren, bei denen öffentliche Interaktionen der Benutzer eine maßgebliche Rolle spielen.

Die Kontroverse und die dadurch erzeugte Rechtsunsicherheit um automatische Filterung, die das EU-Parlament entzweit hat, wird sich nun auf die Umsetzung in den nationalen Gesetzgebungen in 27 Staaten verlagern. Und weil Schlüsselpassagen wie Artikel 17 („Upload-Filter“) im Text mit Bedacht schwammig formuliert wurden, lädt das die Mitgliedsstaaten zu freien Interpretationen in der nationalen Umsetzung förmlich ein.

Abstimmungsergebnisse

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Die entscheidende Abstimmung, ob über die umstrittenen Artikel 11 und 17 (vorher 13) noch einmal abgestimmt werden würde, ging denkbar knapp gegen eine solche Abstimmung aus. Es gab gerade einmal fünf Stimmen Unterschied.

Die Parallelen zur Vorratsdatenspeicherung

Genauso war es der ebenso umstrittenen EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ergangen. Um eine Parlamentsmehrheit für diese kontroversielle Richtlinie zu kriegen, mussten Eckwerte wie Speicherdauer, Art und Umfang der Datensätze großzügig „von - bis“ definiert werden. Kurz bevor die gesamte Maßnahme wegen Grundrechtswidrigkeit vom EU-Gerichsthof (EUGh) annulliert worden war, hatte EU-Europa in dieser Hinsicht wie ein juristischer Fleckerlteppich ausgehen: in jedem Mitgliedsstaat ein anderes Gesetz.

Die Annullierung der Vorratsdatenspeicherung durch den (EUGh) ist auch der Grund, warum das ursprünglich enthaltene Wort „Filter“ wieder aus dem Text der Coypright-Richtlinie entfernt und durch schwammige Paraphrasen ersetzt wurde. Die Vorratsdatsdatenspeicherung wurde nämlich abgelehnt, weil sie die verdachtsunabhängige Verarbeitung und Speicherung der Kommunikationsdaten aller Teilnehmer erfülle. Eine Totalüberwachung aber verstoße gegen die EU-Charta und andere internationale Verträge, so der EUGh damals.

Warum das Wort „Filter“ nicht enthalten ist

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„Zeichen bei der EU-Wahl setzen“ - die Reaktionen führender Youtuber aus Österreich auf die Verabschiedung der Richtlinie

Mit expliziten Verweisen auf „Filtersysteme“ hätte die Copyright-Richtlinie eine solche „verdachtsunabhängige Verarbeitung der Kommunikationsdaten aller Teilnehmer" verlangt. Die Auflagen der Copyright-Richtlinie wurden dann freilich so formuliert, dass sie nur durch genauso eine verdachtsunabhängige Verarbeitung von Kommunikationsdaten aller Teilnehmer“ erfüllt werden können. Was nun die möglichen nationalen Umsetzungen betrifft, so entspricht dem „von-bis“ der Vorratdatenspeicherung die wolkige Umschreibung der Filter samt einer Reihe von einander widersprechenden Passagen im Text der Copyright-Richtlinie.

Public Artikel

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Aus der Copyright-Richtlinie, Artikel 17/4. Wenn von den Rechteinhabern keine Lizenz erteilt wird, dann muss gefiltert werden. Die Filter werden als Maßnahme umschrieben, um „die Nichtverfügbarkeit bestimmter Werke nach hohen Industriestandards professioneller Sorgsamkeit sicherzustellen“.

Was in Europa nun passieren wird

Wer die EU-Abläufe ein wenig kennt, weiß schon in etwa, was bei der Umsetzung dieser Richtlinie passieren wird, ein Blick auf das Abstimmungsverhalten dazu ist ziemlich aufschlussreich: Die konservativen Abgeordneten der Fraktionen EVP und EKR aus Schweden, Polen und Tschechien hatten fast geschlossen für Änderungsanträge gestimmt. Davor waren diese Staaten sowie die Niederlande und Luxemburg, die eigene Internet-Industrien aufbauen wollen bzw. wie Schweden mit Spotify sogar einen Weltmarkführer haben, bereits im Ministerrat gegen die geplanten Filter aufgetreten und überstimmt worden.

Am Samstag hatten um die 200.000 vor allem junge Menschen in Deutschland, Polen, Techechien, Österreich und anderen EU-Staaten gegen Upload-Filter demonstriert

Es ist an den Fingern einer Hand abzuzählen, dass diese Staaten die Richtlinie so weit wie möglich in ihrem Sinne umsetzen werden. Der Richtlinientext - siehe oben - kommt ihnen dabei weit entgegen, denn „die nicht Nichtverfügbarkeit bestimmter Werke nach den hohen Industriestandards professioneller Sorgsamkeit sicherzustellen“, lässt sich ziemlich beliebig interpretieren. Da alle EU-Staaten um Start-Ups und Internetkonzerne konkurrieren, wird die jeweilige nationale Umsetzung dieser Richtlinie bei der Ansiedlung der Firmen eine maßgebliche Rolle spielen.

Abstimmungsergebnisse

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Das offizielle Endergebnis nach den im EU-Parlament vertretenen Fraktionen heruntergebrochen, die Grafik stammt von MEP Julia Reda (Piraten/Grüne), die im Mai nicht mehr für das EU-Parlament kandidieren wird.

Wie Start-Ups gegen Gas verkauft wurden

Das Ausmaß der Proteste hatte sich schon vor zwei Wochen abgezeichnet. Nachdem die Gegner von der Kommission als „Mob“ und „Bots“ beschimpft worden waren, kam es in mehreren deutschen Städten zu spontanen Protestkundgebungen mit tausenden Teilnehmern.

In der Nacht auf Dienstag kam ausgerechnet die „Frankfurter Allgemeine“ mit einem Aufdeckerartikel darüber heraus, wie Kanzleramtsminister Peter Altmaier die Interessen der deutschen Internetindustrie angeblich verkauft hatte. Kurz davor hatte Altmaier den besorgten IT-Unternehmern öffentlich versprochen, dass er die Ausnahmeregelungen von „Leistungsschutz“-Zahlungen und Uploadfiltern für kleinere IT-Firmen aus Europa mit „seinem ganzen Gewicht“ verteidigen werde.

Laut FAZ ließ sich Altmaier dieses Versprechen bei Verhandlungen mit seinen französischen Gegenparts mit Frankreich schon wenige Stunden später abkaufen. Im Gegenzug dazu, dass Frankreich seinen Widerstand gegen die geplante, zweite russische Gaspipeline für Deutschland aufgeben werde, ließ Altmaier die IT-Industrie fallen. Das Erstaunliche dabei ist, dass dieser Artikel in der Tageszeitung „FAZ“ erschienen ist, die sich zuletzt in eine regelrechtes Propagandablatt in eigener Sache („Leistungsschutzvergütung“) entwickelt hatte.

Email des Musiklobbytreffen

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Der Screenshot dieser Einladung hatte unter den Protestierenden weite Kreise gezogen und entsprechende Empörung ausgelöst. Der Artikel Altmaier opfert Start-ups im Urheberrecht ist ausgerechnet im Zentralorgan der Richtlinienbefürworter, der „FAZ“, erschienen. Der mutige Kollege heißt Hendrik Wieduwilt.

Epilog: Ein Brüsseler Sittenbild

Was sich am Vorabend in Straßburg abgespielt hatte war typisch für den Verlauf der gesamten Gesetzgebung. In der Fraktionssitzung der Liberalen (ALDE) am Montag hatte Fraktionsvorsitzender Guy Verhofstadt die geplante Copyright-Diskussion mit einem Geschäftsordnungstrick verhindert, den Abgeordneten wurde nur ein Formblatt mit einer Empfehlung zur Zustimmung ausgeteilt.

Sachdienliche Informationen, Metakritiken et al. können hier sicher verschlüsselt und anonym beim Autor eingeworfen werden. Wer eine Antwort will, sollte eine Kontaktmöglichkeit angeben.

Am Vorabend der Abstimmung hatten die Interessensvertreter von Musik- und Filmindustrie die EU-Parlamentarier zu einem Empfang in den Räumlichkeiten des EU-Parlaments in Straßburg geladen. Dort wurden den MEPs zu Live-Musik mehrgängige Dinners serviert, die Patronanz der Veranstaltung hatten jene fünf Abgeordneten übernommen, die das Gesetzesvorhaben in ihren Fraktionen maßgeblich vorangetrieben hatten. Es waren dieselben MEPs, die protestierenden jungen Leuten unterstellt hatten, käufliche Agenten von US-Konzernen zu sein.

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