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Billie Eilish

Billie Eilish

artist of the week

Das Debüt von Billie Eilish ist eine Platte des Jahres

„When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“, fragt sich Billie Eilish auf ihrem lang erwarteten ersten Album und nimmt uns auf eine Reise durch ihre Gedanken und ihre Selbstbeobachtung mit.

Von Christoph Sepin

In Zeiten der großen Online-Diskussionen entsteht oft und leicht der Eindruck, dass das Reden über Musik, über Musiker und Musikerinnen, ihr Leben und ihre Umstände, wichtiger ist als der musikalische Output selbst.

Gut beobachten lässt sich das schon seit geraumer Zeit im Fall der Musikerin Billie Eilish. Natürlich: Eilish hat mit elf Jahren angefangen, Lieder zu schreiben. Mittlerweile, zum heutigen Release ihres Debütalbums „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“, ist sie gerade 17 Jahre alt. Sie kommt aus Los Angeles, ihre Eltern sind Schauspieler, ihre Lieder schreibt sie gemeinsam mit ihrem Bruder Finneas.

Vergesst den Hype!

Spätestens mit dem Release ihrer EP „Don’t Smile at Me“ im Jahr 2017 sollte das Unwort „Hype“ in Zusammenhang mit der Songwriterin gebracht werden, sie tauchte auf verschiedenen „Bands to watch“- und „Next big thing“-Listen auf. Veröffentlicht werden ihre Lieder am Universal-Sublabel Interscope Records.

So eine Biographie lädt schnell zu zynischen Beobachtungen ein: Eilish sei ein Konstrukt der Majorlabels und ihre Erziehung hätte sie zum Erfolg privilegiert, so lauten kritische Stimmen. Dabei muss man nur eine halbe Minute in ein Lied der Musikerin hineinhören, um festzustellen, dass es nicht einfach irgendein von der Industrie durchkonzeptioniertes Popprodukt ist.

Lieder von Billie Eilish sind introspektiv, drehen sich beim ersten Hören zwar großteils um das alte Thema Liebe, sind aber in ihrer Essenz Selbstbeobachtungen, düstere Gedanken über persönliche Abgründe. Innere Momente werden vorgetragen und unterlegt von vorsichtigen, minimalistischen Instrumentals. Sie sollen nicht zu viel von dem überdecken, was Eilish auszeichnet: ihre Stimme, ihre Persönlichkeit, ihre Dringlichkeit.

Ihre Stimme, ihre Direktheit, ihre Präsenz

Dieses Konzept, das mit den in der Vergangenheit veröffentlichten Liedern und auch den Vorabsingles zur Platte etabliert wurde, wird auf „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?" weitergeführt. An den Stellen, an denen es mal nicht einfach ihre Gesangsstimme ist, ist es Eilishs Direktheit: Ein Lachen am Intro des Albums (unausprechbar "!!!!!!!“ betitelt), wenn sie erst mal ihre Zahnspange rausnimmt, bevor sie zum Singen beginnt, zwischendurch dann wieder ein Prusten und ein selbstreferentieller Kommentar nach dem Lied „All the Good Girls Go to Hell“. Und dann wird es sehr schnell wieder sehr ernst, melancholisch und düster.

Sogar auf den paar mittelmäßigeren Tracks auf der Platte, auf denen Instrumente und Beats ins Generische rutschen, rettet Eilishs Persönlichkeit: Ihre Stimme ist einerseits möglichst nah an den Zuhörern und Zuhörerinnen produziert, andererseits ist schon ihre natürliche Präsenz unüberhörbar und nicht zu ignorieren. Prägnant, durchdacht, direkt ist das alles, von der ersten bis zur letzten Sekunde der Platte.

Billie Eilish spielt am 15. August 2019 am FM4 Frequency Festival. Hier gibt es das komplette Line-Up.

Eilish verwendet eine eigene lyrische und instrumentelle Grammatik in ihrer Musik, sehr schnell zu erlernen und schnell zu verstehen. Vorsichtig platzierte Pausen in ihrer Stimme, ein besonders lang hinausgezogener Ton, ein Applaus-Sample wie aus einer Sitcom oder ein Drumbeat, der mal fast zu abrupt endet: Das sind alles Elemente, bewusst verwendet, um Emotionen und Inhalte der Texte zu vermitteln.

Der rote Faden durch das Album

„When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ ist kein Konzeptalbum im eigentlichen Sinn, es wird hier aber trotzdem ein deutlicher roter Faden gezogen und wir gehen auf eine Reise durch Eilishs innere Welt. Zu Beginn der Platte wird der Track „Bad Guy“ als quasi Klarifizierung der skrupellosen Egozentrik verwendet, in „Wish You Were Gay“ wünscht sie sich, dass das Gegenüber lieber an einem gesamten Geschlecht desinteressiert wäre als nur an ihr selbst als Person.

Das ist alles sehr kompromisslos und ungerührt, täuscht aber auch nichts vor. Selbstfindung und Reflexion, ein ehrlicher Umgang mit den eigenen Emotionen, mit sich selbst, den Anderen, der Welt. Es ist eben, wie es ist. Im Prinzip ist das aber auch alles so konzeptioniert, als würde man einen Brief lesen, voller durchgestrichener und unterstrichener Gefühle und Gedanken, ab und zu mal verwaschene Tinte, weil da eine Träne drauf getropft ist. Bis zum Ende, als sich Eilish mit drei Liedern verabschiedet: „Listen Before I Go“, „I Love You“, „Goodbye“, wie das tatsächliche Ende eines persönlichen Briefs.

Plattencover von Billie Eilishs "When We All Fall Asleep, Where Do We Go?"

Interscope Records

„When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ von Billie Eilish ist auf Interscope Records erschienen.

Melancholie soll überwiegen und Fragen, warum Dinge so sind, wie sie sind. Und ein Auseinandersetzen mit der Skrupellosigkeit früherer Emotionen: „Tell me I’ve been lied to“, singt Eilish mit gebrochener Stimme auf „I Love You“ und führt fort: „Crying isn’t like you. What the hell did I do? Never been the type to let someone see right through“. Eine Abrechnung mit sich selbst, allem rundherum und komplette Offenheit.

Und ja, es gibt auf der Universal-Website ein Posting mit dem Titel „Billie Eilish lyrics that are perfect for your next Instagram post“. Und ja, es gibt Hoodies mit dem Namen der Musikerin drauf bei Hot Topic neben Merch von „Marvel“ und „Stranger Things“ zu kaufen.

Aber das alles sollte nicht davon ablenken, dass hier eine ganz große Platte der ganz tiefen Gefühle veröffentlicht worden ist. Die nicht reinpassen will in die mittäglichen Playlists der Caféhäuser, in denen schon alle Vorabsingles landeten. Und wenn man das alles scheiße findet, dann ist das auch okay, aber „When We All Fall Asleep, Where Do We Go?“ ist ein Album, das man zumindest einmal von Anfang bis Ende durchgehört haben sollte.

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