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Film-Szenenbild "The Beach Bum"

Constantin Film

Außenseiter-Kino einmal anders: „The Beach Bum“ und „Dumbo“

Zwei höchst unterschiedliche Filme über Außenseiter: Die Kifferkomödie „The Beach Bum“ und das Disney-Epos „Dumbo“ feiern das Anderssein.

Von Christian Fuchs

Es gibt Regisseure, die schwärmen von Antihelden-Figuren und meinen damit megateure Comicverfilmungen über milliardenschwere Playboys, die Gangster jagen. Und dann sind da die Filme von Harmony Korine.

Sein Regiedebüt „Gummo“ erzählt 1997, großteils frei improvisiert, von sozialer Verwahrlosung in der amerikanischen Provinz. Echte Obdachlose und Ex-Gangster stehen vor der Kamera, es wird Crack geraucht, Klebstoff geschnüffelt und angeblich wimmelt es an den Drehorten vor Kakerlaken. In „Trash Humpers“ (2009) masturbiert eine asoziale Rentnergang am liebsten vor und mit Mülltonnen. Miserabel ausgeleuchtet, gefilmt in grobkörnigen Videobildern, ist der experimentelle Film ein Loblied auf die Anarchie und das Leben am Rande der Gesellschaft.

Die Misfits und Outcasts, die für die Schattenseite des amerikanischen Traums stehen, sie faszinieren Harmony Korine schon als blutjungen Künstler. Als er mit Anfang zwanzig das Drehbuch für das Teenagedrama „Kids“ (1995) schreibt, fließen seine Obsessionen darin ein. „Kids“ zeigt jugendliche Skater ohne Interesse an konventionellen Lebensweisen. Später taucht Korine als Regisseur noch tiefer in den US-Underground ein. Für das abgebrochene Projekt „Fight Harm“ lässt er sich von Passanten verprügeln, die er zuvor aggressiv provoziert.

Wenig Story, viele Stars

All diese Dinge sind wichtig, um Harmony Korines neuesten Film „The Beach Bum“ im richtigen Kontext zu sehen. Der Regisseur hätte nämlich das ewige Enfant Terrible der US-Indieszene bleiben können. Aber als ultimative Herausforderung lockte ihn der Mainstream. Mit „Spring Breakers“ verführt er 2012 scharenweise junges Publikum zum Kinobesuch, kein Wunder, knallbunte Bilder und Stars wie Selena Gomez, Vanessa Hudgens und James Franco im Partyfieber wirken anziehend. Unter der Oberfläche entpuppt sich der Drogenkrimi rund um eine Gruppe junger Frauen aber als wilde Collage exzessiver Momente, bewusst ohne konventionelle Dramaturgie.

Film-Szenenbild "The Beach Bum"

Constantin Film

Allzuviel Story bietet auch „The Beach Bum“ nicht, Korines aktueller Versuch an Hollywood anzudocken. Dafür fährt der Regieexzentriker ein für seine Verhältnisse unheimliches Staraufgebot auf. Matthew McConaughey, Snoop Dogg, Isla Fisher und Jonah Hill stehen ebenso vor der Kamera wie Ex-„Highschool-Musical“-Schönling Zac Efron und Comedyveteran Martin Lawrence.

McConaughey betört und verstört als hippiesker Dichter, der dauerbedröhnt durch Strandbars in Florida torkelt. Einerseits entspricht Moondog dem Klischee vom berauschten Künstler, der sich orgiastisch selbst verschwendet, ohne Rücksicht auf Verluste. Auf der anderen Seite ist er kein gequälter Poet, der mit Schmerzen posiert. Im Gegenteil, Moondog wirkt immer gut drauf, denn Life is fun, you know.

Ein filmisches Ausnahmeerlebnis

Moondog hat auch gut lachen, denn der dichtende Lebenskünstler hängt zwar gerne mit Obdachlosen und Randexistenzen ab, aber seine schwerreiche Ehefrau (Isla Fisher) finanziert ihm den entgrenzten Alltag - und akzeptiert seinen Huscher. Moondog muss dafür ein Auge zudrücken, wenn Gattin Minnie mit Snoop Dogg fremdgeht, letzterer spielt mehr oder weniger sich selbst.

Film-Szenenbild "The Beach Bum"

Constantin Film

Überhaupt sind alle äußerst entspannt in Harmony Korines neuem Film. „The Beach Bum“ ist mit Abstand die leichtfüßigste Arbeit im Schaffen des Regie-Rebellen, mit einem Touch von „Inherent Vice“ und „The Big Lebowski“. Genau in dem Moment, in dem man sich in dieser Stoner-Welt wohlzufühlen beginnt, macht sich aber kurz Katerstimmung breit. Der verantwortungslose Alltag des „Beach Bum“ hat auch Konsequenzen. Geliebte Menschen sterben, Rollstuhlfahrer werden gewaltsam beraubt, Häuser zertrümmert.

Harmony Korine ist also an der Sonne angekommen, aber seinen destruktiven Spirit hat er nicht verloren. „The Beach Bum“ ist ein ambivalenter Film, lustig, vulgär, hedonistisch, zerstörerisch. Sich mit dem unfassbaren Matthew McConaughey einfach ekstatisch treiben zu lassen, bleibt jedenfalls ein filmisches Ausnahmeerlebnis.

Melancholie und magische Momente

Ob der ewige Punk Harmony Korine die Trickfilmklassiker von Walt Disney mag, ist nicht bekannt. Vielleicht hat ihn der Tod der Rehmutter in „Bambi“, der mehrere Kinder-Generationen erschütterte, aber auch gepackt. Oder er war von „Dumbo“ gerührt, einem anderen handgezeichneten Frühwerk der Disneystudios mit Sinn für Drama. Die Story vom kleinen Elefanten mit den riesengroßen Flatterohren gilt für viele Animationsfans jedenfalls noch immer als tragischste Außenseiterparabel im Mickey-Mouse-Universum.

Film-Szenebild aus "Dumbo"

Walt Disney

Es wäre leicht gewesen, aus dem wehmütigen Märchen über das fliegende Elefantenbaby einen picksüßen Film zu machen, der bloß den Verkauf von Kuscheltieren ankurbelt. Aber einerseits steckt hinter den aktuellen Disney-Neuauflagen viel Ambition, siehe „The Jungle Book“ oder „Christopher Robin“. Und auf der anderen Seite setzte man Tim Burton in den Regiestuhl. Und niemand im gigantomanischen Multiplex-Kino liebt Außenseiter-Figuren so sehr wie der kalifornische Filmemacher.

Burton schnappt sich die zentralen Motive aus dem 64-minütigen Zeichentrickstreifen und inkludiert sie in ein zweistündiges Live-Action-Epos. Während das Original in der Welt der Tiere spielt und Dumbo in den Mittelpunkt stellt, präsentiert Tim Burton ein illustres menschliches Ensemble. Ein ehemaliger Zirkusstar kehrt aus dem Krieg in die Manege zurück, einarmig, frustriert, aber auch glücklich, weil seine Kinder dort auf ihn warten. Und bald muss sich Holt Farrier auch um ein kleines Tierbaby mit wundersamen Kräften kümmern.

Film-Szenebild aus "Dumbo"

Walt Disney

Rund um den herzig animierten Titel-(Anti-)Helden, dessen berühmtes Einschlaflied von Arcade Fire gesungen wird, reiht Tim Burton in „Dumbo“ einige seiner Stammdarsteller aneinander. Danny DeVito und Michael Keaton feiern erstmals nach „Batman Returns“ ein filmisches Willkommen, Eva Green taucht zum dritten Mal in einem Film des Regisseurs auf, Colin Farrell fügt sich als einarmiger Cowboy Holt großartig in der charmante Freakshow ein.

Zugegeben: Wie so oft in seinem Spätwerk, am schlimmsten wohl in „Alice in Wonderland“, übertreibt es Burton etwas mit der bombastischen Ausstattung. Auch das Timing des Films stimmt nicht immer. Aber ebenso wie der extrem konträre „The Beach Bum“ steckt „Dumbo“ voller magischer Momente. Die Botschaft des Films ist unschlagbar. Das Beste aber ist, dass Tim Burton die latente Melancholie des Originals aufgreift und noch forciert. Bis Dumbo in den Sonnenuntergang fliegt, dürfen in diesem Outsider-Märchen durchaus Tränen vergossen werden.

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