FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Juli Zeh

Peter von Felbert

Juli Zehs ganz private „Gebrauchsanweisung für Pferde“

Juli Zeh ist für packende Romane bekannt, die zu Fragen um Schuld und Verantwortung führen. Jetzt erzählt sie über jene Geschöpfe, mit denen sie mehr Zeit verbringt als mit Arbeiten: über Pferde. Ihre „Gebrauchsanweisung für Pferde“ ist ein Plädoyer für das Glück im Augenblick - sogar wenn es einem dreimal einen Finger bricht.

Von Maria Motter

„Pferdemädchen - jeder kennt sie, keiner liebt sie.“ Das ist eines der ersten Statements in Juli Zehs „Gebrauchsanweisung für Pferde“. Sofort weiß man: bei all ihrer Ernsthaftigkeit darf man sich auch diesmal auf ihren Humor freuen. Wie nonchalant und zugleich sehr persönlich Juli Zeh über ihre Begeisterung für Pferde erzählt, mag überraschen. In dem Taschenbuch mit dem schönen Einband werden weder Pferderassen in Steckbriefen vorgestellt, noch Tipps für die erste Reitstunde gegeben. Ihr neues Buch ist eine Mischung aus sehr persönlichen Erzählungen und philosophischen Überlegungen.

Denn für Juli Zeh sind Pferde nicht bloß ein „Glücksversprechen“, sie tragen auch ein Heilsversprechen. Das Pferd, so sehr es Fluchttier ist, macht dem Menschen, so er es nicht misshandelt und quält, ein Kommunikationsangebot.

Buchcover von Juli Zehs "Gebrauchsanweisung für Pferde"

Piper Verlag

„Gebrauchsanweisung für Pferde“ von Juli Zeh ist 2019 bei Piper erschienen.

Die deutsche Autorin hat es vollends angenommen, als ein Nachbar, ein Reitlehrer, spätabends klingelte und Juli Zeh zu einem Notfall führte. Auf einer Koppel stand ein abgemagertes Pferd. Wenn Juli Zeh von ihren Begegnungen und Abenteuern mit Pferden schreibt, tut sie das detailreich, als könnte sie auf Tagebucheinträge zurückgreifen, und so rührend, dass man wieder weiß, weshalb man als Kind Reiterhofgeschichten verschlungen hat. Juli Zeh schreibt, das Geschöpf sei „so stark traumatisiert“ gewesen, dass es „eine Gefahr für sich selbst und andere darstellte“.

Ein „Katastrophenpferd“ verdient einen Neuanfang

Heute ist Juli Zeh Pferdetherapeutin, sie hat die zweijährige Ausbildung an der Hippologischen Akademie absolviert. Der Vorbesitzer hatte das Tier mit dem Namen Rowdie monatelang in eine Garage gesperrt. Ein Pferd namens „Rowdie“ hätte keine Chance auf Seelenfrieden, kommentiert Juli Zehs Mann, der Autor David Finck, und schlägt „Neo“ für das „Katastrophenpferd“ vor. Das Ehepaar hat das entzückende „Kleines Konversationslexikon für Haushunde“ geschrieben.

Unwillkürlich geht es in „Gebrauchsanweisung für Pferde“ um Juli Zehs Leben. Und als ihr Fan staunt man immer mehr, was sie alles unterkriegt. Im letzten Dezember wurde die ausgezeichnete Juristin zur ehrenamtlichen Verfassungsrichterin in Brandenburg ernannt. Mit ihrem Mann, dem Autor David Finck, zwei Kindern, zwei Pferden und einem Pony namens „Pony“ lebt sie am Land, in Brandenburg.

In „Gebrauchsanweisung für Pferde“ erklärt Juli Zeh, was Pferdeflüstern mit veränderten Geschlechterrollen zu tun hat. Kurz wird skizziert, wie Reiten einst eine männliche Domäne war, heute allerdings viel mehr Frauen reiten als Männer. Unerwähnt lässt Zeh Sigmund Freud, auf ihn gehen diverse sexistische Interpretationen der Pferdeliebe zurück, die bis heute weitergesponnen werden.

Wir Menschen müssen umdenken

Man liest stattdessen von einem „Clash of Cultures“ zwischen Mensch und Unpaarhufer, vom Pferdesammeln („muss nicht gleich die schreckliche Qualität von animal hoarding erreichen“) und von Schlachthauspreisen. Von der „Wald-und-Wiesen-Romantik des Pferdefilms“ und davon, was der Mensch aus seinen Begegnungen mit Pferden ziehen kann, so er das Pferd - wie möglichst alle Tiere - in seiner Andersartigkeit annimmt. Wir Menschen müssen also umdenken, erklärt Juli Zeh. „Die Neigung, ein Gegenüber nur als Verlängerung des eigenen Willens zu betrachten, zerstört die Möglichkeit von Beziehung.“

Es mag nach #firstworld #Luxusproblem klingen, wenn eine erfolgreiche Autorin festhält, dass ein Vorteil von Pferden sei, dass sie „wenn man möchte, sehr zeitintensiv sein können“ und in der Lage wären, „nicht nur überflüssiges Geld, sondern auch überflüssige Zeit restlos zu absorbieren“. Aber wie Juli Zeh schließlich ein Plädoyer für die Wertschätzung der Gegenwart, für das Glück des Augenblicks unterbringt, nimmt man ihr ab und blättert zurück. Zum Kapitel „Pferde und Geld“.

mehr Buch:

Aktuell: