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Frau in Uniform

Screenshot Rammstein "Deutschland"

Man muss sich vor Rammsteins „Deutschland“ nicht fürchten...

...kann das Video aber trotzdem schrecklich finden. Ein sehr persönlicher Kommentar zum neuen Rammstein-Video

Ein Kommentar von Christian Fuchs

Während ich diese Zeilen schreibe, explodieren die Klickzahlen. Gestern haben Rammstein ihr Video zur neuen Single „Deutschland“ auf Youtube gestellt. Die Diskussion wurde schon heftig im Vorfeld geführt, empörte sich doch unter anderem der Zentralrat der Juden über KZ-Uniformen im Teaser. Der komplette, überlange Clip, gedreht ausgerechnet von dem Aggro-Berlin-Mitgründer Specter, lässt die Kontroverse in den sozialen Netzwerken aber so richtig toben. Während es die einen „bombastisch und einmalig“ finden, wirkt das Video für andere „nur noch verzweifelt und armselig“.

Umstrittenes Rammstein-Comeback

Zehn Jahre ist es her, dass Rammstein ihr letztes Album „Liebe ist für alle da“ veröffentlicht haben. Am 17. Mai erscheint das neue Album mit darauffolgender Stadiontour.

Der erste Song daraus heißt „Deutschland“, das Video dazu ist Donnerstagabend veröffentlicht worden. Darin machen wir eine blutige Zeitreise durch die Geschichte Deutschlands, in der auch der abgetrennte Kopf des Frontmanns Till Lindemann eine Rolle spielt.

Eine Station dabei ist Nazi-Deutschland, die die bereits im Vorfeld scharf kritisierte KZ-Szene enthält, in gestreifter Häftlingskleidung am Galgen stehen.

Nachdem ich mich durch die 9.23 Minuten überlanger Laufzeit und auch noch den Abspann gequält habe, muss ich erst mal durchatmen. Ja, „Deutschland“ ist verdammt fett inszeniert, das Budget war riesig, der Regisseur würde sich wahrscheinlich auch mit Überwältigungs-Strategen wie Zack Snyder oder Michael Bay gut verstehen. Aber: Die Nummer ist wieder einmal, wie so vieles von Rammstein, in ihrer Schlagermetalhaftigkeit schwer packbar. Auch wie Rammstein selber als Darstellerclowns durch die Schlachtfelder der deutschen Geschichte marschiert: Eigentlich nicht durchzudrücken.

„Iron Sky“ meets Rockkabarett

Muss man angesichts von „Deutschland“, wie besonders erbitterte Gegner, wieder einmal die Faschokeule auspacken? Nein, da arbeiten nicht nur manche Textzeilen, die mit dem teutonischen Erbe und der Gegenwart hadern, ebenso dagegen wie bestimmte Bilder. Wer, wie der Schreiber dieser Zeilen, die Band auch schon mal live auf ihre Haltung hin überprüft hat, wurde mit einer extrem aufgeblasenen Version verstaubter, aber ungefährlicher Rock-Kabarett-Traditionen konfrontiert. Dass Keyboarder Flake lustig-lockere Bücher schreibt und Sänger Till Lindemann eine Kelly-Family-Connection hat, nimmt dem rollenden R auch die Schärfe.

Frau in goldener Rüstung

Rammstein

Man muss sich vor „Deutschland“ also nicht fürchten, kann das Video aber trotzdem schrecklich finden. Erinnert die Ästhetik doch auch an einen der ödesten Filme der letzten Jahre, nämlich an den heftig verunglückten Meta-Trash „Iron Sky“, der das Naziregime in eine Sci-Fi-Horror-Klamotte verpackte. Außerdem drückt die Video-Kombination aus martialischer Mucke, Brachialbild und den vielen ach-so-ironischen inhaltlichen Brechungen wiedermal die für die Band üblichen Koketterie-Knöpfe. Natürlich ist das alles schrecklich Deutschland-„kritisch“ gemeint, geilt sich gleichzeitig aber auch an dubiosen Symboliken auf. Und, finally: Eine derartige Holocaust-Exploitation mit der Band in KZ-Kostümen, sagt einem der innere Claude Lanzmann, muss in einem Rock-Promovideo tatsächlich nicht sein.

Wie anstrengend ist das Versteckspiel?

Was mich rein küchenpsychologisch noch interessieren würde: Wie lebt es sich eigentlich mit dem permanenten Versteckspiel und dem Nonstop-Spiel mit der Ambivalenz? Was macht es innerlich mit einem, wenn man im Hirn „Links 2,3,4“ marschiert und mit seinen körperlichen Images das breite Feld von Faschokarikatur bis Toxic Masculinity repräsentiert?

Natürlich müsste man das zuerst einmal Pioniere der „Überidentifikation“ wie die zentralen Rammstein-Beeinflusser Laibach fragen, die schon dekadenlang mit schweren Zeichen für die sogenannte gute (satirische) Seite posen. Kichern die backstage dann in Nordkorea, wo sie tatsächlich spielten, bei einem Bier über all die verwirrten Fans und politischen Opinionleader, die ihnen auf den Leim gegangen sind? Grinsen die Akteurinnen bei Hyäne Fischer schelmisch, sobald sie beim pseudopatriotischen Lodenmantel-Videodreh zu „Im Rausch der Zeit“ abseits der Kamera stehen? Wie ergeht es auch vielen (linksliberalen) Kabarettisten, die auf der Bühne Abend für Abend in die Rolle des (reaktionären) Feindes schlüpfen?

Ich frage mich jedenfalls persönlich: Bleibt da irgendwas haften, wenn die Transformation richtig gelungen ist? Oder ist das wie bei Schauspielern, Lieblingsbeispiel Anthony Hopkins, die den Serienmörder einfach locker hinter der Garderobentür zurücklassen? Hollywoodstars zehren bekanntlich in Interviews davon, von besonders kontroversen Rollenerfahrungen zu berichten, die sie längst bewältigt haben. Marilyn Manson holte sich in seiner Spätphase nicht wenige Sympathiepunkte, als er sich als Hauspatschen-Satanspriester outete, der am liebsten zuhause Gruselfilme anschaut und Pizza bestellt, statt weiterhin den Prince of Darkness zu spielen.

Rammstein müssen, ob privat mit der Kelly-Family abhängend oder auch nicht, das Kontroversen-Game weiterspielen, von der Doppelbödigkeit nährt sich ihr Erfolg, im künstlerischen wie vor allem auch im monetären Sinn. Ein Popstar-Alltag, der junge Image-Konstrukteure wie Yung Hurn berauschen mag, aber für ältere Herren ganz schön anstrengend sein kann.

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