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Theresa May verborgen hinter ihrem Auto

APA/AFP/Paul ELLIS

ROBERT ROTIFER

Schmexit Day

Dreimal hat Theresa May über ihr Austrittsabkommen abstimmen lassen, dreimal hat sie verloren. Ein taktisches Fiasko, das seinesgleichen sucht.

Von Robert Rotifer

Kein Zweifel, der Youtube-Clip des Tages ist ein Ausschnitt aus der gestrigen BBC Newsnight. Der Parlamentskorrespondent Nicholas Watt zitierte darin anonym einen Minister aus Theresa Mays Regierung.

Watt: „Was ich im Kabinett aufgespürt habe, ist völlige Verzweiflung. Ich habe einen Minister aus dem Kabinett gefragt: Warum hält die Premierministerin ein Votum ab, wenn sie ziemlich sicher ist, dass sie verlieren wird? Unter Gebrauch starker Worte sagte dieser Minister zu mir: ‚Fuck knows. Mir ist schon alles egal. Hier geht es zu wie unter lebenden Toten.‘"
"Oh Gott“, seufzt die Moderatorin Emily Maitlis.
Watt: „Dieser Minister sagte weiter: Theresa May ist die einzige Architektin dieses Durcheinanders. Es ist ihre Unfähigkeit zu den grundsätzlichsten menschlichen Auseinandersetzungen, die uns an diesen Punkt gebracht hat. Das Kabinett ist total zusammengebrochen. Minister machen eine Stellungnahme, sie gibt nichts preis. Eine Seite denkt, X wird passieren, die andere Seite denkt, Y wird passieren, und die Premierministerin entscheidet sich für Z.“

Ja, es ist der 29. März 2019, der Tag, den die Brexiteers vor zwei Jahren zum Independence Day ausgerufen hatten. Das Datum, auf das Theresa May die ganze Zeit über gepocht hatte, und der britische Staat steht vor dem ultimativen Meltdown.

Heute Nachmittag wurde also das dritte Mal über das Austrittsabkommen abgestimmt, und der Deal ist ein drittes Mal untergegangen. Gestern hatte May noch die große Idee geboren, ihren moribunden Deal in zwei Hälften zu teilen. Bisher hatte es immer geheißen, die Austrittsvereinbarung sei untrennbar mit einer politischen Absichtserklärung über die künftige Beziehung zwischen der EU und Großbritannien verbunden. Aber letztere wurde nun vom Austrittsabkommen entkoppelt, mit dem Ziel, die Fahrtrichtung offen zu lassen. Darauf, dachte May, würde das Unterhaus sich einigen können.

Aber genau das Gegenteil war der Fall: Denn während die Brexit-Hardliner der sogenannten European Research Group (Boris Johnson, Jacob Rees-Mogg und Konsorten) sich von Mays Versprechen gewinnen ließen, nach einer erfolgreichen Abstimmung über den Deal das Feld zu räumen, bedeutete gerade das für Labour die größte Bedrohung.

Schließlich würde nach Mays Rücktritt vermutlich einer wie Boris Johnson Mays Nachfolge antreten, und mangels politischer Absichtserklärung hätte der dann völlig freie Hand gehabt, in den zwei Jahren Übergangsfrist Großbritannien zu einem deregulierten Steuerparadies/Singapur des Nordens umzubauen.

Mays Niederlage ist ein taktisches Fiasko das seinesgleichen sucht: Sie tritt also nun nicht zurück, weil sie verloren hat. Oder doch? Und was dann?

„It’s riot weather today“

Absurderweise öffnet dieses Chaos nun erst recht wieder den Weg zu einem Abblasen von Artikel 50 oder einem zweiten Referendum, obwohl ich keine Wetten eingehen würde, dass das Unterhaus nicht einen Weg findet, diese Chance erneut zu versemmeln. Zuerst einmal müsste Großbritannien bei der EU um eine Verlängerung der Frist ansuchen und dann erst recht bei den kommenden Europa-Wahlen teilnehmen. Falls man sich darauf nicht einigen kann – und das ist durchaus denkbar – ist auch „No Deal“ in zwei Wochen nicht vom Tisch.

Ich für meinen Teil habe für diesen Fall Nudeln und Dosentomaten gekauft, davon können wir eine Woche lang leben.

Was allerdings auch noch Sorgen macht, ist die Lage am Parliament Square, wo sich heute eine große Menge von Union Jack-tragenden Brexit-Bewegten versammelt hat. Vorhin rief mein Freund Andy an, der meinte, es sei das richtige Wetter für einen Aufruhr. Oder eine kleine Straßenschlacht mit den ebenfalls täglich auf dem Platz versammelten Remainers: „It’s riot weather today.“

Pro Brexit Aktivisten

APA/AFP/Niklas HALLE'N

Ich hoffe sehr, Andy hat unrecht. Die Verantwortung für diese Gefährdung des öffentlichen Friedens tragen jedenfalls jene Brextremist_innen mit ihrem aufwiegelnden Vokabular, ihren Evozierungen des Zweiten Weltkriegs und ihrem Gerede von Verrat. Die Abgeordnete Suella Braverman bediente neulich sogar eine aus rechtsextremen Kreisen bekannte Vokabel, als sie vor einem Abgleiten in „cultural marxism“ warnte (eine von der amerikanischen Alt-Right verwendete Abwandlung des antisemitisch gefärbten NS-Begriffs „Kulturbolschewismus“). Was auch immer passiert, wir sind hier noch lange nicht raus.

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