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Dankesplakat an Wähler mit Porträt von Erdogan

APA/AFP/Yasin AKGUL

Eine empfindliche Niederlage für Erdoğan

In den türkischen Kommunalwahlen hat die Regierungspartei AKP des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan das Rennen in den größten Städten des Landes verloren. Es ist für Erdoğan die erste Niederlage seit Jahren. Und es könnte der Beginn eines Trends werden.

Von Ali Cem Deniz

Auch dieser Wahlkampf war so geladen wie jeder in den letzten Jahren. Sowohl für Erdoğan als auch für die Opposition wurden die Kommunalwahlen, wo es in erster Linie um Lokalpolitik geht, zur historischen Entscheidungsschlacht. Das Ergebnis, das nach einem mühsamen und stellenweise undurchsichtigen Wahlverfahren, jetzt feststeht, könnte tatsächlich eine große Veränderung bringen. Überraschend ist es aber nicht.

Der Bürgermeisterkandidat für Istanbul der CHP, Ekrem Imamoglu

APA/AFP/Yasin AKGUL

Laut Endergebnis ist Ekrem İmamoğlu von der Oppositionspartei CHP der neue Bürgermeister von Istanbul. Ob die AKP eine Neuauszählung fordern wird, ist noch unklar.

Seit die AKP 2002 zum ersten Mal zu einer Wahl angetreten ist, hat sie stets gewonnen - und fast immer mit massiven Vorsprüngen. Doch bereits im Verfassungsreferendum und den Präsidentschaftswahlen von 2017 zeigte sich ein neuer Trend. Der Zuspruch für Erdoğans Partei wurde in den Großstädten und bei unter 35-Jährigen immer geringer. Bis vor wenigen Jahren war die islamisch-konservative AKP, im Gegensatz zu europäischen Mitte-Rechts-Parteien, in urbanen Gegenden und bei jungen Wähler*innen beliebt. Jetzt ändert sich das.

Wieso die AKP verliert

An den Gesamtergebnissen hat das bisher nicht viel geändert. Die AKP hat weiterhin mit großen Vorsprüngen jede Wahl für sich entscheiden können und auch bei den aktuellen Kommunalwahlen liegt sie landesweit mit 39 Prozent deutlich vor der Oppositionspartei CHP, die auf 21 Prozent kommt.

Was die AKP bisher erfolgreich gemacht hat, war nicht nur die Person Erdoğans, sondern auch die Art und Weise mit der die AKP sich von der türkischen Vergangenheit abgegrenzt hat. Mit dem Slogan „Yeni Türkiye“ (neue Türkei) versprach sie stets alles, was die „alte“ Türkei nicht war: blühende Wirtschaft, bessere Infrastruktur und mehr politische Stabilität. Das hat bei Menschen, die in den turbulenten 70er, 80er und 90er Jahren gelebt haben, tatsächlich funktioniert. Inzwischen ist aber eine Generation angewachsen, die ausschließlich AKP-Regierungen kennt. Und die erfolgsverwöhnte AKP schafft es seit Jahren nicht diese immer größer werdende junge Wählerschicht zu erreichen.

Eine besonders herbe Niederlage

Das liegt nicht zuletzt daran, dass in der AKP-Spitze kein echter Wandel stattgefunden hat. Die Partei ist weiterhin auf Erdoğan getrimmt, junge Gesichter fehlen. Wie und ob es in Zukunft ohne den Anführer und Parteigründer weitergehen kann, bleibt unklar. Die AKP besteht aus unterschiedlichen Lagern, die nicht zuletzt von der Siegessträhne der Partei und der Figur Erdoğans zusammengehalten werden. Jetzt wo die AKP angreifbar ist und auch Niederlagen erfährt, könnte das zu Spaltungen und verstärkten Konkurrenzkämpfen in den eigenen Reihen führen.

Jubelnde CHP Anhänger

APA/AFP/Adem ALTAN

Anhänger*innen der CHP feiern den Wahlsieg.

Besonders für Erdoğan, der seinen Aufstieg als Bürgermeister in Istanbul angefangen hatte, ist das Ergebnis eine herbe Niederlage. Um sie zu verhindern hatte er sich aktiv eingemischt, Werbung für AKP-Kandidat*innen gemacht und unzählige Reden gehalten. Auf der Ebene der Kommunalpolitik fühlt sich der Präsident immer noch wohl, aber für die türkischen Wähler*innen ist diese Art gewöhnungsbedürftig. Denn bis Erdoğan Präsident wurde, hatte das Amt eine symbolische und repräsentative Bedeutung. Die neue aktive Beteiligung des Präsidenten, hat nicht nur Wähler*innen mobilisiert, sondern auch viele abgeschreckt, die sich wunderten, wieso das Staatsoberhaupt sich plötzlich wie ein einfacher Gemeindepolitiker aufführt.

Was die Wahl verändern wird

Für die Opposition sind die Siege in Istanbul und Ankara die größten Erfolge seit knapp zwei Jahrzehnten. Dennoch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich, trotz großer Inszenierung und Emotionalisierung von allen Lagern, um Kommunalwahlen handelt. Da es da nicht nur um große politische Fragen, sondern auch um lokale Angelegenheiten geht, sind sie nicht der beste Indikator für Prognosen. Dass Erdoğan und die AKP in den Großstädten zum ersten Mal als Oppositionsparteien in die nächsten Wahlen gehen werden, wird in Zukunft dennoch ein entscheidender Faktor sein. Wie das Verhältnis zwischen Stadtverwaltungen und der Regierung ausschauen wird, bleibt ebenfalls spannend. Wenn die Regierung die Ressourcen von Metropolen wie Istanbul kappt, um der Opposition das Leben schwer zu machen, wird sie auch sich selbst schaden. Zu groß ist die Bedeutung der Riesenstädte für die gesamte Wirtschaft des Landes.

Die AKP, die sich „Entwicklung“ in den Parteinamen geschrieben hat und vor allem mit städtischen Mega-Projekten wie Flughäfen, Brücken und Öffi-Ausbau Wahlwerbung macht, wird sich bei den nächsten Wahlen was Neues überlegen müssen. Wenn sie das nicht schafft, dürfte sie auch bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen empfindliche Verluste erleiden. Und die werden dann wirklich zu einer historischen Entscheidungsschlacht.

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