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Queer Eye

Netflix

„Queer Eye“ ist Wohlfühl-Fernsehen mit politischer Agenda

In der Reality Show „Queer Eye“ zeigen uns fünf schwule Männer, wie großartig und wunderschön wir alle sind, weil wir es uns verdient haben. Ja, auch du.

Von Christian Pausch

Die Zeiten haben sich geändert, seit „Queer Eye For The Straight Guy“ vor rund 16 Jahren das erste Mal ausgestrahlt wurde. Damals haben sich namhafte Zeitungen und amerikanische Politiker*innen noch über die Stereotype dieser Show mokiert. Fünf natürlich (sic!) glamouröse Schwule, die einem natürlich (sic!) verwahrlosten Hetero zeigen, wie man sich gut kleidet und was an seiner Einrichtung falsch ist. Heute werden diese Klischees schon ironisiert gelesen, weil man weiß, dass sich an sexueller Orientierung genau kein Charaktermerkmal und schon gar kein Kleidungsstil oder eine Inneneinrichtung festmachen lassen.

Die fünf fabulösen Hosts der Neuauflage namens „Queer Eye“ können also seit 2018 - und nun schon in der dritten Staffel - auf Netflix vorbehaltlos walten und besuchen auch nicht mehr nur Hetero-Männer, sondern helfen quer durch die Bank denen, die sie am dringendsten brauchen. Und sie haben bei ihren Missionen nicht nur Glamour, sondern vor allem auch Menschlichkeit, Humor und Empathie im Gepäck.

Queer Eye

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Die Fab Five, wie sie kurz genannt werden, haben alle ihren eigenen Bereich: Tan kümmert sich um Mode, sein berühmtester Tipp: der French Tuck. Antoni ist der Experte für Speisen und Wein, Karamo für Kultur und Self-Image (was meistens bedeutet, dass er die Teilnehmer*innen durch Kletterübungen sich selbst näher bringt - man muss es gesehen haben!), Bobby ist der Innenausstatter und Design-Experte des Teams und dann ist da noch Jonathan, den man auch schon von Gay Of Thrones kennen sollte, wo er ebenfalls, wie auch bei Queer Eye, vor allem Haare kämmt und styled.

Selfcare, guurl!

Nun klingt das erstmal ganz schön lahm, wären da nicht auch noch die Persönlichkeiten dieser Fünf, mit denen sie uns ab dem ersten „Yas Queen!“ in den Bann ziehen und in eine Gruppen-Umarmung betten. Denn während Tan die passenden Schuhe zum super stylischen Hosenanzug für die Jägerin aus Missouri aussucht, oder Jonathan dem überforderten Messy aus Atlanta die Nägel macht, oder Bobby der frisch geouteten Kellnerin aus Kansas endlich einen Spiegel montiert und eine echte Couch schenkt, geben sie ihnen im Handumdrehen auch noch so viel Selbstbewusstsein mit, dass man sich nichts mehr wünscht, als selbst Besuch von den Fab Five zu bekommen.

„I wanna show straight and gay men alike that self-care and grooming isn’t mutually exclusive with femininity or masculinity.“
- Jonathan

Dafür muss man aber erst nominiert werden, und zwar von Freund*innen, Familienmitgliedern, Arbeitskolleg*innen, oder einfach Menschen, die irgendwie das Gefühl haben, dass man das Leben nicht mehr so ganz im Griff habe, sei es weil man in einem verdreckten Wohnwagen hinter einem völlig funktionstüchtigen, aber zugemüllten Einfamilienhaus wohnt, oder weil man seit der eigenen Hochzeit nur noch Camouflage-Shirts getragen hat. Alles Beispiele aus der bis jetzt letzten und sensationellen dritten Staffel von „Queer Eye“. Selig sind die, die noch alle Folgen vor sich haben!

Selbstbewusstsein for everyone!

In meiner Lieblingsfolge helfen die fünf Experten zwei ca. 60-jährigen Schwestern ihr Barbecue-Restaurant und sich selbst ins 21. Jahrhundert zu katapultieren. Sie verschaffen einer der beiden ein neues Gebiss, dem Laden ein neues Design und beiden eine so riesige Portion Selbstbewusstsein samt Business-Skills und Registrierkasse, dass man am Ende nur noch an das Gute im Menschen glauben kann. Und das alles passiert in nur einer Woche, denn nur so lange haben die Fab 5 Zeit um ihre Weisheiten und Tipps an die Person zu bringen.

„Can you handle the CON-FI-DONCE?“
- Jonathan

Dass in dieser Serie, ganz anders als in so vielen anderen Reality Shows, weder Alter, Herkunft, soziales Milieu, oder sexuelle Orientierungen und Identitäten der Kandidat*innen ausgestellt und exotisiert werden, ist vielleicht das Schönste an der ganzen Show. Jeder der Fünf bringt auch seine eigene Lebensgeschichte mit und oft ist es dann der Mode-Experte, oder der Innenarchitekt, der den emotionalsten Moment mit dem*der jeweiligen Teilnehmer*in erlebt.

Szenen aus der Serie "Queer Eye"

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Klar, auch bei Queer Eye gibt es, wie bei allen Reality Shows, einiges das man beanstanden könnte: zum Beispiel, dass Antony, der für Kochen zuständig ist, eigentlich über mehrere Folgen hinweg nur Guacamole und Mac&Cheese aus der Packung zubereitet, oder dass man die ersten beiden Staffeln gar nicht so genau weiß, was Karamos Experten-Bereich eigentlich ist, oder dass Bobby der einzige ist, der wirklich arg viel leistet, immerhin baut er oft ganze Häuser, Gärten und Wohnungen um, aber immer am wenigsten Sendezeit bekommt.

Selfcare als Politikum

Dass diese Sendung aber in Zeiten von Trump ein so wunderbar offenes Amerika zeigt und alles feiert, wogegen diese Regierung eintritt, macht „Queer Eye“ auch zum wertvollen Politikum. Besonders deutlich wird das in einer Folge, in der ein demokratischer Bürgermeister einer Kleinstadt in Georgia das Fab5-Makeover bekommt. Aber so plastisch hätte man es uns gar nicht vor den Latz knallen müssen, denn dass Selfcare selbst politisch ist, ist mittlerweile ein Known Fact. Man muss ja selbstbewusst und gestärkt (und mit Baby-weicher Gesichtshaut) in die Revolution stürmen. Übrigens auch in unseren Breitengraden, weshalb das Missy Magazine erst vor kurzem titelte: „Nazis wegbaden“.

Spätestens am Ende der dritten Staffel von Queer Eye sind dann alle Taschentücher vollgeheult, entweder wegen der rührenden Geschichten, oder weil man erkennt, dass Jonathan vielleicht niemals unser ganz persönlicher bff wird. Also wird man wie wahnsinnig das Internet durchforsten um zum Beispiel dieses kurze Special in Australien zu finden, damit die „Queer Eye“-Sucht für weitere 20 Minuten gestillt ist. Und dann kann man ja nochmal von vorne anfangen, bis die nächste Staffel kommt.

Und vergiss nicht: You are worth it!

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