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Filmstills aus "Die Kinder der Toten"

Stadtkino Filmverleih

Der Stummfilm „Die Kinder der Toten“ bringt Untote in die Steiermark

Das New Yorker Nature Theater of Oklahoma hat mit hundert Freiwilligen in der Obersteiermark Elfriede Jelineks „Gespensterroman“ in einen Stummfilm verwandelt. Das Ergebnis ist ein höchst extravaganter, grandioser Film, in dem der Heimatbegriff mit dem Schnitzelklopfer bearbeitet wird.

Von Maria Motter

„Ich glaube, ich habe in meinem Leben noch nie etwas so Irres gesehen. Etwas so Narrisches“. Das schreibt der Grazer Autor Clemens Setz und ich kann bei jedem seiner Sätze nur nicken und kapitulieren. Meisterhaft beschreibt er, was beim Anschauen von „Die Kinder der Toten“ mit einem vor sich gehen kann. Vor dem Stummfilm „Die Kinder der Toten“ selbst muss man jedoch nicht kapitulieren.

Mit 666 Rollen Super-8-Film ist das New Yorker Nature Theater of Oklahoma angetreten, Motive und Handlungsstränge des 666 Seiten umfassenden Romans „Die Kinder der Toten“ von Elfriede Jelinek in der Obersteiermark mit Freiwilligen zu verfilmen. Gestartet ist das auf den ersten Blick größenwahnsinnige Unternehmen als Projekt des steirischen herbst.

Über die Dreharbeiten zu „Die Kinder der Toten“ im Rahmen des steirischen herbst kann man hier und hier lesen.

Ulrich Seidl hat mit seiner Filmproduktion die Fertigstellung getragen. Auf der Berlinale hatte „Die Kinder der Toten“ Premiere, bekam dort einen Kritikerpreis und in Graz fand die Österreich-Premiere im Rahmen der Diagonale statt. Elfriede Jelinek, selbst eine Filmliebhaberin, die auch auf ihrer Website immer wieder über Filme schreibt, hat das Projekt von Anfang an gewollt. Es ist ein lustiger Twist, dass sie selbst Twin Peaks und den Low-Budget-Film „Carnival of the Souls“ als Inspirationsquellen für ihren Roman nennt.

Filmstills aus "Die Kinder der Toten"

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Verdrängte Geschichte

Worum geht’s? Mit einem Bus TouristInnen kommen Untote in die Obersteiermark. Jelinek bezieht sich auf die verdrängte Geschichte der nationalsozialistischen Judenverfolgung. Sie bezeichnet ihren Roman als „Gespensterroman“. Im Film des Nature Theater of Oklahoma kollidiert jetzt die Vergangenheit mit der Gegenwart. Aus einer Nebelwand formt sich eine Herde Vieh. Der Reisebus verunglückt und die Untoten, die nicht mit Zombies gleichzusetzen sind, sondern die aussehen wie Lebende und selbst nicht wissen, dass sie tot sind, fallen in das örtliche Wirtshaus ein. Auch syrische Geflüchtete sind unter den Fremden, die es in diese Provinz geschleudert hat: Die SyrerInnen sind Dichter und als solche „supersensibel für menschliches Leid“, heißt es an einer Stelle. Das ist bitterböse und zugleich auch lustig. Sogar der Schmäh einer Verwechslung von „Styria“ mit „Syria“ geht sich hier aus.

Das Nature Theater of Oklahoma

Das Nature Theater of Oklahoma zählt zu den bekanntesten Off-Off-Broadway-Truppen. Das heißt, das Nature Theater of Oklahoma macht Stücke, die vor Charme und schonungslosem Humor sprühen, dabei hinreißend aus dem Leben erzählen. Für ihre Serie „Life And Times“ stellten Kelly Copper und Pavol Liska KollegInnen die Frage: „Can you tell me the story of your life?“. Episode 7 ist ein Schwarz-weiß-Film, gedreht wie ein Hollywood-Klassiker, und eine emotionale Achterbahnfahrt durch das Privatleben der DarstellerInnen.

Das Nature Theater of Oklahoma erklärt sich in seinen Arbeiten nicht als das Gute schlechthin. Es geht in der Kunst darum, frei zu bleiben und nicht zuletzt um Provokation und um kontroversielle Herangehensweisen – selbst, wenn man als KünstlerIn damit die eigene Würde aufs Spiel setze, sagt Pavol Liska vom Nature Theater of Oklahoma.

Pavol Liska und Kelly Copper vom Nature Theater of Oklahoma

Maria Motter

Pavol Liska und Kelly Copper vom Nature Theater of Oklahoma

Jelinek als Stummfilm ist faszinierend

Wie Elfriede Jelineks Text in einem Stummfilm umgesetzt wird und wie sehr das Nature Theater of Oklahoma diesen unglaublich komplizierten, ja teilweise auch bewusst anstrengenden Wortwitz ins Filmische übersetzt hat, ist faszinierend anzuschauen. Dabei können Kelly Copper und Pavol Liska kein Deutsch und eine vollständige englischsprachige Übersetzung des Romans „Die Kinder der Toten“ lag zu Beginn der Arbeit am Film nicht vor. Darum ließen sich die beiden die Geschichten des Romans von jenen erzählen, die das Buch gelesen haben.

Und zugegeben: Man kann nicht Wochen, sondern Monate mit der Lektüre des Werks zubringen. Im Rahmen des steirischen herbst 2017 konnte sich jede und jeder an einer öffentlichen Lesung des Romans beteiligen. Und unweit jenes Waggons, in dem gelesen wurde, fanden auch Dreharbeiten statt. Dass das Ergebnis kein Trash, sondern ein hochwertiges B-Movie geworden ist, liegt an dem aufrichtigen Engagement aller Beteiligten und an der Art und Weise, wie Kelly Copper und Pavol Liska die Welt und ihre Menschen umarmen.

„Die Kinder der Toten“ startet am 5. April in den österreichischen Kinos

Wenn in „Die Kinder der Toten“ der Heimatbegriff mit dem Schnitzelklopfer bearbeitet wird, sich die Gesellschaft im Wirtshaus die Forellen um die Wangen schlägt und die Palatschinken in Gesichtern gar gruselig festkleben, dann erreicht diese Groteske in etlichen Momenten doch eine Ernsthaftigkeit. Gespielt wird mit österreichischen Klischees und mit Hausmannskost. Und in gar entrückten Szenen, nach Verfolgungsjagden auf Wiesen den Berg hinauf, offenbart sich die große Liebe zum Kino. Surreale Szenen wurden perfekt umgesetzt. Die verdrängte nationalsozialistische Vergangenheit hält mit einer Straßenparade der Untoten wieder Einzug. „Ein Mordsrummel!“, liest man in einem Insert. Ein Mordsrummel ist dieser Film.

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