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"Old Town Road" Video Screenshot Lil Nas X

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Lil Nas X und der Krampf mit den Country Charts

Lil Nas X bezeichnet seine Musik als Country Trap. Sein viraler Hit „Old Town Road” wurde jedoch aus den Charts verbannt. Jetzt tobt in den USA eine Diskussion um Genregrenzen und Rassismus. Und ein etablierter Country-Star solidarisiert sich.

Von Christian Lehner

„Rapper sprengt Charts.“ An diese Schlagzeile hat man sich im Streaming-Zeitalter mittlerweile gewöhnt. Der Schlüssel zwischen tatsächlich verkauften Tonträgern und Downloads auf der einen Seite, und der Miteinrechnung von Streams auf der anderen, macht es möglich. Rapper wie Drake oder hierzulande RAF Camora droppen ein Album und beinahe alle Tracks charten gleichzeitig, weil sämtliche angeklickten Songs via Spotify und Co. in die Bewertung einfließen. Die gute alte Single hat ihre Vorrangstellung verloren und dient nur noch als ein Marketing-Tool unter vielen. So weit, so stream.

Bei Lil Nas X aus Atlanta liegen die Dinge etwas anders und sie könnten das althergebrachte Chartssystem zusätzlich verändern. Denn nach den Erfolgsparametern, die bisher zur Bewertung eines Stückes herangezogen wurden, geraten nun auch die Genregrenzen, innerhalb derer diese Bewertungen wirksam werden, in Bewegung.

Spiel mir das Lied von Genre-Tod

Nachwuchsstars wie Billie Eilish pfeifen zunehmend auf die Einsortierung ihrer Musik in Fächer wie R’n’B, Indie, Alternative oder Pop. Das mag für die österreichischen und deutschen Charts mit ihren überschaubaren Sparten vorerst kaum eine Rolle spielen.

In den USA hingegen gibt es eine weit ausdifferenzierte Hitparadenlandschaft, die in Genres wie R’n’B, Rock, Urban, Alternative usw. segmentiert ist und sich dort häufig nochmals in diverse Unterkategorien verzweigt. Plattenfirmen unterhalten eigene Sublabels, sowie Marketing- und Promotion-Abteilungen für diverse Spielarten. Radiostationen richten ihr Format häufig nach Genres aus.

Vorhang auf für den Nachwuchsrapper Lil Nas X aus Atlanta. Wobei, Rapper ist hier relativ zu verstehen. Wie so viele aufstrebende Artists seiner Generation hat der Gerade-Noch-Teenager zuerst über diverse Social-Media-Plattformen eine breite Follower-Basis aufgebaut, bevor er das erste Mal als Musiker in Erscheinung trat. Das war im letzten Mai. Zuvor machte sich Montero Hill, so der bürgerliche Name des Rappers, als Twitter-Comedian einen Namen.

Als im vergangenen Dezember im Netz der #yeehaw-Meme grassierte, der den Einzug der Cowboy-Ästhetik in die Popkultur feierte (nicht zuletzt durch den Launch des Gaming-Hits „Red Dead Redemption 2“), kaufte Lil Nas X online von einem holländischen Produzenten einen Beat um 30 Dollar. Der wiederum modellierte diesen Beat rund um ein Banjo-Sample, das er von den Nine Inch Nails saugte. Lil Nas X stattete das Musikbett mit einem Text aus, den man teils als Parodie, teils als gelungene Hommage an das Outlaw-Genre von Country lesen kann. Lil Nas X bezeichnet seine Musik als Country Trap.

Als ich den Track am Freitag von einer Major-Plattenfirma bemustert bekam und die Hintergrundstory dazu noch nicht kannte, dachte ich zunächst an einen Post-Malone-Abkömmling mit etwas zu viel Kautabak im Mund. Und an einen weiteren Beweis dafür, wie stark Hip Hop derzeit in alle populären Genres vordringt und mit sehr einfachen und auch einfältigen Mitteln einen Crossover schafft, der neue Standards setzt und so wirkt, als wäre alles davor bloß eine diffuse Staubwolke antiquierter Popmusik.

Zunächst bloß als Goodie für seine Twitter-Followers gedacht, versuchte Lil Nas X, den Tune zur Jahreswende auf möglichst vielen Social-Media-Plattformen zu etablieren. Ob zu diesem Zeitpunkt bereits professionelle Einflüster*innen mit an Bord waren, lässt sich an dieser Stelle nicht klären.

Viraler Hit oder Industry Plant?

Vorsicht ist bei zeitgenössischen Pop-Memes jedenfalls geboten. Die Zeiten, als ein unschuldig auf YouTube gepostetes Amateur-Video durch die bloße Kraft der Klicks zum viralen Hit wurde, sind vorbei. Obwohl sich dieses Grassroots-Narrativ in Promotion- und auch Journalistenkreisen hartnäckig hält, steckt hinter den meisten Pop-Netzphänomenen eine neue Garde hoch spezialisierter Agenturen, Labels und Manager*innen, die das Netz systematisch auf Pop-Influencer und Talente scannt(@@youtube:KwoctjIrVZg@@) und ihren Schützlingen früh mit der Kraft von Kontakten, Algorithmen und manchmal auch unsauberen Tricks unter die Arme greift.

„Old Town Road“ ging Mitte März durch die Decke. Vor allem auf der noch relativ jungen, aber unter Kids äußerst beliebten Plattform Tik Tok, avancierte der Track zum Hit. Die in den USA immer noch sehr einflussreichen Radiostationen zogen nach. In Ermangelung einer Plattenfirma saugten sie den Track einfach von YouTube.

Dann der Clou. Der mit allen Social-Media-Wassern gewaschene Lil Nas X stattete „Old Town Road“ mit dem zusätzlichen Hashtag „Country” aus. So kam der Song auch in den Country-Playlists der Streaming-Plattformen und Radiostationen an und knackte in Folge nicht nur die Billboard-Hot R&B/Hip-Hop-Charts, sondern auch die Billboard-Hot-Country-Wertung.

Dann der Eklat: Nach negativen Reaktionen genre-konservativer Fans und Szenemenschen beschloss Billboard vergangene Woche, den Song aus den Country-Charts zu nehmen. Die Begründung: Das Stück zitiere zwar Country-Musik, entspreche aber als Komposition nicht den Kriterien des Genres.

Die Folge war nicht nur ein Shitstorm in Bezug auf Genregrenzen und ihre Tauglichkeit im Streaming-Zeitalter. Nicht wenige Kommentator*innen mutmaßten, dass Rassismus eine Rolle in der Entscheidung spielte. Country-Musik hat sich in den letzten Jahren zwar zunehmend gegenüber schwarzen Künstler*innen geöffnet, gilt aber im US-Pop als letzte weiße Domäne.

Dabei ist die Zusammenführung von Hip Hop mit Country alles andere als neu. Die Ansätze reichen von Kid Rock über Beyoncé bis zu David Banner, Yelawolf und Lil Uzi Vert. Doch nicht einmal die Ablehnung von Beyoncés „Daddy Lessons“ für die Kategorie Country bei der Grammy-Preisverleihung 2016 sorgte für so große Kontroversen wie aktuell „Old Town Road“.

Billboard betonte zwar pflichtschuldig, dass die Hautfarbe kein Rolle in der Ablehnung des Songs gespielt hätte, einflussreiche Country-Radio-DJs wie Bobby Bones erklärten hingegen, dass die von Lil Nas X verwendeten Stilmittel im modernen Country Standard seien und somit der Einwand gegen das Stück nichtig wäre. Lil Nas X erhielt nicht nur sehr viel Zustimmung aus der Pop- und Rap-, sondern auch aus der Country-Szene.

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BILLY FUCKIN RAY!!! 🐎⚡️

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Den Gesetzen der digitalen Prärie gehorchend hat die Kontroverse den Song ohnehin noch populärer gemacht. In den US-Spotify Top 200-Charts notierte „Old Town Road” am Freitag hinter der Überfliegerin Billie Eilish auf Platz 2. Hilfe kam auch aus dem staubigen Genre selbst. Billy Ray Cyrus, Country-Star und Vater von Miley Cyrus, hatte Gefallen an der Outlaw-Geschichte und dem Song gefunden und seine Hilfe angeboten. Lil Nas X nahm dankend an und überreichte den Song dem Country-Veteranen zum Remix.

Eine Netzlegende ist geboren. Ob wir nach „Old Town Road“ jemals wieder etwas von Lil Nas X hören werden, steht in den Sternen. Als wesentlich nachhaltiger könnte sich das Tumbleweed erweisen, das hier angeblasen wurde. Nach dem Ende der Verkaufseinheit dürfte sich mit der Verflüssigung der Genres eine weitere Säule des traditionellen Popmodells auflösen. Dann tönt es zu High Noon durch den Saloon: Spiel mir das Lied vom Genre-Tod.

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