Neue Manipulationsmuster bei EU-Wahl zu erwarten
Von Erich Moechel
Die nach dem Skandal um Cambridge Analytica verhängten Auflagen von Facebook zur Transparenz politischer Inserate werden offenbar systematisch umgangen. Am Mittwoch wurde in Großbritannien eine millionenschwere, verdeckte Facebook-Kampagne einer Lobby-Firma für einen harten Brexit aufgedeckt. Die Kampagne wurde hinter Initiativen und echten Personen getarnt, die keine sichtbaren Verbindungen aufwiesen, aber allesamt dieselbe Botschaft übermittelten.
Auch im indischen Wahlkampf - ab Donnerstag wird gewählt - kommen koordinierte Desinformationskampagnen etwa als regionale Bürgerinitiativen bei WhatsApp nahezu ungehindert durch. Die Annahme liegt also nahe, dass solche dezentralen Manipulationsmuster auch im EU-Wahlkampf eine größere Rolle spielen werden.
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Ein Sir als Mann fürs Grobe
In dieser Woche wird in den USA die Rechnung für den Daten- und Manipulationsskandal bei den US-Wahlen 2016 ausgestellt. Beobachter rechnen mit einer Geldstrafe im Milliardenbereich für Facebook; Auflagen zur Entflechtung des Konzerns sind ebenfalls möglich.
Die verdeckte Großkampagne für einen harten Brexit wurde am Mittwoch vom britischen Guardian aufgedeckt, der den Kostenumfang der Aktion mit etwa einer Million Pfund beziffert. Die Gruppen tragen so unverfängliche Namen wie „Mainstream Network“ oder „Britain’s Future“, sie sind weder verlinkt, noch verweisen sie sonstwie aufeinander. Tatsächlich, so der Guardian, aber haben diese Gruppen allesamt dieselben Administratoren, auch ein ehemaliger Wahlkampfleiter von Boris Johnson mische dabei mit.
Diese Administratoren arbeiten laut Guardian alle für dieselbe Lobbying-Firma CTF Partners des australischen Spindoktors (Sir) Lynton Crosby. Der ist bereits aus mehreren britischen Wahlkämpfen als Mann fürs Grobe und Spezialist für „Schwarze PR“ der konservativen Seite einschlägig bekannt. Formal wurden die Vorgaben von Facebook zwar vollständig erfüllt, indem für jede Inseratenserie ein Verantwortlicher genannt und auch die Kosten ausgewiesen wurden. Das Ergebnis war erreicht, wurde damit allerdings das Gegenteil von Transparenz.
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„Künstliche Intelligenz“ im Blindflug
Ende September 2018 kamen Facebook 30 Millionen Datensätze von Europäern abhanden. Es ist gut möglich, dass dieser Datendiebstahl in Zusammenhang mit den EU-Wahlen steht.
Über diese Facebook-Seiten wurden weitgehend dieselben Banner mit der Aufforderung geschaltet, in den Büros britischer Parlamentarier anzurufen und den totalen Brexit einzufordern. Die Büros der britischen Parlamentarier wurden wochenlang mit solchen Anrufen eingedeckt, damit hatte die Kampagne zum Zeitpunkt des Auffliegens ihre Ziele bereits erreicht.
Die Sicherheitssysteme von Facebook wurden dadurch ausgetrickst, dass echte Personen die Kampagnen angemeldet hatten und von diesen Personen offensichtlich auch die Zahlungen gekommen waren. Die direkte Verbindung all dieser Kampagnen wurde von den Sicherheitsmechanismen Facebooks nicht entdeckt, obwohl die Konten identische Sujets verbreiteten. Soviel zum aktuellen Stand „Künstlicher Intelligenz“ bei derartigen Vorhaben für „Verifikation von Konten“ in Sozialen Netzwerken.
Was im EU-Aktionsplan für die Wahlen fehlt
Ob die EU auf eine solche Art von Kampagnen vorbereitet ist, die blitzartig, gut getarnt und scheinbar dezentral durchgezogen werden, darf bezweifelt werden. Der im Dezember verabschiedete Aktionsplan der EU-Kommission gegen Desinformation ist vor allem gegen grenzüberschreitende Kampagnen und Einflussnahmen von außerhalb gerichtet. Das „Rapid Alert System“ wurde erst am 15. März gestartet, aber auch das ist eher auf grenzüberschreitende Kampagnen abgezielt.
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Über Kontaktstellen in allen Staaten sollen Informationen über neu aufgetauchte Desinformationskampagnen gesammelt und über eine „eigene technologische Infrastruktur“ soll dieses „Schnellalarmsystem in Echtzeit vor Desinformationen warnen“. Über dieses hastig eingezogene Netz sollen Kontaktstellen in 27 Staaten mit drei EU-Agenturen, darunter auch dem „EU Intelligence and Situation Centre“ rund um die Uhr alarmbereit sein. Als „Grassroots“-Initiativen getarnte, dezentrale Kampagnen auf regionaler Basis stehen nirgendwo im Bedrohungsbild des Aktionsplans.
Wie Desinformation töten kann
Die britische SCL, Konzernmutter der Cambridge Analytica hatte bereits seit 2002 regelmäßig an indischen Regionalwahlen mitmanipuliert
Dieser dezentrale Typus ist gerade in Indien zu beobachten, wo am Donnerstag gewählt wird. Laut Medienberichten aus der Region haben alle größere Parteien selbst regelrechte Trollarmeen aufgebaut, die typische Trollarbeiten verrichten wie Fotos und Videos politischer Konkurrenten zu fälschen und Desinformation zu verbreiten. Ein Gutteil des indischen Wahlkampfes im Netz läuft über die 200 Millionen WhatsApp-Nutzer, und die Bilanz der Facebook-Tochter dort könnte nicht verheerender sein. Bis Ende 2018 fielen 20 Personen quer durch Indien Lynchmorden zum Opfer - die Taten wurden allesamt durch Falschnachrichten via WhatsApp ausgelöst.
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Sie waren alle auf regionale Spannungen abgezielt, Minderheiten - in erster Linie Moslems - wurden beschuldigt, Kinder entführt oder Kühe gestohlen und zu Schlachthöfen ins benachbarte Kaschmir geschmuggelt zu haben. Deshalb hatte WhatsApp zuerst in Indien, dann weltweit Beschränkungen in der Querverbreitung von Informationen auf fünf Gruppen eingeführt. Diese Maßnahme wird einfach durch weitaus mehr Troll-Accounts realer Personen als zuvor rund um die Quelle der Falschmeldungen umgangen, wie Medien aus dieser Weltgegend berichten.
Clavis strategica
Diese „Weiterentwicklung“ der bisher bekannten, verdeckten Manipulations- und Einflussnahmeoperationen ist offensichtlich auf die verstärkten Kontrollen durch Facebook, Whatsapp & Co zurückzuführen. Dezentrale und regionale Kampagnen, die nur über die Botschaften - also sehr indirekt - verbunden sind fliegen noch am ehesten unter dem Radar durch. Vor allem dannn, wenn sie binnen weniger Tagen durchgezogen werden.
Dieselben Strategien werden sich daher auch im EU-Wahlkampf zeigen, aber die Manipulationen dürften diesmal aufwendiger zu bewerkstelligen sein werden. Durch die Beschränkungen der Sozialen Netzwerke in der Querverbreitung und ihr systematisches Vorgehen gegen automatisierte Troll-Accounts wird es deutlich schwieriger für Manipulatoren werden, ihre Desinfo-Kampagnen auf Reichweite zu bringen.
Man wird wesentlich mehr reale Trolle dafür brauchen, die Konten und Sujets für die entsprechenden Pseudo-Grassroots-Kampagnen müssten jetzt eigentlich schon eingerichtet sein. Weil deswegen auch mehr Werbekampagnen insgesamt geschaltet werden müssenen, heißt das schlicht: Manipulation wird teuerer, was grundsätzlich eine gute Nachricht ist.
Publiziert am 07.04.2019