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Marc Carnal

Das perfekte Milliardärs-Porträt

Wer kennt das nicht: Der Redaktionsschluss rückt näher und man muss noch dringend vier Doppelseiten in einem auflagestarken Wochenmagazin mit rechtskonservativer Kernzielgruppe füllen. Kein Problem!

eine Kolumne von Marc Carnal

Es gibt einen journalistischen Evergreen, von dem Leser niemals genug bekommen: Ausführliche Porträts von Milliardären! Ob heimische Selfmade-Bonzen, Öl-Prinzen oder neunzehnjährige App-Erfinder - kein Menschenschlag fesselt den kleinen Fisch von der Straße mehr als top-situierte weiße Männer in ihren besten Jahren mit zehnstelligem Kontostand. Und die beste Nachricht: Es ist überhaupt nicht schwer! Mit dem folgenden Text-Bausatz, ein paar zusammengegoogelten “Exklusiv”-Infos und drei “intimen” Pressefotos ist das Milliardärs-Porträt in 0,Josef fertig!

Titel

Im Titel sollte neben der wichtigsten Eigenschaft des Porträtierten (z.B. “unbequem”, “stur”, “beinhart”) das Versprechen auf exklusive Informationen über sein Privatleben mitschwingen (“Seine Frauen. Seine Abstürze. Seine Vision.”) oder angedeutet werden, es werde das Erfolgsgeheimnis des Magnaten enthüllt (“Die Benko-Methode”). Hier einige Beispiele:

  • Straighter Strahlemann, weiser Wunderwuzzi - Wer ist der Mann hinter den Milliarden?
  • Der Ungreifbare
  • “War immer ein Starrkopf”: Die geheimnisvolle Welt des Tiefbau-Kaisers
  • Beharrlich, bewandert, bescheiden - Die Erfolgsformel eines Unbequemen
  • Laufapp-CEO: “Der einfache Weg ist immer der falsche!”
  • “Bin ein Geld-Magnet”: New Yorker Selfmade-Genie ganz intim
  • Wer ist Elon Musk? - Eine Spurensuche
  • Unbezahlbare Zufriedenheit - Ein Visionär und sein neues Leben

Kindheit

Die ersten Lebensjahre des porträtierten Milliardärs sind im Idealfall von großen Entbehrungen und einem erbarmungslosen Elternhaus geprägt. Bei Rich Kids, die bereits in den goldenen Käfig geboren wurden, muss die Einleitung über den kilometerlangen Schulweg auf wunden Fußsohlen, väterliche Züchtigungen und budgetbedingter Mangelernährung leider entfallen. Beliebter als Erben im gemachten Nest sind jedenfalls Milliardäre, die es trotz Startnachteil im Redneck-Milieu “ganz alleine geschafft” haben.

Klein angefangen

Als nächstes wird der Aufstieg des porträtierten Milliardärs geschildert. Und wie ist der Aufstieg eines Milliardärs wohl beschaffen? Natürlich RASANT! Weil er nämlich “den richtigen Riecher bewiesen” hat. Ideales Szenario: Der künftige Milliardär geht in seinen frühen Zwanzigern einer schlecht bezahlten 40h-Tätigkeit nach, um sein Doppelstudium an einer Elite-Uni querzufinanzieren und gründet neben diesen Fulltime-Tätigkeiten mit Jugendfreund und lächerlichem Kapital eine Garagenfirma für Autoteile oder irgendeine eine dumme Foto-App, für die er anfangs belächelt wird. Doch mit unbändigem Willen fiebert er in jeder freien Sekunde dem ersten Burnout entgegen und beweist nach der Übernahme seiner ersten Firma durch Nestlé oder Google, dass man mit Fleiß und Weitsicht ALLES schaffen kann.
Es folgt ein kurzer Abriss über die Folgejahre, in denen es dem porträtierten Milliardär gelungen ist, durch Offshore-Tricks und Ausbeutung HALT STOPP ICH MEINE NATÜRLICH durch Fleiß, Ausdauer und Wille ein mords Vermögen anzuhäufen und den Grundstein für ein weltweit verzweigtes, aber auf Malta versteuerndes Imperium zu legen.

Tagesablauf

Zurück im Jetzt: Der Milliardär könnte zwar 99 Prozent seines Zasters verschenken und müsste dennoch Zeit seiner Existenz keinen Finger mehr rühren. Doch Porträts über satte Rockefellers, die den ganzen Tag faul in Eselsmilch baden, will niemand lesen. Deshalb muss der Milliardär bereits um 4.30 Uhr aufstehen, um nationale wie internationale Tageszeitungen zu studieren, nach dem Proteinfrühstück unter Anleitung des Leib-Trainers schwitzen und dann gegen 7 Uhr die Kinder persönlich zum Hauslehrer bringen. Es folgen 14 Stunden eines knallhart durchgepeitschen Business-Marathons, währenddessen der Milliardär drei Beteiligungen verkauft, zehn Millionen in ein Hanf-Startup investiert, diverse Mitarbeiter feuert und am Weg von einer Molekular-Sushi-Verkostung zu einem TED-Talk noch schnell per Insta-Story mit einer Kandidatur als Staatschef liebäugelt.
Gegen 21 Uhr ist der harte Arbeitstag vorbei und der Milliardär widmet sich endlich...

Frau & Kind

Die Familie hat für den porträtierten Milliardär (nach seinem harten Arbeitstag) natürlich oberste (!) Priorität. Seine liebevolle, aber auch starke und unabhängige Frau glaubt immer an ihn. Zur Belohnung darf sie nicht nur regelmäßig Hunde-Charitys organisieren, sondern obendrein im Aufsichtsrat eines seiner Finanzdienstleisters aushelfen, womit er die endlich errungene Geschlechterparität bewiesen sieht. Die Milliardärs-Frau darf im gesamten Portrait ebenso wenig zu Wort kommen wie die Kinder, deren Heranwachsen der Milliardär so bescheiden gestalten will wie das eigene. Abgesehen von ein paar Nebensächlichkeiten wie einer Kinderzimmer-Einrichtung im Wert des kongolesischen Bruttosozialprodukts und einem eigenen Hubschrauber-Piloten sollen die Kleinen GANZ NORMAL aufwachsen, um dereinst als geerdete und bescheidene Berkeley-Absolventen das Imperium ihres stolzen Vaters weiterführen zu können.

Karitatives

Um den porträtierten Milliardär noch sympathischer erscheinen zu lassen, müssen mehrere Absätze sein beispielloses soziales Engagement behandeln. Weil man auch immer an jene denken soll, denen es “nicht so gut geht”, spendet der Milliardär natürlich Unsummen an Krebsforschungs-Stiftungen, Tsunami-Opfer und junge Start-up-Gründer, sodass insgesamt fast ein Promill seiner jährlichen Dividenden in “die gute Sache” investiert wird. “Man hilft, wo man nicht nein sagen kann”, so der Milliardär.

Grundsätze

Er gibt während des Interviews hoffentlich einige solcher Bonmots zu Protokoll, denn nichts ersehnt die Leserschaft des Wochenmagazins mehr als weise Zitate des porträtierten Milliardärs. Das können Sätze sein wie “Wer nicht gerne Geschichte lernt, muss sie eben selbst schreiben” oder Lebensregeln der Marke “Die Mammutbäume des Erfolgs werden mit dem Blut der Kleingeister gegossen.” Auch das Reich der Fabel ist sehr beliebt: “Denke wie eine Eule, aber handle wie ein Löwe.” Hauptsache, die Leser kriegen bekömmliche Kalendersprüche vor den Latz geknallt, dank deren Befolgung sie endlich ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen können: “Schlaf ist die Bremsflüssigkeit der Versager!” oder “Wenn Zeit Geld ist, hat mein Tag 24 Millionen.”

Ein schlauer Satz des Milliardärs rundet das Portrait perfekt ab. Nachdenklich soll der Porträtierte von seinem Rooftop-Appartement auf den Pöbel herabblicken und dabei sagen: “Vor dem Einschlafen überlege ich jeden Tag, was Gott an meiner Stelle gemacht hätte.”

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