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Szene aus dem Film "Wildlife"

© Praesens Film AG

FILM

„Wildlife“: Das bestechende Regiedebüt von Indiestar Paul Dano

Mit seinem Regiedebüt „Wildlife“ beweist der Indie-Schauspielstar Paul Dano, dass er auch hinter der Kamera bestens aufgehoben ist.

Von Christian Fuchs

In einer seiner ersten größeren Rollen bleibt Paul Dano weitgehend stumm. Im tragikomischen Familienfilm „Little Miss Sunshine“ spielt er den 15-jährigen Bruder, der konsequent die Welt und die Sprache verweigert, bis zu einem unvergesslichen Ausbruch. Der Newcomer Dano fügt sich dabei perfekt ins Ensemble reiferer Stars wie Toni Collette oder Steve Carrell ein.

Er brilliert danach aber auch souverän an der Seite des Giganten Daniel Day-Lewis, im düsteren Meisterwerk „There Will be Blood“ von Paul Thomas Anderson. Paul Dano funkelt in Genrefilmen wie „Looper“ oder „Prisoners“ in eindringlichen Nebenrollen, er begeistert als junger Beach Boy Brian Wilson in „Love & Mercy“ und an der Seite von Daniel Radcliffe im irrlichternden Survival-Epos „Swiss Army Man“. Man könnte noch lange über ihn schwärmen, Paul Dano, was für ein fantastischer Schauspieler.

Der gebürtige New Yorker, der seine Karriere auf dem Broadway begonnen hat, kann aber noch viel mehr. Dano ist auch Musiker, Mook heißt seine kleine Band, im Film „Youth – Ewige Jugend“ verkörpert er übrigens wunderbar einen jungen Rockstar, der von Zweifeln zerrissen ist. Vor einiger Zeit hat er auch mit dem Drehbuchschreiben begonnen. Zusammen mit seiner Lebensgefährtin Zoe Kazan adaptierte er einen Roman der Autors Richard Ford. „Wildlife“ spielt im Jahr 1960, lange vor Paul Danos Geburt, aber das Buch lässt ihn nicht los, er beschließt, es auch selbst zu verfilmen.

Szene aus dem Film "Wildlife"

© Praesens Film AG

Es brodelt unter der Mittelklasse-Fassade

Irgendwann im ersten Drittel der Filmversion von „Wildlife“ denke ich mir: Eigentlich ist noch gar nichts besonders Dramatisches passiert, warum spüre ich tief drinnen so ein unbestimmtes Gefühl der Beklemmung? Vielleicht weil das Genre des Familiendramas im Grunde viel gruseliger als sämtliche Horrorfilme, Psychothriller und Science-Fiction-Dystopien ist. Denn wer begegnet schon wirklich irgendwann einmal einem Monster oder Serienkiller? Familie ist dagegen ein Thema, das jeden betrifft. Oder auch traumatisiert.

Carey Mulligan und Jake Gyllenhaal spielen auf fulminant zurückhaltende Weise ein junges Ehepaar in der amerikanischen Provinz der frühen 60er. Unter der Mittelklasse-Fassade von Jeanette und Jerry Brinson brodelt es. Während seine Partnerin sich nicht mehr in die Hausfrauen-Zwänge der Ära unterordnen will, flüchtet er vor belanglosen Nebenjobs mitten in die Gefahr. Jerry will als freiwilliger Feuerwehrmann bei Waldbränden mithelfen, ein schlecht bezahlter und gefährlicher Job, der ihn aber scheinbar seine brüchige Männlichkeit spüren lässt.

„Wildlife“ erzählt aber die Geschichte einer mehrfachen Entfremdung. Denn das unterschiedliche Aufbegehren von Mama und Papa geht vor allem auf Kosten von Sohn Joe, aus dessen Perspektive weite Strecken des Films erzählt werden. Der Newcomer Ed Oxenbould besticht ganz subtil als 14-jähriger Junge, dem seine Eltern unaufhaltsam entgleiten.

Szene aus dem Film "Wildlife"

© Praesens Film AG

Überhaupt ist die Schauspielerführung top, lässt der Spitzendarsteller Paul Dano als Regisseur seinem Ensemble viele Freiheiten. Trotzdem versucht sich keiner der Akteure plakativ in den Vordergrund zu drängen. Es gibt nur wenige Schreiduelle und gezielte Ausbrüche in diesem Film der schmerzhaften Wahrheiten. Die Abgründe der Familie Brinson entfalten sich auf weite Strecken still und leise, dazu passen die statischen, streng-schönen Bildkompositionen.

Hört sich das jetzt fast wie ein hermetisches Drama von Michael Haneke an, in dem die „emotionalen Vergletscherungen“ der bourgoisen Gesellschaft niemals aufgetaut werden? Keine Angst, Paul Dano injiziert in sein Regiedebüt so viel Empathie und Liebe wie auch in all seine Rollen in der vergangenen Dekade. Er weiß nur, dass kontrollierte Reserviertheit manchmal viel mehr unter der Haut geht als Lärm und Gebrüll. Und das passt auch bestens zu seiner Person. Weit weg von Overacting-Exzessen und Celebrity-Eskapaden, arbeitet Paul Dano an ziemlich großer Kunst.

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