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Ein Streamer mit Pappkrone

Robert Glashüttner / FM4

Die TwitchCon Europe feiert die Streamingkultur ab

In Berlin hat Mitte April zum ersten Mal eine TwitchCon außerhalb der USA stattgefunden. Die Leidenschaft der Besucher*innen ist ansteckend, doch der Konzern und die Marke dahinter sind immer spürbar.

Von Robert Glashüttner

„Purple is my favorite color!“, #bleedpurple und ähnliche Sätze und Hashtags waren in den Tagen rund um die erste TwitchCon Europe (13. und 14. April) häufig zu hören und zu lesen. Das Logo und die Firmenfarbe der beliebten Streamingplattform Twitch (Teil von Amazon) stehen stellvertretend für die Lieblings-Streamer*innen, die einem ans Herz gewachsen sind - oder auch für den eigenen Erfolg als Streamer*in. Das eckige Sprechblasen-Smiley auf lila Hintergrund ist für viele zum Inbegriff von Freude und Gemeinschaft geworden.

TwitchCons - in den USA finden sie bereits seit 2015 jährlich statt - sind in erster Linie Community-Treffen zum Sehen und Gesehenwerden. Das Drumherum - eine Expo, E-Sport-Turniere sowie ein Rahmenprogramm mit Panels - schafft zwar Inhalte und Angebote, die die Veranstaltung sichtbar und vermarktbar machen. Doch kaum jemand kommt wegen der Ausstellerfirmen und der Gesprächsrunden hier her - noch dazu, wo die Panels meist sehr grundsätzliche Infos zum Streamer*innen-Dasein bieten, die viele ohnehin schon wissen. Was zählt: Man möchte jene Menschen, die man bisher nur vom Bildschirm kannte und denen man dann und wann in den Chat geschrieben hat, endlich mal in Fleisch und Blut sehen und vielleicht sogar treffen.

„Sei du selbst“ mit ein paar Haken

Je länger man den Streamerinnen und Streamern auf der TwitchCon Europe zuhört, desto mehr wird klar, dass hier für viele ein Traum in Erfüllung geht oder gegangen ist. Auf Twitch können sie, mit der Einhaltung von ein paar Grundregeln, sein, wer sie möchten - egal, ob Pirat oder Prinzessin. Die Authentizität der Streamer*innen überträgt sich wiederum auf das jeweilige Publikum. Man spürt diese Leidenschaft, doch genau sie sorgt auch für die große Diskrepanz zwischen den starken, positiven Emotionen der Menschen und dem Riesenkonzern, der damit berechnend seine Marke stärkt.

Besucher*innen auf der TwitchCon Europe

Robert Glashüttner / FM4

Twitch-Merch gibt es von der Socke bis zur Kappe.

Obwohl Twitch im Vergleich zu Riesenmarken wie Youtube oder Instagram immer noch weniger attraktiv ist, ist die Bindung dazu umso intensiver. Das wird von Twitch/Amazon schamlos ausgenutzt: Obwohl die erste TwitchCon Europe im Messegelände „CityCube“ am westlichen Rand von Berlin noch gar nicht soviel Platz einnimmt, sind überall Merchandise-Stände verteilt. Manche davon verkaufen nur ein paar Artikel. Möchte man das gesamte Sortiment sehen, muss man in die „Loot-Höhle“. Dort geht man aber nicht einfach so rein, sondern stellt sich erst mal in der Schlange davor an.

Dieser Artikel wurde am 16. April um 8:45 editiert.

Viele andere Bereiche der Veranstaltung präsentieren sich ähnlich konsumorientiert - im Gegensatz zu den meisten Panels, die von Streamer*innen für Streamer*innen abgehalten werden und dabei inhaltlich meist ehrlich und direkt sind. Nur manchmal führt die Euphorie über die eigene Kultur dazu, dass man negative Aspekte unterschätzt. Dass erfolgreiche Streamer*innen - trotz all der Leidenschaft und der Freude am Selbstausdruck - einen sehr toughen Job haben, der längere Freizeit am Stück quasi nicht zulässt, ohne die Karriere zu gefährden, wird erwähnt, aber tendenziell unterschätzt. „First of all, I want to say: I love what I’m doing“, ist die defensive Antwort einer Streamerin auf meine Frage, wie sie mit dem hohen Commitment, das nötig ist, umgeht.

Bob Ross-Stand

Robert Glashüttner / FM4

Seit fast 25 Jahren tot und doch hochlebendig auf Twitch: US-Fernsehmaler Bob Ross

Better life with The Hoff

Die Jubelmeldung der TwitchCon Europe ist erst ganz kurz vor der Veranstaltung kommuniziert worden: David Hasselhoff, Deutschlands und Österreichs US-Lieblingspopstar vieler Generationen, spricht in einem Vortrag über „Perfecting the Art of the Hustle“ vor einem Publikum, das alterstechnisch im Bereich seiner Enkel liegt. Naturgemäß füllt sich die große Halle, in der der Talk stattfindet, rasch, und so wird er mit mäßig gutem Ton nach draußen gestreamt.

Auch FM4 ist seit über zwei Jahren auf Twitch aktiv, mit der wöchentlichen FM4 Spielekammerl-Show, donnerstags von 17-21 Uhr.

Der 66-jährige Hasselhoff tritt mit guter Figur, modebewusst weißen Sneakers und mitreißender Mimik auf wie jener Lifecoach-Guru, der er heute ist. Die eigene Lebensgeschichte mitsamt allen Höhen und Tiefen wird genutzt, um seichte Allgemeinplätze als Lebenstipps zu verkaufen. Dennoch gibt es wohl deutlich schlechtere Ratschläge als „Sei du selbst“ und „Lass dich nicht unterkriegen“ - überhaupt dann, wenn sie einen positiv inspirieren.

David Hasselhoff

Robert Glashüttner / FM4

Abseits der großen Pfade

Beim näheren Hinschauen finden sich neben The Hoff noch andere Kuriositäten und unkommerziellere Angebote, die von der Twitch-Markenausschlachtung und den großen Sponsoren und Ausstellern aus der Games-Hardware- und -Software-Branche ablenken. So findet sich etwa ein Bob Ross-Stand, wo auch einige Staffeleien zum kreativen Austoben einladen, ein Indie-Games-Stand („Lonely Mountains: Downhill“) und eine kleine Bühne der Speedrunning-Community.

Speedrunning-Bühne

Robert Glashüttner / FM4

Die Lage ist also alles andere als einseitig-kommerziell im lila Streamingland. Dennoch wäre es erfreulich, wenn Vielfalt auf Twitch künftig mehr in den Vordergrund gerückt werden würde. Die Plattform ist in der Theorie tatsächlich eine Bühne für alle, um sich selbst auszudrücken und eine Gemeinschaft zu finden. Diese Vielfalt mit den Interessen eines Silicon-Valley-Riesenkonzerns in eine einigermaßen stimmige Balance zu bringen, das wird die Herausforderung der kommenden Jahre sein.

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