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Opferstock in einer Kirche

CC0 via Pixabay

mit akzent

Es gibt einen Grund, warum G alles über Europas Kirchen weiß

G kennt die spezifischen Merkmale vieler Kirchen Europas und all ihre Priester. Diener Gottes ist er allerdings keiner. G sieht sich selbst als „Sünder“.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Ich kenne G seit drei Jahren. Als ich ihn das erste Mal getroffen habe, stritt er mit der Polizei. Er wurde verhaftet, weil er sich mit seinem Freund R geprügelt hatte. Er war betrunken, sie haben gestritten und R hat ihn verprügelt. G lächelte mich an und sagte: „Ich weiß, dass du mich am liebsten nicht kennen würdest, da ich ein Stück Scheiße bin. Niemand ist gerne mit Scheiße befreundet.“

Ich weiß nicht, ob er damals wie ein Stück Scheiße aussah, auf jeden Fall ist er einer der Menschen, denen alle schon von Weitem aus dem Weg gehen. Niemand fragt ihn nach Feuer und niemand setzt sich in der Straßenbahn neben ihn. Wenn G nicht ein Stück Scheiße genannt wird, als das er sich selbst bezeichnet, nennt man ihn Sandler, Abschaum oder Penner.

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Die Liste mit solchen Bezeichnungen ist lang. Und was G betrifft, treffen sie alle zu. Wenn er in Wien ist, schläft er im „Park Hotel Vienna“, wie er selbst sagt. Das heißt, dass er auf einer Parkbank schläft. Sonst reist G viel durch ganz Europa. Er kennt alle Kirchen auf diesem Kontinent. Er kann euch lange über „Santa Maria dell’ Ammiraglio“ in Palermo erzählen, oder über „San Idelfonso“ in Toledo, oder „Saint Gery“ in Arras, und das mit solch einer Fülle an Details, dass ihr glauben könntet, G sei ein Pilger mit dem Ziel, alle Kirchen in Europa zu besuchen.

G kennt die spezifischen Merkmale aller Kirchen und kennt alle Priester. Sein Gedächtnis ist so gut, dass er auch vom Geruch jeder Kirche berichten kann, was unmöglich erscheint, da er selber ziemlich streng riecht. Jede seiner Erzählungen über die Kirchen endet mit dem gleichen Satz: „Und am Ende wurde ich geschlagen.“ Und er lächelt mich an. Man könnte glauben, er ist ein Märtyrer oder einer, der sich selbst bestraft, um Gott zu dienen.

Die Wahrheit ist, dass G alle diese Kirchen kennt, weil er von der Kirche stiehlt. Er stiehlt auf eine ganz einfache Weise – aus den Spendenboxen. Er nimmt einen Plastikstab mit Tixo am Ende und steckt ihn in die Boxen. Was darauf kleben bleibt, gehört ihm. Deshalb kennt er alle Kirchen. Und die Schläge bekommt er, wenn man ihn erwischt. Und früher oder später wird er überall erwischt.

Ich dachte an G, als ich die brennende Kathedrale in Paris sah. Das ganze Geld, das G verdient, schickt er an seinen Sohn. Sein Sohn ist heroinsüchtig und in einer Entzugsklinik. Das Geld, das man in Reims oder in Madrid der Kirche spendet, wird für Methadon verwendet. G behält sich selbst ganz wenig, um sich Vodka zu kaufen.

G beschwerte sich nicht, als ihm sein Freund R bei der Prügelei die Nase brach. „Ich habe es verdient“, sagte er, „Ich bin ein Sünder und gehöre geschlagen! Schlag mich auch!“ Ich schlug ihn nicht.

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