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Schwangerschaftsbauch

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Wer entscheidet über meinen Bauch?

Die Abtreibungsdebatte ist neu entfacht. Am Dienstag diskutiert das Parlament eine von Regierungsmitgliedern unterstützte Petition, die Verschärfungen bei Abtreibungen, speziell bei Spätabtreibungen nach dem 3. Monat, durchsetzen möchte. Kritiker*innen deuten das als Angriff auf die Fristenlösung.

Von Claudia Unterweger

Mehr als 60.000 abtreibungskritische Unterschriften liegen auf dem Tisch. Auch jene von prominenten Mitgliedern der Regierungsparteien: FPÖ-Verkehrsminister Norbert Hofer, ÖVP-Abgeordneten Kira Grünberg und Ex-Landeshauptmann Erwin Pröll unterstützen die Bürgerinitiative #Fairändern. Diese fordert, dass Frauen vor einem Schwangerschaftsabbruch zu einer Bedenkzeit verpflichtet werden, und dass Spätabtreibungen von voraussichtlich schwer behinderten Kindern verboten werden.

Aktuelle Gesetzeslage: In Österreich gilt seit fast 45 Jahren die Fristenlösung. Abtreibungen sind bis zur 14. Schwangerschaftswoche straffrei. Bis kurz vor der Geburt sind jedoch auch Spätabtreibungen erlaubt, wenn Gefahr für Leben und Gesundheit der Mutter besteht oder das Kind mit schweren Behinderungen auf die Welt kommen könnte.

#KeinenMillimeter gegen #Fairändern

Abtreibungsgegner*innen gegen Frauenrechtler*innen: so lautet das klassische Match in der seit Jahrzehnten immer wieder aufflammenden Diskussion um Schwangerschaftsabbrüche. Aktuell mobilisiert seit einigen Wochen das Pro Choice-Bündnis #KeinenMillimeter öffentlichkeitswirksam gegen Einschränkungen bei der Gesetzeslage zu Abtreibungen. Frauenrechtsvereine sowie Vertreter*innen des Frauenvolksbegehrens und der Oppositionsparteien unterstützen diese Kampagne. Mehr als 18.000 Unterschriften haben sie bisher gesammelt.

Eine Gruppe, die in der Debatte zu Spätabtreibungen von Embryos mit schweren Fehlbildungen kaum öffentlich zu Wort kommt, sind Vereine von Menschen mit Behinderung.

Behindertenvereine kaum gehört

„Wir sind dagegen, dass zwischen behinderten und nicht behinderten Ungeborenen unterschieden wird. Frauen müssen über ihren Körper selbst bestimmen dürfen, aber dass Kinder mit schweren Behinderungen bis zum 9. Monat abgetrieben werden dürfen - das kann’s nicht sein“, sagt Cornelia Scheuer vom Verein BIZEPS, einem Beratungszentrum von und für Menschen mit Behinderungen und deren Angehörige.

Cornelia Scheuer von der Behindertenorganisation BIZEPS

BIZEPS

Cornelia Scheuer von BIZEPS

Österreich verstoße mit dieser Ungleichbehandlung gegen die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen, sagt die BIZEPS-Sprecherin. Ähnlich sieht das auch Carina Marie Eder, die Vorsitzende der abtreibungskritischen Plattform #Fairändern:

„Die Meinung, dass Menschen mit Behinderung weniger wert sind, ist auch gesetzlich verankert. Das ist eine krasse Diskriminierung.“

Schwangerschaftsabbrüche stehen in Österreich bis heute im Strafgesetzbuch. Aufgrund der Fristenlösung bleiben sie innerhalb der ersten 3 Monate aber straffrei. Danach ist eine Abtreibung nur aus schwerwiegenden medizinischen Gründen und mit Genehmigung durch ein Ärztegremium möglich. Mehr als 100 Spätabtreibungen gibt es pro Jahr am AKH allein, 400 bis 500 sollen es in ganz Österreich sein.

Allerdings lässt die Hälfte der betroffenen Frauen derzeit bereits den Spätabbruch in Abtreibungskliniken im Ausland durchführen, weil ihnen die behandelnden Ärzte in Österreich eine Spätabtreibung verweigern, erklärt Christian Fiala vom Ambulatorium für Schwangerschaftsabbruch. Eine massive Einschränkung von Spätabbrüchen könnte zu einem weiteren Anstieg des „Abbruchtourismus“ führen, befürchtet Peter Husslein, Gynäkologe am AKH. Darüber hinaus könnten in Zukunft deutlich mehr Kinder in einem Frühstadium der Schwangerschaft auf Verdacht hin abgetrieben werden, so Husslein. Kinder, die sich bei fortschreitender Schwangerschaft als gesund herausstellen.

Dem hält BIZEPS-Sprecherin Cornelia Scheuer entgegen, dass bereits heute oft auf Verdacht hin abgetrieben würde, da es bei Pränatal-Diagnosen keine hundertprozentige Sicherheit gäbe. Es gehe bei den Untersuchungen rein um die Frage: behindert - ja oder nein? Und Abtreibung - ja oder nein? Mediziner*innen stehen außerdem unter Druck aufgrund der „Kind als Schaden“-Rechtsprechung. Ärzt*innen können bei einer Fehldiagnose zu Schadenszahlungen verurteilt werden, sollte ein Kind behindert auf die Welt kommen und Ärzt*innen dies nicht erkannt oder erwähnt haben.

Feigenblatt Behindertenrechte?

Dass Spätabbrüche in Zukunft verboten werden könnten, außer wenn Leben oder Gesundheit der Mutter in Gefahr sind, das treibt Pro Choice-Aktivist*innen auf die Barrikaden. Wie die feministische Journalistin und Bloggerin Nicole Schöndorfer in ihrem Podcast „Darf sie das?“ kundtut. Sie vermutet, den Unterstützer*innen von #Fairändern gehe es in Wahrheit um Kontrolle über die Körper von Frauen und gar nicht so sehr um Behindertenrechte:

„Was soll man davon halten, wenn Spätabtreibungen von vermeintlich behinderten Kindern verboten werden sollen, aber gleichzeitig von der schwarzblauen Regierung Strukturen zerschlagen werden, die für Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben möglich machen?“

„Wir sind nicht die Regierung“, entgegnet die Vorsitzende der Plattform #Fairändern. Man könne nicht beeinflussen, wie die Unterstützer*innen aus den Reihen der Regierungsparteien politisch entscheiden. Carina Marie Eder sagt, auch sie sähe politischen Handlungsbedarf, vor allem bei der Unterstützung von Eltern behinderter Kinder.

Nicole Schöndorfer

Nicole Schöndorfer

Nicole Schöndorfer nimmt Stellung zur Initiative #fairändern.

Abtreibung immer noch ein Tabuthema

Auch jenseits des Themas Spätabbrüche steht fest: Der Zugang zu Abtreibung allgemein ist oft jetzt schon je nach Region schwierig. In Westösterreich gibt es keine Abbrüche an öffentlichen Spitälern. Für die jährlich 800 bis 1000 Frauen, die in Tirol abtreiben, steht – ebenso wie in Vorarlberg - ein einziger Wahlarzt zur Verfügung. In Kärnten sind es gerade einmal zwei Ärzte. Viele Mediziner verweigern Schwangerschaftsabbrüche, sie fürchten um ihren Ruf.

Auch die Kosten für einen Eingriff sind in Österreich nicht unerheblich. Während etwa für sozial schwache Frauen in den meisten Ländern Westeuropas Abtreibung (und Verhütung) kostenlos auf Krankenschein möglich ist, muss eine Frau in Österreich für einen Eingriff zwischen 500 und 1000 Euro hinblättern. Schätzungen gehen dennoch von 35.000 Abbrüchen pro Jahr aus, damit liegt Österreich im europäischen Spitzenfeld.

Um die schwierige Entscheidung für oder gegen ein Kind treffen zu können, bräuchte es mehr unabhängige Beratungsstellen, fordert Cornelia Scheuer von BIZEPS. Speziell für Eltern, die ein behindertes Kind erwarten: „Das Kind ist vielleicht anders, aber das ist nicht das Ende der Welt. Meine Mutter hat es auch geschafft. Sie hätte sich allerdings mehr Unterstützung erwartet. Nicht nur einen medizinischen Blick auf die Defizite, sondern mehr Unterstützung in die Richtung, was alles möglich ist.“

Initiative #fairändern

Initiative fairändern

Die Initiative #fairändern sorgt für kontroverse Diskussionen.

Mehr Information für Schwangere, etwa über Adoptionsfreigabe als Alternative zur Abtreibung, das will die Pro Life-Initiative #Fairändern. Doch ins Parlament bringen möchte man auch die Forderung nach einer verpflichtenden dreitägigen Bedenkzeit für Schwangere zwischen Anmeldung und Durchführung einer Abtreibung. Darin sehen #KeinenMillimeter-Unterstützer*innen wie die Journalistin Nicole Schöndorfer eine Bevormundung der Frauen in ihrer Entscheidung und einen Angriff auf die hart erkämpfte Fristenlösung.

Fristenlösung unter Beschuss?

„Wenn eine schwangere Frau sagt, sie will abtreiben, dann hat sie sich das gut überlegt und will das rasch hinter sich bringen. Ihr zu sagen, sie soll in 3 Tagen wiederkommen, nachdem sie sich bereits für eine Abtreibung angemeldet hat, ist frauenfeindlich“, so Schöndorfer. Ihr Vorwurf: Über den Umweg der Spätabtreibungs-Debatte wolle man in Wahrheit die Fristenlösung untergraben, indem eine verpflichtende Wartefrist für alle Abtreibungen eingeführt werden soll.

Vorschriften und Verbote seien kontraproduktiv, wenn es darum gehe, die geschätzt hohe Zahl an Abbrüchen zu senken, warnt Schöndorfer: „Schwangere werden niemals nicht abtreiben. Die Frage ist nur, unter welchen Bedingungen sie es tun: unter gefährlichen, hygienisch dürftigen und rechtlich eingeschränkten. Oder unter sicheren und von der Krankenkasse finanzierten Umständen.“

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