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Mumford and Sons @Wiener Stadthalle Mai 2019

Franz Reiterer

Ein sentimentaler Abend mit Mumford & Sons in der Wiener Stadthalle

Mumford & Sons haben in der ausverkauften Wiener Stadthalle das geboten, was ihre Fans verlangen: wenig Experimente, eine Setlist mit allen großen Hits und eine Bühne, die eine Pubatmosphäre herstellen sollte. Unspannend und trotzdem mit Charme.

Von Lisa Schneider

An den Merchandise-Ständen in der Wiener Stadthalle gibt es wie immer alles: T-Shirts mit Retro-Print des Bandnamens, mehr oder weniger hässliche Bandanas und Schals, alle vier Alben von Mumford & Sons, in CD- und in Vinyledition. Es gibt aber auch Strampler und Lätzchen, in cremigem Weiß, mit lieblich-weichem Schriftzug. Die meisten der Fans, die gestern die Wiener Stadthalle bis auf den letzten Platz aufgekauft haben, sind im Elternalter.

Der kometenhafte Aufstieg

2008 spielten Mumford & Sons am Glastonbury Festival. VOR der Veröffentlichung ihres Debütalbums „Sigh No More“. Dieses rollte noch langsam an, sie spielen damit auch am FM4 Frequency Festival in St. Pölten noch gegen drei Uhr nachmittags in der prallen Sonne. Überall noch so ein Hauch von „Ich glaube, ich hab da was entdeckt“. Das war spätestens mit „Babel“, dem zweiten Album 2012, vorbei. Nicht nur ein Grammy, auch Amerika lässt sich einnehmen von dieser erdigen Folkmusik, dem sehr straight getexteten Weltschmerz. Aufgenommen irgendwo in der britischen Haide und verständlich und bereit für alle.

Von einem Folk-Revival, einer „Nu-Folk-Bewegung“ wird genau dieser Jahre geflüstert, Mumford & Sons zählen dazu, mit ihren karierten Hemden, Bart, Hut und Schmäh, als pendelten sie zwischen Omas Stall und den Studios der Majorlabels. Das war aber auch der Deal und das Markenzeichen: So stellen sich Menschen, die keine Ahnung von Marketing haben, andere Menschen vor, die Musik als Handwerk propagieren, mit Schweiß und dreckigen Fingernägeln.

Mumford & Sons sind mittlerweile eine der größten und erfolgreichsten Bands der Welt. Die Tour, die sie gestern in die Wiener Stadthalle geführt hat, ist die „Delta-Tour“, benannt nach ihrem im letzten November veröffentlichten, vierten Album. Holzfällerhemd haben die vier Musiker um Marcus Mumford wahlweise gegen Lederjacke getauscht, Winston Marshall an der Gitarre wäre gern The Edge.

Mit der Bühne mitten im Publikum

Auch was die Bühne angeht greifen Mumford & Sons hoch: sie steht in der Mitte der Halle, das Publikum kann rundherum spazieren und sieht die Band so von allen Seiten. Solche Experimente ist man von U2 oder Muse gewöhnt, aber nicht nur um viel zu viel Geld für Technik zu verprassen, wollten Mumford & Sons mit ihrer mittig platzierten Bühne wieder zurück an den Anfang, in eine Zeit, in der sie nicht geprobt haben, wie Winston Marshall im Interview vor dem Konzert erzählt. Damals sind sie durch alle Londoner und schließlich auch alle englischen Pubs getingelt, Gitarre am Rücken, ein paar Münzen in den Taschen. Jetzt, mit der Monsteraufgabe im Rücken, alle ausverkauften Hallen auch zufriedenzustellen, standen wochenlange Proben an, in denen versucht wurde, Späße, wie ein im Studio neunfach übereinander geschichtetes Banjo, wenn überhaupt irgend möglich, live umzusetzen.

Das aktuelle Album „Delta“ ist dem Vorgänger „Wilder Mind“ nicht unähnlich. Ein bisschen mehr Stadionrock, mehr E-Gitarre, weniger polternd-roh, eher glatt, eher flach. An vielen Stellen Musik für Menschen, die vor zehn Jahren Musik gehört haben, oder die sich mit einer mittelmäßigen Suppe aus Stadion-Pathos und dahinmäandernden Möchtegern-Hymnen zufriedengeben.

Eine Setlist nach dem Geschmack der Fans

Mumford & Sons konnten nämlich schon anders. Das wissen sie, das weiß das Publikum. Und weil sie mittlerweile eine bis ins letzte Detail durchinszenierte Band sind, entspricht dem natürlich auch die gestrige Setlist. Sanft starten wir ins eher schaurige Album „Delta“ mit dem Song „Guiding Light“, ein langweiliger Song über die Liebe. Das macht nichts, der Opener muss, in Anbetracht der Bühne, der vier rundum aufgehängten Screens und der Lichter nicht spannender sein als das. Die Leute staunen noch.

Und da reißt sie auch schon, die akustische Gitarre, und Winston Marshall zupft sein offensichtliches Hassliebe-Instrument, besagtes Banjo, das seiner Band den großen Erfolg gebracht hat. „And it was not your fault but mine / and it was your heart on the line / I really fucked it up this time / didn’t I my dear?“ „Little Lion Man“, die Hymne für die, die ihren Kindern draußen die Strampler kaufen, für die, die sich vor bald zehn Jahren im Festivalsommer verliebt haben. Für die, die damals zwischen hartem EDM, ein bisschen Hiphop und der abdriftenden Gitarrenszene eine neue Lieblingsband gefunden haben, die ihnen die Schlaflieder schreibt. Herzmassage und Schüttelfrost, äh, Gänsehaut, es pumpt durch die Halle, bis auch der letzte von seinem Sitzplatz aufspringt.

Die Lichter sind nicht hell, sie sind sogar nur spärlich und gelblich. So, wie man sich das in einem kleinen, ein bisschen versifften Pub vorstellt. Wir brettern weiter durch die Nacht: „The Cave“, „Lover Of The Light“, Songs der beiden guten ersten Alben, die Stimmung schwappt über, glückliche Gesichter. Die Stampfer und das Getrampel, das Klatschen und die Tränen.

Marcus Mumford, dem der Schweiß über die Stirn ins Mikro tropft, ein hart arbeitender Bär, aber ein lieber, der schmunzelt. Er war nie der größte Texter, gestern, live, ist er der größte Sänger. Der probiert und fordert und hin- und herzuckelt, vom Mikro weg, zum Mikro hin, der flüstert und schreit und trotzdem sitzt jeder Ton.

Seine Stimme bricht natürlich auch auf den neuen Songs nicht, mit denen es weiter durch den Abend geht. Ein bisschen wie: Ihr hattet euren Spaß, jetzt sind wir dran.

Tradition oder Experiment?

Mumford & Sons stehen wie jede Band, der der Durchbruch von Beisl zu großer Bühne zu Stadion gelingt, vor der Wahl: Um die Platitüde zu bemühen, sich entweder „selbst treu bleiben“ und Album nach Album als Kopie seines jeweiligen Vorgängers zu schreiben - das Wanda-Konzept - oder „sich weiterentwickeln, sich ausprobieren und experimentieren“, die Fans erstmal vor den Kopf stoßen, denn: Fans mögen keine Veränderung.

Sei also entweder der Spielball der Leute, die dich lieben und unterstützen. Aber nur dann, wenn du ihnen in diesem Fall den schönen Bluegrass-Folk weiterhin aus dem Ärmel stampfst und schüttelst. Oder probier etwas aus und lass dich wegen hörbar zu wenig Inspiration oder fehlendem Kantenzeigen von den Kritiker*innen zerfleischen. Dass besagtes „Experimentieren“ nämlich nicht selten ein Synonym fürs Abgleiten ins musikalische Fegefeuer ist, haben in dieser Größenordnung vor allem Coldplay mehrfach bewiesen.

Im Fall von Mumford & Sons ist es nur deshalb bitter, weil nicht die Fans, die das immer gleiche fordern, Schuld sind. Das „Experiment Delta“ war einfach keines. Ein bisschen mehr Strom, ein bisschen weniger Melodie, Songs Marke Supermarktkassa, die unbedeutende Playlists anfüttern und in eben diesen untergehen. Das Album bleibt stecken im belanglosen Mittelmaß zwischen den Bandwurzeln und dem, wo sie womöglich eigentlich hinwollten.

Aber, der Abend ist solide gelaufen. Gitarren haben übersteuert, es war teilweise zu laut, teilweise zu leise, und genau diese fehlende Perfektion macht den Charme. Weil Mumford & Sons das Showgeschäft natürlich verstehen, steckt Marcus Mumford bei einem der schwächeren, neueren Songs dann mal eben das Kabel ab und jagt in die tobende Menge. Instagram-Momente für die Ewigkeit.

Es war ein sentimentaler Abend. Nach einer Handvoll Songs rund ums Lagerfeuer, dargestellt von einem mittig aufgestellten Mikrophon, wird noch einmal alles rausgeholt, zuerst gemeinsam mit der Vorband Gang Of Youths, dann mit dem großen Rausschmeißer „I Will Wait“. Dazu Marcus Mumford - und besser lässt sich der Abend nicht zusammenfassen: „This is a song we all can sing together - because it’s fucking easy“.

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