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Artists beim Donaufestival 2019

David Visnjic

Future Pop: So startete das 2. Wochenende beim Donaufestival

Fingerpicking und Harfen, Metalgitarren und Laptops, ausradierte Gendergrenzen und RnB-Trümmer: Godflesh, Yves Tumor, Eartheater, Fatima Al Qadiris und Lucrecia Dalt zerbröseln in Krems alle Grenzen.

Von Michaela Pichler und David Pfister

Es knirscht und blubbert, es schmeckt metallisch: In der Minoritenkirche Krems sitzt die Musikerin Lucrecia Dalt auf der Bühne und spielt sich in liebevoller Akribie durch die luftigen Kompositionen ihres Letztjahres-Meisterwerks „Anticlines“. In ihrer Heimat Kolumbien hat Lucrecia Dalt lange Zeit als Geotechnikerin gearbeitet, sie ist also Spezialistin für Technik und Texturen, Materialien, Mechanik, Hydraulik und Bodenbeschaffenheit und übersetzt dieses Wissen auf magische Weise in Musik. Ihre Stücke wabern als minimalistische Ambient-Wolken durch die Luft und zerbersten bei der ersten menschlichen Berührung zu Staub. Sie suggerieren, dass Lucrecia Dalt von einer Welt weiß, von der wir anderen einstweilen nur träumen können. Wer das zweite Donaufestival-Wochenende beispielsweise bei diesem Konzert begonnen hat, hat schon gewonnen.

Industrial Disneyland

Die Kunst von Alexandra Drewchin alias Eartheater speist sich aus stilistischen wie performativen Brüchen: Auf ihrem dritten Album IRISIRI treffen Industrial-Noises auf Disney-Film-Samples („Inclined), währenddessen bricht die Stimme von Eartheater nicht nur mit Konventionen, sondern reißt auch des Öfteren einfach ab. Der Wunsch zum Umbruch, zum messerscharfen Cut zeigt sich auch in der Performance, die die US-Amerikanerin am Donaufestival abliefert. Anti-Klimax ist hier das Stichwort: „One of the new things that I’m excited to play with in my set is to start very heavy, starting very loud. And then slowly travelling through a landscape that ends up in a very serene place.“

Artists beim Donaufestival 2019

David Visnjic

Eartheater

Die Performance in der Halle 2 startet dem Anspruch der Künstlerin entsprechend deutlich überladen, die Harfenistin Marilu Donovan hält mit filigranen Akkordfolgen gegen technoide Beats, überlappende Sample-Türme und Eartheaters Stimmakrobatik, die mal ächzt, mal glasklar in höchste Höhen reist, dann wieder seufzend in den Abgrund fällt. Bei so viel Reizüberflutung schneidet der inszenierte Cut in der Performance umso tiefer: Während die Dezibel gemeinsam mit den Samples auf der Bühne immer weniger werden, verwandelt sich Eartheater auf einmal in eine Singer-Songwriter-Persona inklusive Akustikgitarre und Fingerpicking-Style. „I am someone different everyday“ singt Eartheater, während sie das Gestaltenwandeln auf der Bühne zelebriert. Während des letzten Songs bricht sie mittendrin dann schließlich tatsächlich ab und ermahnt zwei Personen im Publikum, bitte mit dem Gequatsche aufzuhören. Dafür gibt es verstohlene Zustimmung von einzelnen Zuhörer*innen, die der Anti-Klimax-Reise der Eartheater bis zum Schluss gefolgt sind.

Tanzbares bei Fatima Al Qadiri

Wer von dem ganzen futuristischen Singer-Songwritertum erst wieder runterkommen muss, ist bei Fatima Al Qadiris Performance goldrichtig. Die kuwaitische Künstlerin und Producerin könnte hinter dem DJ-Pult stehen und statisch ihre Beats droppen, das Donaufestival-Publikum würde sowieso ins Dancen geraten: Noch nie war Fatima Al Qadiris Sound tanzbarer wie auf der zuletzt veröffentlichten EP „Shaneera“, die sie am Donaufestival präsentiert.

Artists beim Donaufestival 2019

David Visnjic

Fatima Al Qadiri

„Shaneera“ bezeichnet eine „evil femme queen“, ein Alter Ego und zugleich eine Persona, die in jedem von uns drin steckt. Fatima Al Qadiri holt für ihr Set die böse Königin in all ihrer Hyper-Feminität auf die Bühne, mit glänzender Langhaarperücke, Make-Up-Maske und Diva-esker Gestik.

Im Hintergrund läuft Videokunst, Kristalle glitzern, textiler Taft schimmert. Der clubtaugliche Sound ist mit Grime-Einflüssen und arabischen Viertelton-Skalen aufgeladen, Dem konzeptionellen Habitus einer Fatima Al Qadiri endsprechend steckt allerdings mehr dahinter als nur die Tanzwut der Festivalbesucher*innen herauszufordern. „Shaneera“ spielt mit der vorherrschenden Gender-Binarität in der Golfregion und frönt dem queeren Leben abseits heteronormativer Konventionen. Das Konzept geht auch in der Live-Version auf. Am Ende des Sets gibt es sogar eine Dechiffrierung, als die Hüllen der evil Femme-Diva Shaneera schließlich doch fallen, Fatima Al Qadiri stolz ihre Perücke abnimmt und den Beifall des Donaufestivalpublikums dankend annimmt.

Artists beim Donaufestival 2019

David Visnjic

Godflesh

Laptop Metal

Modernistischer hätte man den gestrigen Donaufestival-Abend mit Eartheater, Fatima Al Qadiri und Yves Tumor nicht programmieren können. Da tut ein Kontrapunkt zu all der jugendlichen Lust an der Auflösung aller Grenzen gut, obwohl den britischen Metal-Veteranen Godflesh mit Gründungsdatum 1988, auch immer die Erweiterung und Ausdehnung ihres Genres am Herzen lag. Godflesh-Chef Justin Broadrick war Metal nie genug. Mit anderen Projekten wie Jesu oder Techno Animal arbeitete er sich auch äußerst behände an Breakbeats, Dub oder Electronica ab. Das hinterließ Spuren, die auch in der aktuellen Inkarnation von Godflesh zu finden sind. Godflesh sind momentan elektrische Gitarre, Gesang, Bass und Laptop. Die repetitive Art und Weise, wie Broadrick seine Metal-Gitarre spielt, erinnert an die deutsche Krautrockband Neu!. Und Neu! waren ja so etwas wie der erste Geburtsfunken für elektronische (Tanz)musik. Eine nostalgische aber dennoch souveräne Zeitreise in die längst vergangene Industrial Metal-Welt.

Diamonds And Pearls

Der aus Florida stammende Yves Tumor will seit knapp zehn Jahren alle Gender und Genre-Grenzen sprengen und hat in Sachen Exaltiertheit und Radikalität auch schon seine/n Ziehvater/Mutter Mykki Blanco überholt. Yves Tumor ist kein Unbekannter beim Donaufestival, sein musikalischer Fleckerlteppich, gewoben aus den Trümmern von HipHop, Soul, Noise und Punk ist atemberaubend. Die Ausradierung aller sexualisierten Klischees ist sein Auftrag.

Yves Tumor

David Visnjic

Yves Tumor

Trotzdem kommt man nicht daran vorbei, dass die absolute Zerschlagung aller Ordnungen als Prinzip auch irgendwann an ihre Grenzen gelangt. Und so ist Yves Tumor 2019 merklich aufgeräumter und auch schaumgebremster als jemals zuvor. Sein Live-Set ist weitestgehend von Feedback und Distortion befreit und Yves Tumor lässt die schönen, melodischen Aspekte fließen wie noch nie. Prince war Yves Tumor ja schon immer wichtig, aber nun will endlich auch die New Power Generation aus ihm heraus. Eine nachvollziehbare Evolution die ihn bis in das Vorzimmer von Leuten wie Kanye West führen könnte. Allerdings muss er dann demnächst die Instrumentals aus dem Iphone schnell gegen eine echte Funk-Band austauschen um seine Träume von Diamonds And Pearls realisieren zu können.

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