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Stefan Kaegi / Rimini Protokoll / Thomas Melle Roboter beim Donaufestival 2019

Gabriela Neeb

Donaufestival 2019: All is love

Kate Tempest, Flotation Toy Warning, Apparat, Rimini Protokoll: Wann ist ein Mensch ein Mensch? Ist Liebe die Antwort auf alles? Das Donaufestival 2019 hatte wunderschöne Antworten auf existenzielle Fragen.

Von Katharina Seidler & Michaela Pichler

Die Künstlerinnen und Künstler des Donaufestivals sind dem „Begriffsmonster Gesellschaft“ (Zitat Programmheft) im Laufe der sechs Festivaltage und –nächte auf unterschiedliche Weise begegnet. Beispielsweise mit einem so nervenzerfetzen, den Verstand auf fast schon besorgniserregende Weise durchbohrenden Noise bei wie das Maximalkrach-Duo Guttersnipe, bei dem der Kremser Stadtsaal wieder zu seinen früheren Lautstärke-Glanzmomenten zurückfand, die man in diesem Jahr mitunter ein wenig vermisste. Oder aber sie traten der zynischen Fratze von Neoliberalismus & Co umso beherzter, und zwar: mit Herz entgegen, so wie vor allem zwei Acts in den vergangenen Tagen.

Flotation Toy Warning beim Donaufestival

Clara Wildberger

Flotation Toy Warning

Der 2. Samstag beim Donaufestival war ausverkauft. Das hatte zum Einen sicherlich mit dem romantischen Indie-Techno-Musiker Apparat zu tun – zu ihm später mehr - zum Anderen mit einem der extrem seltenen Auftritte der britischen Band Flotation Toy Warning in der Minoritenkirche. Zwei Alben im Abstand von 13 Jahren, in fast 20 Jahren Bandgeschichte, soweit das schlanke Werk von Flotation Toy Warning, es wird später draußen am Merch Stand von kaum enden wollendenden Fan-Scharen ausverkauft werden. This band could be your life, das trifft im Fall dieser Londoner und ihrer Kammer-Popmusik der Liebe mehr zu als bei allen anderen Acts des diesjährigen Donaufestivals: Ihre eineinhalb bis zehnminütigen Hymnen schwingen sich von psychedelischen Gitarren und Spielzeugsounds hoch in die schwelgerischsten Höhen, zu Chören und Trauertrompeten. Für Zynismus ist in der Welt von Flotation Toy Warning, voll von Brüchen und Menschlichkeit, kein Platz: „Everything that is difficult will come to an end,“ wir wollen es heute glauben.

Flotation Toy Warning beim Donaufestival

Clara Wildberger

Flotation Toy Warning

In der Halle 2 wartet nach dem Hochamt in der Kirche das Gegenprogramm, die hochgehypte DJ und Produzentin Hyph11E aus Shanghai. Bereits am Nachmittag erzählt sie im Interview von den Schwierigkeiten, innerhalb von Chinas „Great Firewall“ an Musik zu kommen und sie zu verbreiten: „Ich habe 2014 Soundcloud entdeckt und es war für mich eine Offenbarung, all die Musik, die man dort entdecken kann. 2015 wurden alle westlichen Social Media-Kanäle in China aber geblockt, Soundcloud, Youtube, Instagram, Facebook, Tumblr, Google, etc. Seitdem müssen wir alle via VPN Clients ins Internet.“

Nun steht Hyph11E außerhalb der Firewall auf der Donaufestivalbühne und beginnt mit Drone-artigen, schweren Geschützen. Nach wenigen Minuten beginnt sich die düstere Szenerie allerdings in den reinsten Club-Himmel zu verwanden: Hyph11E schafft es mit schweißtreibendem Live-Set, bereits um 21.00 die Klimax des ganzen Festivalabends zu erreichen. So viel energetische Club-Atmosphäre, die zu ekstatischen Tanzeinlagen in den Reihen führt, hätte natürlich am besten als Mitternachtseinlage in die Donaufestival-Primetime gepasst.

Donaufestival Hyph11E

David Višnjić

Hyph11E

Uncanny Valley

An einem Tisch sitzt Thomas Melle und zeigt Kinderfotos auf einer Leinwand. Er spricht wie Thomas Melle, sieht aus wie er und bewegt sich wie er, nur, dass es sich nicht um den deutschen Schriftsteller handelt, sondern um einen Roboter-Nachbau von ihm. Was macht den Menschen zum Menschen, um nicht mehr und nicht weniger dreht sich die Performance „Uncanny Valley“ des Künstlers Stefan Kaegi von der Gruppe Rimini Protokoll beim Donaufestival.

Der Mensch und Autor Thomas Melle hat seine bipolare Erkrankung in seinem Buch „Die Welt im Rücken“ eindrücklich verhandelt. Nun sitzt er auf der Bühne als Roboter, und muss sich nicht mehr den immergleichen Fragen und Blicken der Leute stellen: „Wenn Sie gekommen sind, um hier einen Burgschauspieler zu sehen, dann sind Sie falsch. Aber wenn Sie gekommen sind, um das Authentische zu sehen, dann sind Sie hier auch falsch.“

Stefan Kaegi / Rimini Protokoll / Thomas Melle Roboter beim Donaufestival 2019

Gabriela Neeb

Gehörlose können durch Technik mitunter wieder hören. Was wäre, wenn psychische Erkrankungen durch Technik ausgeglichen werden könnten? Ist also der Roboter auf der Bühne, ohne bipolare Störung, die optimierte Version des Menschen Thomas Melle? Der Techniker Robert Lässig, der den Roboter in Betrieb genommen hat, drückt es eher pragmatisch aus: „Er kann sich bewegen, das ist es. Eigentlich ist es nur eine mechanische Skulptur.“ Die Performance „Uncanny Valley“ stellt grundlegende Fragen: Was macht uns zum Menschen? Können wir Mitleid mit einer Maschine empfinden? Applaudieren wir am Schluss, auch wenn wir wissen, dass auf der Bühne eigentlich „niemand“ sitzt - und wenn wir es tun, gehorchen wir dann nicht nur selbst einem eingelernten, abgeschauten Mechanismus, so wie das Künstliche Intelligenzen tun? Wir applaudieren.

Apparat

Das Donaufestival lebt von Kontrasten. Diese These entfaltet sich in all ihren Facetten auch am Samstag, wenn zum Beispiel nach dem expressionistischen Krachmachduo Guttersnipe der deutsche DJ und Producer Sascha Ring alias Apparat mit seiner Band als Headliner auf der Bühne steht. Angetan in der Standard-Indie-Boy-Kluft - schwarze Skinny-Jeans und das dazu passende schwarze Basic-T-Shirt - mimen die Apparat-Akteure eine klassische Männer-Band-Kombo. Klassisch in dem Sinne, dass auch Streicher, Blechblasinstrumente und sogar Mandolinen mit im Spiel sind.

Donaufestival Apparat

David Višnjić

Apparat

Apparat hat Laptop und Liveset gegen ein Ensemble eingetauscht, um sein neuestes Studiowerk „LP5“ zu präsentieren. „Mit einer Band entstehen die Songs jedes Mal, jeden Abend völlig neu. Und das hat auch zur Folge, dass da manchmal totaler Scheiß dabei rauskommt und es manchmal wahnsinnig gut wird. Dieses Verhältnis ist wahnsinnig ambivalent, aber das ist es auch, was mich motiviert“, erklärt Sascha Ring noch am Nachmittag. In der Praxis manifestiert sich das Zusammenspiel in Harmonie-lastigen Arrangements, gepaart mit Rings Kopfstimme ergibt dies neoklassizistischen Indiepop. Pärchen schunkeln, Leute applaudieren, ein Ipad wird umständlich gezückt, um die Elektronik-Kammermusik fotografisch festzuhalten. Ein allzu braves Ende für einen kontroversen Festivalsamstag.

Donaufestival Apparat

David Višnjić

Apparat

Wenn auditiver Brutalismus und Trance evozierende Polyrhythmen in einer Kirche aufeinanderprallen, sind Deafkids nicht weit. Das brasilianische Hardcore-Trio feiert am Donaufestival seinen Tournee-Ausklang. Power ist das Stichwort für die Dreiviertelstunde Noise-durchtränkten Eskapismus zum Wegdriften. Das fundamentale Epizentrum im Deafkids-Sound bilden polyrhythmische Percussion-Einlagen mit Drums und Bongos. Blitzlichtgewitter und Strobo-Exzess runden das Hardcore-Spektakel ab. Verstohlen bedankt sich der Frontmann mit wallender Mähne vor dem letzten Song beim Publikum: „Thank you, much love, cheers and let’s dance!“ Als der letzte Powerchord noch nicht einmal verklungen ist, fallen sich die brasilianischen Hardliner in die Arme, küssen sich die Hände und gratulieren einander zum gelungenen Tournee-Ende. Die Härte ist vorbei, jetzt zählt nur noch „Much Love“.

Deafkids am Donaufestival

David Visnjic

Deafkids

Kate Tempest

Den idealen Festivalabschluss bildet am Sonntagabend im Stadtsaal dann der Auftritt der britischen Autorin und Wortakrobatin Kate Tempest. Über bisher zwei Alben - die Veröffentlichung des dritten steht unmittelbar bevor - mehrere Lyrikbände und einen Roman hat sich Tempest in den vergangenen Jahren als eine der hellsichtigsten, besonnensten Stimmen ihrer Generation erwiesen. „Europe is lost,“ so lautete die Erkenntnis ihres letzte Longplayers, auf dessen Cover eine schwarzweiße Erde in Flammen steht. Besonders besser sind die Aussichten seither nicht geworden, und dennoch findet die Dichterin ein ums andere Mal Hoffnung und Trost.

Kate Tempests große Kunst ist es, eine nicht nur im Wortsinne klar verständliche Sprache für die Komplexitäten des modernen Lebens zu finden: „Your loneliness is the symptom, not the sickness.“ Die dunkel-bedrohlichen Beats ihrer Songs weichen beim Donaufestival melancholischen Klangflächen, über die Tempest im Duktus zwischen Predigerin und Patti Smith meistens spricht und manchmal rappt. „Our leaders aren’t even pretending not to be demons,“ sagt sie und beschwört umso mehr Liebe, Selbstliebe, Nächstenliebe und Empathie ohne hippieske Naivität, als Rüstung und Rettung. Wie auch immer sich die new society auch entwickeln sollte: „There is so much peace to be found in people’s faces.“ Wer ein Festival mit diesen Worten beschließt, hat alles verstanden.

Kate Tempest am Donaufestival

David Visnjic

Kate Tempest

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