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„Stan“: John Connolly über die eine Hälfte des größten Komikerduos der Welt

„Another nice mess“: Schauspieler, Schreiber, Produzent, Regisseur, Weltstar und Workaholic und siebenmal verheirateter Säufer und Lebemann - in der Biographie “Stan“ nimmt uns Krimiautor John Connolly mit in die schillernd-chaotische Welt des Stan Laurel.

Von Boris Jordan

Von dem Balkon seines Zimmers im Oeana Appartment Hotel blickt Arthur Stanley Jefferson aufs Meer. Stets hatte er gesagt, des Meer sei das einzige was ihn glücklich mache. Und „Babe“. Vor neun Jahren war „Babe“ Oliver Norvell Hardy nach drei Schlaganfällen einer Hirnthrombose entlegen. Mit ihm hatte Stan in 28 Jahren 107 Filme gedreht, für den berühmten Kurzfilm „The Music Box“, in dem die beiden ein Klavier die Stufen hinauf schleppen, hatten sie einen Oscar bekommen. Die beiden waren das berühmteste Komikerduo aller Zeiten: Laurel & Hardy, Stan und Ollie, Dick und Doof.

Er hat das Meer immer geliebt, ist Langzeitgefangener seines mütterlichen Sogs gewesen, deshalb lebt er hier in diesem kleinen Apartment, lebt er hier in Santa Monica, lebt er hier mit seiner Frau, lebt er hier mit dem Traum von dem, der er war und der Wirklichkeit dessen, was aus ihm geworden ist. Er ist alt. Er wird nicht sehr viel länger leben, weder hier noch irgendwo anders. […] Er ist einmal berühmt gewesen. Nein, er und Babe sind einmal berühmt gewesen. Aber Babe ist jetzt tot, und er ist allein. Babe.

Buchcover "Stan" von John Connolly

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„Stan“ von John Connolly Gottfried Röckelein übersetzt worden und bei Rowohlt erschienen.

Der biografischen Roman „Stan“ von John Connolly gruppiert sich um diesem Augenblick, als sich Stan Laurel als alter, nicht sehr wohlhabender Ex-Weltstar in seinem Hotelzimmer erinnert, hauptsächlich, aber nicht ausschließlich an Babe.

Stan erinnert sich an England und das Vaudeville-Theater seines Vaters, an die Überfahrt nach Amerika, zusammen mit Charlie Chaplin, um dessen Anerkennung er sich zeitlebens vergeblich bemühen wird.

Das frühe Hollywood

Stan erinnert sich an all die Intrigen und Kabalen um die Hollywoodstars von Tinseltown, dem jungen Stummfilm - Hollywood, voll mit mittelmäßigen Bühnenschauspieler*innen, Betrügern und hochnäsigen Impresarios, launischen Diven beiderlei Geschlechts und bösen Mafiosi, an Skandale, Morde und Selbstmorde, egomanische Superstars und einsame Genies, von denen er selbst eins gewesen ist.

Stan erinnert sich an abertausende Stunden hochdisziplinierter Arbeit vor und hinter der Kamera, an Schreibmaschine und Schneidetisch, von denen aus der hyperaktive und wohlorganisierte Workaholic Laurel die Erzählweise der visuellen Komödie für immer mitdefiniert hat; an das haufenweise Geld, das er – trotz viel schlechterer Verträge als seine Kollegen Lloyd, Keaton oder Chaplin – verdient und wieder verloren hat, vertrunken und in Scheidungsverfahren durchgebracht – und wie das Chaos in ihrer beider Privatleben gespenstisch parallel verläuft

Die Pointen des Lebens können bitter sein

Ihre Biographien sind zu Widerspiegelungen geworden, jedes Leben eine Reflexion des anderen, ein unendliches Echo. Babe tröstet sich bei anderen Frauen über Myrtle hinweg, er tröstet sich bei anderen Frauen über Ruth hinweg. Wenn die Ehe des einen in Schwierigkeiten steckt, dann ist das auch bei der Ehe des anderen der Fall. Sie reimen sich, sie sind Partner in einem Tanz.

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Filmszenen aus "Stan & Ollie"

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Blödeleien und Bitterkeit: Das Biopic „Stan & Ollie“ zeigt die Schattenseiten zweier Scherzkekse.

Das Privatleben der beiden wird - anders als die Arbeit - dem Laurel and Hardy-Zitat von „another nice mess“ mehr als gerecht: Ein stets am Köcheln gehaltenes Gefühlschaos, ein Leben als Abrissbirne seiner Karriere, seines Ruhms und seiner Gesundheit, an seine sieben Hochzeiten und die drei von Babe, seine unzähligen Affären, seine Trunksucht und Babes Spielsucht, seinen nach neun Tagen verstorbenen Sohn, dessen Tod die Ehe mit seiner großen Liebe in Unsagbarkeit und Unfähigkeit zur Trauer zerbrechen ließ. An seinen – als hätte er selbst diese bittere Lebenspointe verfasst - an Lachgasvergiftung verstorbenen Bruder.

Der unerreichbare Chaplin

Er erinnert sich an Chaplin, den Meister, den Größten, Chaplin, den Pädophilen, Chaplin, das rücksichtslose Schwein, Chaplin, der alles richtig gemacht hatte, was er im privaten Chaos verbockt hatte, an Chaplin, der ihn stets missachtet hatte. Dabei wollte er doch so sein wie er.

Chaplin ist der und das beste was er je gesehen hat. Und Chaplin ist der und das Schlimmste. Da ist kein Frohsinn in Chaplin, jedenfalls keiner, der über den hinaus reicht, den er bei anderen bewirken kann. Chaplin liefert und liefert, aber Chaplin bleibt selbst auf ewig hungrig, Chaplin der Künstler, muss perfekt sein, weil Chaplin der Mensch mit so vielen Makeln behaftet ist.

Die Liebe seines Lebens

Und er erinnert sich an Babe, seine zweite Hälfte, seinen Fels, und all die frenetische Liebe, die diesen beiden Männern trotz ihrer privaten Dummheiten vom Publikum, sei es im Kino oder auf der Bühne, stets wie eine Welle entgegen geschwappt ist, bis zum Schluss, als sie aufgrund von Geldnot und Knebelverträgen gezwungen waren, wirklich schlechte Filme zu machen, und ihr Stern längst verblasst war, als wäre diese Liebe der Fans eine Spiegelung der großen Liebe, die diese beiden Männer zueinander hatten.

Ein einziges Mal, als Oliver Hardy sich in einem Sketch nicht die Frisur zerzausen lassen wollte, hatten die beiden kurz Streit gehabt, es sollte der einzige ihres Lebens bleiben. Nach Hardys Tod schreibt Stan Laurel weiterhin Sketches und Dialoge für die beiden, auf einer Leinwand sollte er ohne „Babe“ nie mehr zu sehen sein.

Eine penibel recherchierte Fiktion

John Connolly, eigentlich ein Krimiautor, hat für diese Buch 10 Jahre recherchiert, teils in Privatarchiven, teils in bereits erscheinenen Biografien und filmwissenschaftlichen Abhandlungen, teils in den öffentlich einsichtigen 18.000 Briefen von Stan Laurel selbst. Dennoch ist das ganze keine „echte“ Biografie, Connolly legt Laurel und den Protagonsiten zuviele Worte und Unflätigkeiten in den Mund, die der nette Hardy und der zurückhaltende Laurel so nie gesagt haben dürften. Wir sind allein mit Stan und seinen Geliebten, allein mit Stan und Ollie bei der Arbeit, allein mit Stan beim Sinnieren über sein Leben. Doch ein unwidersprüchliches Bild wollte der Autor wohl gar nicht schaffen, wie er im Nachwort erklärt: „Dennoch ist ‚Stan‘ letztlich ein Werk der Fiktion. Die Art, in der Stan Laurel auf diesen Seiten dargestellt wird, ist ein Konstrukt, das – wie ich in Kauf nehme - wohl nicht auf einhellige Zustimmung stößt […] Alles was ich sagen kann, ist: nachdem ich dieses Buch fertig geschrieben habe, liebte ich Stan Laurel und Oliver Hardy mehr denn je, mit all ihren Makeln, all ihrem Menschsein, und meine Bewunderung für ihre Kunst war nur noch größer geworden.“

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