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Peter Doherty & The Puta Madres

Thibault Leveque

„I’m not an activist, I’m a fantasist“: Peter Doherty und sein neues Album

Peter Doherty hat eine neue Band: The Puta Madres. Das erste gemeinsame Album ist gerade erschienen, am 20. Mai werden sie es live im Wiener WUK präsentieren.

Von Lisa Schneider

Den Ernest Hemingway-Charme trägt der Eröffnungssong gleichmal im Titel: „All At Sea“. Peter Doherty, der alte Mann am Meer. Und tatsächlich, einerseits ist er gerade 40 Jahre alt geworden, und andererseits hat er sich mittlerweile im Küstenort Margate im Südosten Englands niedergelassen. In den 80er Jahren einmal ein beliebter Urlaubsort der Londoner, ist dort jetzt eher weniger los, man trifft Menschen im Zeugenschutzprogramm, Asylsuchende und verwirrte Jugendliche. Womöglich haben deren Geschichten es Peter Doherty angetan - vor allem aber das schwarze, ungebändigt brandende Meer.

Die Wassermetaphorik kommt in seinen neuen Songs, wie etwa der süßen Klage „Shoreleave“, zum Tragen - aber auch in schon älteren Stücken, wie dem eigentlich für The Libertines geschriebenen, anfangs erwähnten „All At Sea“.

Auffangbecken Musik

Ist ein wegen Drogen- und Alkoholexzessen verrufener, brillanter Rockstar wie Peter Doherty in besagtem Alter angekommen, wird er von Journalist*innen gern gefragt: Wieso denn jetzt der Neustart? Wieso eine neue Band? Dabei ist auch das Zusammensammeln seiner Puta Madres (englisch sehr poetisch mit „Motherfuckers“ zu übersetzen) ein eher zufälliges Zusammenwürfeln gewesen. Sein französischer Bassist Miggles spielte ehemals in der Band The Parisians, wurde dann obdach- und arbeitslos. Bis Peter ihn aufgegabelt hat. Lass uns eine Band machen.

Eine ähnliche Geschichte führt Schlagzeuger Rafa in die Band, er hat in Barcelona auf der Straße gelebt und für Touristen gespielt. Nach einem gemeinsamen Jam in der Fußgängerzone war klar, auch er muss in die neue Band. Ebenso wie Miki Beavis und Katia DeVidas.

Cover Album Peter Doherty & The Puta Madres

Strap Originals / Cargo

Das erste, selbstbetitelte Album von Peter Doherty & The Puta Madres erscheint via Strap Originals / Cargo.

Ein kleines Auffangbecken von aus der Gesellschaft Ausgestoßener - eben so, wie Peter Doherty sich selbst sieht. „Die Gesellschaft hat keinen Platz für Leute wie mich“, erzählt er in einem Interview. „Ich bin kein Aktivist, sondern ein Fantast“. Von und für Bücher, Filme und Musik leben: Seine eigene, manchmal utopische, manchmal schrecklich nah an der realen Welt gebauten Songtexte prägen Peter Dohertys Musik seit den frühen 2000er Jahren.

Von Lou Reed bis Oasis

Im Song „Someone Else To Be“ schleicht sich etwa wieder das ein, was man das Spiel mit Selbstironie und Einsicht nennen könnte. „Looking for another chance / Someone else to be“: In andere Rollen schlüpfen, um bei Verstand zu bleiben. Musik machen, um bei Verstand zu bleiben. In eben diesem Song führt Peter Doherty sein musikalisches Erbe zusammen. Dass er zu Lou Reed und seinen Velvet Underground hinüberschielt, und dabei ein fast vergessenes Demo der Band neu verpackt, ist die eine Sache (Reed’sche Anleihen gibt es etwa auch auf „Narcissistic Teen Makes First XI“ zu hören). Seine großen Helden, Liam und Noel Gallagher, fließen weniger subtil hinein. Das große „Don’t Look Back In Anger“ wird wörtlich zitiert, und daraus die wahrscheinlich beste Zeile: „Please don’t put your life in the hands / of a rock’n’roll band / who threw it all away“.

Oasis-Zitate sind keine große Überraschung im Oeuvre Dohertys, schon live hat er die Band mehrmals gecovert. In dem Moment kommt einem auch wieder das legendäre Youtube-Video in den Sinn, der damals 18-jährige Peter Doherty steht als einer von vielen an, um im Plattenladen seines Vertrauens das Oasis-Album „Be Here Now“ am Releasetag in die Hände zu bekommen. Mit viel Glück bekommt ihn ein damaliger MTV-Reporter vors Mikro und macht wohl das kürzeste und beste Interview seines Lebens. Peter Doherty, gerade die Uni und damit sein Literaturstudium geschmissen, und noch wichtiger, gerade seine erste Band The Libertines gegründet, erklärt ein bisschen verpeilt und klug wie immer, warum Oasis die Band der Stunde ist. Er bezieht sich auf Umberto Eco: “Noel Gallagher is a poet, and Liam is a town crier”, also eine “perfect combination”.

Dass Peter Doherty in diesem Moment sehr gut beschreibt, was ihn und seine Musik selbst fünf, zehn, fünfzehn Jahre später ausmacht, ahnt er zu diesem Zeitpunkt vermutlich noch nicht.

„I really don’t want to die“

Ein bisschen weniger scharfzüngig, ein bisschen gelassener klingt Peter Doherty auf seinem Album mit den Puta Madres. Mit „Oh my, you’re so rock’n’roll“ scheint er sich auf „Who’s Been Having You Over“ selbst zu belächeln. Oder doch die anderen? Wo steht Peter Doherty, gealtert und ergraut in einer Welt der properen George Ezras und Ed Sheerans? „You’ll need a miracle / another fucking miracle“. Oder eben ein paar gute Songs.

Die schrägen Töne aus Mund und Gitarre, die am Gaumen klebende Zunge, der Nuschelgesang: Peter Doherty erfindet sich natürlich nicht neu. Sein Album mit den Puta Madres packt zwar jetzt auch die Geige und verstärkt Keyboards oben drauf, der nicht unbedingt refrainlastige, mäandernde Gesamteindruck zwischen britischer Gitarrentradition und DIY-Ästhetik ist aber durchaus mit seinen Babyshambles sowie seinen beiden vorangegangenen Soloplatten vergleichbar.

Die Liebe zu Peter Doherty von Seiten seiner Fans hat sich schon immer zu einem nicht unwesentlichen Teil aus der Angst, ihn zu verlieren, gespeist. „I really don’t want to die“, hat er in einem für seine Verhältnisse sehr ausführlichen Interview mit NME erzählt. Und tatsächlich klingt sein neues Album, als hätte er - vielleicht nicht mit der Welt, aber mit sich selbst - seinen Frieden gemacht. Auch deshalb heißt der vielleicht beste Song des neuen Albums pragmatischerweise „Paradise Is Under Your Nose“. Ein Duett gesungen mit Jack Jones, der auch schon gemeinsam mit The Libertines auf der Bühne gestanden ist: „Don’t go too far / stay right where you are / joy is wherever you go.“

Am 20. Mai spielen Peter Doherty & The Puta Madres im Wiener WUK. Die Chancen, dass er diesmal tatsächlich auftaucht, sind immerhin gestiegen: Kurz nachdem er sich einen Igelstachel an der Hand eingezogen hat, hat er schon wieder Shows in England gespielt. Es wäre sehr schön, seine Fans warten: Das WUK ist ausverkauft.

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