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Vielstimmigkeit und Experiment: The National und ihr neues Album „I Am Easy To Find“

Wer nicht wagt...: The National und ihr neues Album „I Am Easy To Find“.

Von Lisa Schneider

I know shit about music“. Gute Geschichten beginnen nicht selten mit guten Sätzen. Diesen etwa hat der amerikanische Regisseur Mike Mills als E-Mail an Matt Berninger, Songschreiber und Sänger der Band The National, geschickt. „Sleep Well Beast“, das 2017 veröffentlichte, letzte Album von The National ist zu diesem Zeitpunkt gerade veröffentlicht worden, und Mike Mills bietet an, ein Musikvideo für die Band zu drehen. Matt Berninger hatte eine andere, eine bessere Idee.

Ein Film, ein Album: „I Am Easy To Find“

Viel Material von „Sleep Well Beast“ ist übrig geblieben. Matt Berninger schickt Mike Mills einige der Songskizzen, dabei sind etwa „Light Years“, „The Pull Of You“, „Quiet Light“ und „Rylan“. Letzterer ist ein Song, den The National schon lange im Live-Repertoire haben. Inspiriert davon entwirft Mike Miller statt eines Musikvideos einen Kurzfilm, sieht sofort die mit dem Oscar ausgezeichnete, schwedische Schauspielerin Alicia Vikander vor sich. Gedreht im März 2018 zeigt der Film auf Basis der Songs die Geschichte einer Frau - von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod.

Das neue Album von The National ist kein Soundtrack zum Film, aber Film und Album sind thematisch miteinander verwoben. Wie erwähnt spielt eine Frau die Hauptrolle - und es sind Frauenstimmen, die das neue Album von The National zwar nicht dominieren, aber einen Großteil seiner Stimmung und Wirkung ausmachen.

Neue Vielstimmigkeit und klassische Einflüsse

Die erste, vor einigen Wochen veröffentlichte Single „You Had Your Soul With You“ beginnt, wenn auch zerfranster als zuvor, The National-klassisch: digital verfremdete Gitarren, Klavier, Berningers unverkennbarer Bariton. Kurz nach Minute zwei passiert aber das Unerwartete: Gail Ann Dorsey, ehemaliges David-Bowie-Bandmitglied, singt. Und nicht im Duett mit Berninger oder als backing vocalist.

Schon früh wird also der vielstimmige Charakter des Albums offengelegt: Gail Ann Dorsey ist auf insgesamt fünf Songs vertreten; ebenfalls als Gastsängerinnen sind Lisa Hannigan, Kate Stables, Mina Tindle, Eve Owen und Sharon Van Etten auf „I Am Easy To Find“ dabei. Alleine singt Matt Berninger auf den neuen Songs nur selten.

Er tritt nicht nur als Sänger, sondern auch als Vermittler der Inhalte oft in den Hintergrund. Gail Ann Dorsey ist es deshalb auch, die den stärksten Satz des Songs „You Had Your Soul With You“ formuliert: „You have no idea how hard I died when you left“. Sie interpretiert das The National-Erbe neu: Die emotionale oder geografische Trennung zweier Menschen ist schon immer eines der großen Themen der Band. Wenn nicht das größte.

Dabei bleiben die Texte mal anonym, mal sind sie explizit: „Patti wasn’t lonely / Robert wasn’t lost“ singt Matt Berninger auf „Roman Holiday“ über das legendäre Paar Patti Smith und Robert Mapplethorpe. Es geht um den stürmischen Prozess persönlicher und gleichzeitig gemeinsamer Entwicklung, um eine Beziehung, die ins Trudeln kommt. Matt Berninger ist wie immer ein höchst detaillierter Beobachter alles Zwischenmenschlichen, ob es um Streit auf „Hairpin Turns“ geht („We’re always arguing about the same things“), das Zusammenraufen danach auf „Not In Kansas“ („It was half your fault / so half forgive me“) oder die abschließende Einsicht auf „Light Years“ („And I would always be light years, light years away from you“).

Das Zuhause als Metapher für eine Liebesbeziehung hat Matt Berninger schon oft, am berühmtesten in „Bloodbuzz Ohio“ aufgegriffen. Ohio wird nun gegen Kansas getauscht, ein neuer Sehnsuchtsort, den er noch nicht erreicht hat. Im Song „Not In Kansas“ begleiten Matt Berninger erneut Gail Ann Dorsey, Lisa Hannigan und Kate Stables - die nach seinen einsamen, mal gesungenen, mal gesprochenen Passagen im Dreierchor antworten. Ein Szene wie aus einer griechischen Tragödie: Während er von individuellem Schmerz erzählt, verkörpern die drei Sängerinnen die Menschheit: „If the sadness of your life makes you tired / and the failures of man make you sigh“.

Der Chor ist ein wiederkehrendes Motiv auf „I Am Easy To Find“. Drei der insgesamt 16 Songs sind als Interludes zu verstehen, gesungen vom Brooklyn Youth Choire, mit dem Komponist, Produzent und Gitarrist von The National Bryce Dessner schon mehrmals zusammengearbeitet hat. Er hat die Chor- und Streicherarrangements des Albums ausgearbeitet - und mehr noch als auf „Sleep Well Beast“ sind seine musikalischen Fingerabdrücke auf „I Am Easy To Find“ überall zu hören. Erst vor wenigen Wochen hat Bryce Dessner sein ebenfalls neues Album „El Chan“ - ein Konzert für zwei Pianos und Orchester - veröffentlicht.

Cover "I Am Easy To Find" The National

4AD

Das neue Album von The National heißt „I Am Easy To Find“ und erscheint via 4AD.

Alte Ideen und neue Bandidentität

Aus dem Überschuss an Songs für „Sleep Well Beast“ ist also das neue Album „I Am Easy To Find“ geworden. Nicht nur marketingtechnisch eine kluge Art, im Gespräch zu bleiben - zwei Alben in zwei Jahren bedeutet für eine Band wie The National ein flottes Tempo. Das nah beinander liegende Veröffentlichungsdatum von „Sleep Well Beast“ und „I Am Easy To Find“ schlägt sich auch in musikalisch verwandten Motiven nieder: Mit anklopfendem Drumcomputer und ähnlicher Klavierkombination erinnert „Roman Holidays“ an „The Day I Die“. „Oblivions“ klingt wie die direkte Nachfolge der schwermütigen Ballade „Nobody Else Will Be There“. „Her Father In The Pool“ borgt die untertönige, schwere Stimmung vom Intro von „The System Only Dreams In Total Darkness“.

Die Albumlänge, die ausgekostete produktionstechnische Exzentrik, das plötzliche Abreißen von Songs - vor allem aber die insgesamt 21 mitwirkenden Musiker*innen machen dieses Album zu etwas völlig Außenstehendem im National’schen Bandkatalog. Alte und neue Ideen ihrer Musik fließen hier zusammen, ohne dass das Gefühl eines kompakten Korpus, eines klassisch-runden The National-Albums entsteht. Gerade die Vielstimmigkeit lässt an eine Art Compilation denken.

Weil sich musikalisch vor allem die Single-Auskoppelungen daran annähern, liegt der Vergleich mit Aaron Dessners und Justin Vernons Band Big Red Machine nahe. Die Band, die die beiden im Zuge ihres People Festival gegründet haben, das zeitgenössische Pop- und Experimentalmusik vor allem als Ergebnis von Kollaboration und Kommunikation - zwischen Musiker*innen, aber auch zwischen Genres versteht.

Das offene, vielstimmige Albumkonzept ist gerade in der zeitgenössischen Popwelt nichts Neues, im Ouevre von The National aber schon. Einer Band, die auf 20 sehr erfolgreiche Jahre zurückblickt, aber dabei nicht müde wird, die eigene Identität in Frage zu stellen. Und sie aufzubrechen, wenn nötig.

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