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Beyonce`s "Homecoming"

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Blaskapellen, Gospelchöre und Steel Drums: Beyoncé, Kanye West und Childish Gambino im FM4 HipHop-Lesekreis

Ein ausführlicher HipHop-Lesekreis über Inszenierung, Performance und Film anhand aktueller Projekte von Beyoncé, Kanye West und Childish Gambino - sowie ein Tribut an John Singleton (RIP!).

Von Stefan „Trishes“ Trischler

Auf ihrem Weg zur regierenden Königin des Pop hat sich Beyoncé Knowles nie geschont. Der Kraftakt hinter ihrem Homecoming-Auftritt beim letztjährigen Coachella Festival scheint aber selbst die hartgesottene Performerin an ihre Limits gebracht zu haben. Wie der kürzlich erschienene Konzert-Film zeigt, verlangte die megalomanische Inszenierung auf der großen Pyramiden-Bühne allen Beteiligten viel ab - der unbestrittene Star der Show leistete aber schon auf dem Weg dahin Übermenschliches: Fast auf den Tag genau 10 Monate nach der Geburt ihrer Zwillinge Rumi und Sir betrat Beyoncé die Coachella-Bühne, um an der Seite von gut 200 Musiker*innen und Tänzer*innen ein mit musikhistorischen und ästhetischen Querverweisen durchsetztes Entertainment-Feuerwerk zu zünden. In zehn Monaten musste sich die Sängerin also nicht nur von einer schwierigen Schwangerschaft erholen, sondern auch die komplexen Choreografien, das umfangreiche musikalische Programm und die visuelle Darstellung erarbeiten - und man kann sich vorstellen, dass nichts Wesentliches ohne Beteiligung der Perfektionistin geschehen ist.

Dafür, dass sich die gebürtige Texanerin in der Vergangenheit mit der Kontrolle über ihre Außendarstellung schon verkalkuliert hat, gewährt der Homecoming-Film durchaus persönliche Einblicke und zeigt gar Anflüge von Menschlichkeit bei Queen Bey - aber sie kontrolliert hier natürlich das Gesamt-Narrativ. Umklammert mit schönen Zitaten von etwa Nina Simone, Toni Morrison oder Chimamanda Ngozi Adichie wechseln sich Teile des Konzertes mit Blicken hinter die Kulissen ab. Die Metapher des Homecoming, einer College-Tradition, bei der sich die ehemaligen Student*innen einmal im Jahr wieder bei ihrer Alma Mater einfinden, ist ein Tribut an die historically Black colleges & universities - kurz HBCUs - die sich während der Zeit der Segregation gründeten und bis heute eine wichtige Rolle in der afroamerikanischen Gesellschaft spielen.

Alle bisherigen Ausgaben vom FM4 HipHop-Lesekreis zum Lesen oder als Podcast. Das Buch gibt es im ORF Shop!

Dank den Einblicken in die Denk- und Arbeitsprozesse hinter den zwei Homecoming-Konzerten hat man noch um einiges mehr Respekt für die Vision und die unglaubliche Arbeit, die da drinsteckt. Man muss Beyoncés Musik garnicht übertrieben mögen, um die hier zur Schau gestellte Exzellenz zum neuen Standard dessen zu erheben, was ein Pop-Konzert alles sein kann.

Kanye West und sein „Sunday Service“

Dieses Jahr hätte eigentlich Kanye West der Coachella-Headliner werden sollen. Nachdem der Produzent und Rapper mit seiner Idee einer Riesenkuppel aber die Grenzen des sanitär machbaren überschritt, wurde ihm stattdessen „nur“ ein Hügel am Rande des Festivalgeländes aufgeschüttet. Dort hielt Kanye dann mit großer Band und noch viel größerem Gospelchor - alle übrigens in fliederfarbene Jogginganzüge gehüllt - ein so genanntes Sunday Service, also quasi eine musikalische Ostersonntagsmesse ab.

Diese Gospel-Session hält Kanye, der es ja in letzter Zeit sichtlich nicht leicht hatte, schon länger in seinem Wohnhaus ab, vielleicht auch zu seiner eigenen Heilung. Diesmal trug er sie eben als christliches Sit In nach Draußen, spielte dabei aber nicht die gewohnt zentrale Rolle. Er rappte nur kurz, spielte Samples am Keyboard, sonst ließ er den Chor und Gäste wie DMX, Teyana Taylor oder Chance The Rapper einfach machen. Ist das ein neuer, demütigerer Kanye West, auf den wir uns jetzt einstellen dürfen? Wenn es jemanden gibt, bei dem Prognosen fast nie nicht stimmen, dann jedenfalls er.

Rihanna und Donald Glover im Film "Guava Island"

Screenshot Amazon Prime

Childish Gambino im Film „Guava Island“

Auf der großen Bühne des Festivals in der kalifornischen Wüste war dieses Jahr auch Childish Gambino zu sehen, dessen This Is America in fast allen 2018er Jahrescharts weit vorne war. Der Song ist auch in einem neuen Film zu hören, den der Musiker zeitgleich vorstellte: Guava Island erzählt die Geschichte eines Musikers, der die von bösen Kapitalisten geknechtete Bevölkerung eines tropischen Paradieses mit einem Festival aufheitern will und so zum Revolutionär wird. Die Handlung, die im Lesekreis-Gespräch mit den Worten Disney-Marxismus umrissen wird, und auch Rihanna in der weiblichen Hauptrolle sind aber im Prinzip nur Vehikel für Childish Gambinos Songs. Obwohl hier mit Hiro Murai und Stephen Glover Teile des Atlanta-Kernteams beteiligt waren, wünscht man sich angesichts der sehr ästhetisierten Fiktion doch wieder den surrealen Realismus der Serie zurück und freut sich auf die dritte Staffel (Europa-Tour!).

Und wenn wir uns schon eine ganze Sendung lang mit bewegten Bildern auseinander setzen, verbeugt sich der HipHop-Lesekreis mit Dalia Ahmed, Natalie Brunner, Mahdi Rahimi und meiner Wenigkeit noch von John Singleton. Der afroamerikanische Regisseur, der Ende April an einem Schlaganfall verstorben ist, hat schon mit seinem Erstling Boyz N The Hood die filmische Darstellung der Gang-Kultur auf ein anderes, menschlicheres Niveau gehoben und gewährte mit Poetic Justice oder Rosewood Burning weitere Einblicke in afroamerikanische Lebensrealitäten. Rest in peace!

Der FM4 HipHop-Lesekreis, am Montag, den 13. Mai, in der FM4 Homebase und im Anschluss für 7 Tage im Player.

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