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Nigel Farage

APA/AFP/Oli SCARFF

ROBERT ROTIFER

Der schleichende Medien-Putsch des Nigel Farage

Wenn selbst die BBC sich nicht mehr Satire traut und ein Rechtspopulist offen androht, die Rundfunkanstalt zu „bekämpfen“, dann verlassen wir gerade das Großbritannien, das wir einmal kannten.

Von Robert Rotifer

Ich hab ja eigentlich eine andere Deadline, aber ihr sicher auch, das soll uns also nicht aufhalten hier. Die Sache, die ich nur loswerden wollte, ist:

Das System Großbritannien bzw. das, was man bei aller Kritik an dessen versteinerten Strukturen noch für unumstößliche Mindest-Standards halten durfte, ist gerade akut am Zusammenbrechen.
Wir tun bloß noch so, als wäre es intakt, aus reiner Gewohnheit bzw. weil wir wissen, dass wir sonst ganz dringend was unternehmen müssten. Aber wir haben ja andere Deadlines...

No news for you

Bevor ich nun zur Geschichte selbst komme: Alle Ähnlichkeiten mit Dingen, die sich in Österreich oder Ungarn oder sonstwo zutragen, sind natürlich keineswegs zufällig, aber ich beschäftige mich hier nun einmal mit Britannien.

Es sind zehn Tage, bis hier die EU-Wahlen abgehalten werden, und selten hab ich mich so integriert gefühlt in den letzten drei Jahren, während mir in Fernsehen und Radio Regierungsmitglieder erzählten, wie undemokratisch es sei, dass das britische Volk zu dieser Wahl gezwungen werde, wo es doch schon längst von der Teilnahme daran erlöst sein sollte. Ich muss zugeben, das machte mir eine hämische Freude, denn auf meinem Kühlschrank hängt meine Wahlkarte.

Letzten Freitag saß ich am Schreibtisch und versuchte, meine Arbeit rechtzeitig fertig zu kriegen, bis im Fernsehen die Jahrzehnte alte Satire-Institution „Have I Got News For You?“ anfängt.

Es tut gut, dann und wann so zu tun, als gäbe es noch fixe Sendezeiten und sich einen altmodischen Satire-Fix zu geben, selbst wenn einem dessen völlig konsequenzenlose Ventilfunktion bewusst ist (woran einen die Leute ja amüsanterweise meist durch oberschlaue Postings in sozialen Medien erinnern, ausgerechnet).

Ich komme also ins Wohnzimmer gelaufen und erfahre, dass die BBC die bewusste Sendung einfach abgesagt hat, zunächst ohne Begründung. Aber dann sehe ich diesen Tweet der Redaktion:

Zur Erklärung: Danny Baker ist ein bei vielen meiner Freund*innen beliebter Radiomoderator, der es letzte Woche lustig fand, das Bild eines Schimpansen im Anzug als „royal baby“ zu tweeten und dafür zurecht von der BBC umgehend geschasst wurde (er habe es nicht rassistisch gemeint, hat sich Baker in der Zwischenzeit entschuldigt. Leute, die ich sonst schätze, wiegen seine Kündigung gegen den Verbleib anderer auf, die doch viel schlimmer wären. Eh, aber nein, hilft nicht...)

Heidi Allen wiederum war eine konservative Abgeordnete, ehe sie der neuen, zentristischen Fraktion „The Independent Group – Change UK“ beitrat und zu deren temporärer Fraktionschefin gewählt wurde. Die BBC befand also, ihr Auftritt in der Satire-Sendung so kurz vor einer Wahl könnte als unlauterer politischer Vorteil ausgelegt werden.

Die Macht der Clowns - Die Clowns der Macht

Seit der ursprüngliche Moderator der Sendung 2002 wegen Koksen mit einer Prositutierten gefeuert wurde, wird jede Folge von „Have I Got News For You“ von einer/m anderen Promi aus Politik / Comedy / Medien moderiert.

Dass diese Position durchaus politischen Nutzen bringt, beweisen die Beispiele zweier Männer, die in den ersten paar Jahren dieser neuen Lösung wegen ihrer „exzentrischen“ Art von den Sendungsmacher*innen besonders gern und häufig gebucht wurden: Boris Johnson und Nigel Farage.

Sie verdanken ihren Auftritten in „Have I Got News For You“ während der Nullerjahre einen großen Teil ihres Bekanntheitsgrads und ihres volkstümlichen Rufs. Sie durften riskante Witze verlesen, die andere geschrieben hatte, und wenn diese auf ihre eigenen Kosten gingen, machte sie das bloß sympathischer.

Und genau da liegt der Punkt, wo das Vorgehen der BBC so absurd wird, dass man sich auch als für Verschwörungstheorien nicht empfänglicher Charakter ernsthafte Fragen stellen muss, was in diesem Land eigentlich gerade vor sich geht. Denn ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt, wo die Clowns von gestern das Land zu übernehmen drohen, wird die Clownerei von heute abgedreht.

Die Fähigkeit zur Satire war von Hogarth und Daniel Defoe über Punch bis zu Spitting Image immer ein Zeichen der unantastbaren Selbstsicherheit des britischen Establishments und gleichzeitig sein erfolgreichster Spiegeltrick gewesen.

Britische Satire verkaufte die Illusion eines bei aller Hierarchie in seinem Geist doch zutiefst antiautoritären Landes. Sowas, war die Botschaft nach außen, wäre bei euch zu Hause nie möglich, deshalb sind wir ein Stückchen freier als ihr.

Nicht zufällig wurde Ian Hislop, der Chefredakteur der Satire-Zeitung „Private Eye“ und permanentes Panel-Mitglied von „Have I Got News For You“ vom British Museum beauftragt, unter dem Titel I Object eine ganze Ausstellung zum Thema gewitzte Dissenz zu kuratieren. So geht britische Soft Power.

Dass die BBC nun Hislops Sendung aus Angst vor einem Protest der Brexit-Fanatiker*innen absagt, zeigt daher umso mehr, wie empfindlich geschwächt sie sich fühlt. Aber auch das ist bloß erst die halbe Geschichte.

Denn am Abend vor der abgesagten Sendung war Nigel Farage, heutzutage Anführer einer „neuen“ Partei namens The Brexit Party (UKIP in türkis), zum rekordverdächtigen 33. Mal als Gast in der BBC-TV-Diskussionsshow „Question Time“ eingeladen gewesen, um seine üblichen alten Sprüche zu klopfen.

Die Fernsehshow, die das fragenstellende Publikum im Sinne der „Ausgewogenheit“ auswählt, hat sich im Brexit-Zeitalter als öffentlichkeitswirksames Podium für die Normalisierung xenophober und europhober Ansichten im politischen Mainstream erwiesen. Farage bewegt sich dort wie ein Fisch im Wasser. Er hat den Ton der Sendung in seinen vielen Auftritten schließlich selbst entscheidend geprägt.

Der Tweet, der der Redaktion von „Have I Got News For You“ dazu einfiel, sagt eigentlich alles.

Zwei Tage nach der Absage von „Have I Got News For You“ genoss Farage seinen nächsten prominenten BBC-Slot in der Sonntagmorgen-Polit-Talk-Show von Andrew Marr.

Der Moderator und seine Redaktion hatten ein paar alte Clips vorbereitet, die Farage in Widersprüche verwickeln sollten: Hatte er nicht einst das Außerhalb-der-EU-aber-innerhalb-des-Binnenmarkts-Modell Norwegens gelobt, während er jetzt alles andere als das Verlassen des Binnenmarkts zum Betrug an den Wähler*innen erklärt? Hatte er nicht selbst eine zweite Volksabstimmung gefordert, die er jetzt als Verrat an der Demokratie geißelt? Hat er nicht eine Privatisierung des Gesundheitssystems vorgeschlagen?

Farage tat, was er immer tut. Er ging auf den Fragensteller und stellvertretend gleich auf die ganze BBC los. Und nachher auf Twitter verbreitete er eine Sammlung von Highlights mit dem Kommentar: „Wir kämpfen nicht nur gegen die politische Klasse, sondern auch gegen die BBC.“ (hier nur als Screenshot, weil ich ihm nicht zu noch mehr Twitter Traffic verhelfen will)

Screenshot von Nigel Farages Tweet: "We are not just fighting the political class, but the BBC too."

Twitter

Der Kontext zu all dem:

Nigel Farages Brexit Party führt haushoch in allen Meinungsumfragen für die Europa-Wahlen mit 34 bis 36 Prozent, vor Labour mit knapp über 20 und den Liberaldemokrat*innen mit etwa 12, gefolgt von den Grünen und den Konservativen an fünfter (!) Stelle bei 10 bis 11 Prozent. Heidi Allens „Change UK“ liegen in all diesen Umfragen an letzter oder vorletzter Stelle, noch hinter der nur im bevölkerungsschwachen Schottland kandidierenden SNP.

Die Vorstellung, dass Allens Auftritt den Ausgang der Wahlen entscheidend verändert hätte, spottet somit jeder Realität. Ein pikantes Detail noch dazu: Einmal raten, wer 2014 im Monat vor den letzten Europa-Wahlen bei „Have I Got News For You“ als Gastmoderator im Einsatz war?
Richtig, Nigel Farage.

Wie kommt es also, dass die BBC einem Farage, der sie systematisch verarscht, Plattform über Plattform bietet, dass sie ihm – ihrem größten politischen Nutznießer – ermöglicht, sich als Widerstandskämpfer gegen den Meinungsterror der Öffentlich-Rechtlichen zu stilisieren, während sie sich gegenüber einer vergleichsweise bedeutungslosen Zentristin so operpäpstlich gibt?

Ein Teil der Antwort liegt in der lähmenden Angst der BBC, als jene vom gemeinen Volk abgehobene Institution zu erscheinen, die sie – als paternalistisches Projekt mit dem Motto „educate and entertain“ - tatsächlich immer schon war.
Ein oft übersehener, womöglich wichtigerer Aspekt liegt aber in ihrer Aushöhlung von innen.

Eindeutig: Die BBC pusht Nigel Farage - aber ist es auch wirklich die BBC?

Vor mittlerweile elf Jahren erklärte der Guardian-Journalist Nick Davies in seinem Buch Flat Earth News unter anderem, wie die Eigenproduktionen der Anstalt immer stärker durch außer Haus erzeugte Fremdproduktionen ersetzt wurden. Unter den Öffentlich-Rechtlichen Europas war und ist die BBC eine Vorreiterin dieser schleichenden Privatisierung (finanziert durch öffentliche Gebühren), indem nicht nur Melodramen, Serien oder Krimis, sondern auch Elemente der politischen Berichterstattung an Private ausgegliedert wurden.

Tatsächlich werden weder die Sendung „Question Time“, noch „Have I Got News For You“ von der BBC selbst produziert. Da die erstere davon aber von der BBC über die Jahrzehnte als eine Hausmarke, ja eine Art demokratische Institution eingeführt wurde, gilt sie – im Gegensatz zur Satire-Sendung – gewissermaßen als unantastbar.

Diese geballte politische Macht ist in Händen einer nach Jahrzehnten im Business ziemlich mächtig gewordenen Fernsehfirma namens Mentorn Media.

Wie zahnlos die BBC gegenüber Mentorn ist, zeigte sich schon 2016 anhand des Falls einer „Audience Producerin“ (Publikumsredakteurin) von „Question Time“, die bekannte Rechtsradikale in die Show eingeladen hatte. Vielleicht weil die für „gutes Fernsehen“ sorgen oder vielleicht wegen ihrer eigenen Ansichten, schließlich hatte sie in sozialen Medien Postings rechtsradikaler Seiten geteilt.

Aber nein doch, alles bloß ein Versehen, befand die BBC damals.

Nicht etwa, weil die BBC unbedingt Sympathien zu Rechtsradikalen hegt, sondern weil das Verteidigen von Dingen, die sie selbst aus der Hand gegeben hat, ihre letzte Rolle in diesem Spiel darstellt.

Nigel Farage weiß, dass die BBC keine Weisung an Mentorn Media ausgeben kann, ihn nicht mehr in die Show einzuladen. Zensur wäre das! Köpfe würden rollen! Also kann er dem historischen Vorbild aller öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten munter auf dem Kopf herum tanzen.

Die Mutter des alten Public Broadcasting hat nun eigentlich nur mehr die Aufgabe, ihren guten Ruf zu verteidigen und Verantwortung zu übernehmen, wenn ihre Vertragspartner was versemmeln.

So wie das Gesundheitssystem NHS existiert sie in Wahrheit bloß noch als ein Logo aus drei Buchstaben, ein administratives Gerüst und eine Fassade für privatisierte Inhalte. Man sollte Farage durchaus beim Wort nehmen:

Er wird von innen her weiterhin alles bekämpfen, was an dieser BBC noch öffentlich-rechtlich ist.

Mit den potenziell schwersten Konsequenzen dafür, was an Großbritannien noch demokratisch ist.

Diskutiere mit!

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