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2 schimpfende Männer beschweren sich, Grafik

Pixabay / CC0

mit akzent

Im Deutschkurs lernt man Beschwerdebriefe zu schreiben

Wenn man einen Deutschkurs in Österreich macht, muss man unter anderem lernen, inen Beschwerdebrief zu schreiben. In Bulgarien würden wir dazu sagen: “Beschwer dich beim armenischen Popen!”

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Es ist nicht so einfach, sich schriftlich zu beschweren. Im Lehrbuch gibt es einen Musterbrief. Dort geht es um einen Herrn Schmidt, der auf Urlaub in Mallorca war. Sein Bad war schimmelig, im Hotelrestaurant gab es keine frischen Pfirsiche und statt guter deutscher Musik musste Herr Schmidt lästigen Flamenco hören. Im Flugzeug saß Herr Schmidt neben einem weinenden Baby und konnte nicht schlafen. Außerdem musste er nicht 150, sondern genau 275 Meter bis zum Strand gehen. Deswegen ist er nach seinem Urlaub müde und gar nicht entspannt.

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Für einen Menschen, der in Osteuropa geboren ist, ist so einen Beschwerdebrief zu schreiben eine Riesenherausforderung. Vielleicht hilft das Schreiben von Beschwerdebriefen bei der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft, doch der Bürger des Ostens betrachtet das ganz skeptisch. Im Unterschied zu dem Herrn Schmidt glaubt er, dass sein Brief gar nichts ändern wird: Der Schimmel im Bad wird bleiben, die Pfirsiche im Restaurant werden weiterhin ausbleiben und das Hotel wird auch nicht näher an den Strand rücken. Das mit dem Flamenco ist vollkommen absurd. Wenn Herr Schmidt keinen Flamenco hören will, dann soll er auch nicht nach Spanien fahren.

Auf Bulgarisch sagt man: “Beschwer dich beim armenischen Popen!” Das bedeutet: Sowohl mündliche als auch schriftliche Beschwerden sind sinnlos. Denjenigen, der auf deine Beschwerden hören muss, gibt es gar nicht. Höchstens wirst du ausgelacht. Das habe ich einmal persönlich erlebt: Ich habe vor vielen Jahren an der bulgarischen Schwarzmeerküste gearbeitet. Ein deutscher Tourist beschwerte sich, dass in der Toilette Klopapier fehle. Der Geschäftsführerin des Hotels war das vollkommen egal: “Deutschland ist groß”, sagte sie, “der mag vielleicht nicht wiederkommen, aber sein Nachbar kommt!”

Vielleicht schreiben wir deshalb keine Beschwerdebriefe. Wir glauben, dass sie uns nur schaden können. Ein böser Beamter wird sie sehen und sagen: „Wenn es dir nicht gefällt, dann bleib zu Hause!“ Und dann werden wir abgeschoben. Ein Schuldkomplex verfolgt uns. Und dabei könnten wir eigentlich so schöne Beschwerdebriefe schreiben, die selbst Herrn Schmidt zum Erröten bringen würden. Denn wir sehen Ungerechtigkeiten, die die gewöhnlichen Österreicher nicht sehen, die soziale Ungerechtigkeit und den Alltagsrassismus, und weniger das Fehlen von frischen Pfirsichen im Hotelrestaurant.

Die Schreibübung schaffen viele ganz gut. Das heißt, dass wir unsere Rechte eigentlich ganz gut kennen. Beschwerdebriefe schreiben wir trotzdem nicht mehr.

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