Mögliche Versicherungsprodukte
von Marc Carnal
Nichts, aber auch wirklich gar nichts, ich wiederhole: NICHTS interessiert mich so wenig wie Versicherungen. Wie kann man sich nur ernsthaft mit Glasbruch-Schadenssummen, Nettoprämiengarantien oder Teilkaskobedingungen beschäftigen? Neben Theater-Textflächen, Slam-Beiträgen und Haikus sind mir Versicherungs-Polizzen die meistverhasste Gattung. Und das, obwohl ich mal ein Jahr bei einem Versicherungs-Notruf gearbeitet habe.
Meine Aufgabe war damals, neben einem Telefon zu sitzen und zu warten, dass es läutet. Die Anrufer hatten zum Beispiel Autopannen, sich aus der Wohnung gesperrt oder einen Katarrh in Katar. Kein dummer Witz, sondern ein autobiografisches Fallbeispiel: Tatsächlich rief mal eine Frau an, die in Katar ihre schwere Verkühlung auf Versicherungskosten behandeln lassen wollte, allerdings meine Anmerkung, sie habe einen Katarrh in Katar, nicht zum Wiehern fand. Naja. Wenn ich nun schon von diesem unendlich langweiligen Job berichte, ist das eine willkommene Gelegenheit für eine kurze Folge unserer beliebten Reihe:
PROMI-GEFLÜSTER
Es trug sich nämlich des öfteren zu, dass der stadtbekannte Baumeister Richard L. den Versicherungs-Notruf wählte. Ein jedes Mal hatte er in der Parkgarage seines Einkaufszentrums Scheinwerfer oder Radio seiner Karre zu deaktivieren vergessen und stand mit leerer Batterie da. Zornig befahl er dann, es möge SO-FORT der Pannenservice losgeschickt werden. Einmal machte ich den Fehler, den betagten Baulöwen routinemäßig nach seinem Autokennzeichen zu fragen. Ich musste mir daraufhin minutenlang anhören, was für eine bodenlose Frechheit es von mir sei, von ihm ernsthaft zu verlangen, aus dem Auto auszusteigen, um das Kennzeichen abzulesen. Seine junge Freundin hörte man im Hintergrund flehen, er solle sich doch nicht so aufregen. Coole Story, oder?
Es war definitiv nicht Richard L., sondern Jonathan Franzen, der mal sinngemäß meinte, man solle genau über jene Dinge schreiben, gegen die man sich am meisten sträubt. So gesehen wird es Zeit, dass ich mal einen Text über Versicherungen schreibe. Nichts finde ich uninteressanter, nichts spießiger. Nachdem es aber dem Vergnügen der Leserschaft abträglich wäre, noch öfter zu betonen, wie wenig mich das Thema dieses Beitrags interessiert, zwinge ich mich zu einem konstruktiven Zugang und präsentiere hiermit sieben selbsterfundene Versicherungsprodukte:
Einzelzellen-Versicherung
Ich lebe sehr gesetzestreu. In vielen Fällen korrespondiert die gesetzliche Lage mit meinen moralischen Grundsätzen, in anderen halte ich mich an die staatlichen Spielregeln, weil ich mich vor Polizei & Gericht anscheiße. Ich habe noch nie nennenswert gestohlen, genötigt oder betrogen und plane nicht zu morden, terrorisieren oder erpressen. Sollte ich allerdings dennoch eines Tages vor Gericht stehen und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden, wäre meine größte Angst, jahrelang mit einem Irren in eine enge Zelle gesperrt zu werden. Ich würde daher sofort eine Einzelzellen-Versicherung unterschreiben, um mir im Falle eines Gefängnisaufenthalts eine klaustrophobische Verbrecher-WG zu ersparen.
Gewinnspiel-Versicherung
Im Kleingedruckten von Gewinnspielen heißt es oft, es sei “keine Barablöse möglich”. Das hält mich leider von der Teilnahme ab! Was will ich denn mit irgendwelchen Wochenend-Trips nach Paris, Frischhalte-Dosen oder Alpha Romeos? Eine Kapitalaufstockung begehre ich, keinen Krempel!
Wie wäre es mit einer Art Gewinnspiel-Versicherung, die mir im Falle eines Gewinns einfach die fucking Barablöse zusichert? Den eigentlichen Sachpreis kann das Versicherungsunternehmen ja dann auf willhaben verscherbeln oder als Mitarbeiter-Prämie verwenden.

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Symbolbild Versicherung
Versicherungs-Versicherung
Beim Kauf technischer Geräte wird einem häufig eine Versicherung aufzuschwatzen versucht. Für nur fünf Euro monatlich kann man irgendwelche Garantiezeiten verlängern, zerbrochene Kameralinsen ersetzt bekommen oder Diebstählen gelassen entgegenblicken. Laut meiner Lebenserfahrung ist das aber immer eine Bauernfängerei. Man liest sich den Quatsch doch nie wirklich durch, lässt Laptops lieber von versierten Pfuschern reparieren, als sie für zwei Monate zu entbehren oder vergisst überhaupt, dass man vor Jahren unbedacht irgendwas unterschrieben hat. Die Kosten summieren sich allerdings. Was als Monatsrate lächerlich klingt, läppert sich über die Jahre ordentlich zusammen. Ich wünsche mir daher eine Versicherung, die etwaige monatliche Prämien übernimmt, falls ich versehentlich eine Geräte-Versicherung unterschreibe. Also praktisch eine Versicherungs-Versicherung.
Comedy-Versicherung
Die lachwütigen Massen sind mittlerweile dazu bereit, dreistellige Ticketpreise für ihre liebsten Stadion-Komiker zu berappen. Auch die hundertste Reihe samt Sichtbehinderung im Berliner Olympiastadion ist den gierigen Brüllaffen recht, solange sie Marion Barth einmal im Leben live (auf der Videowall) sehen dürfen. Bei solch teuren Tickets wollen die Comedy-Fans verständlicherweise auf ihre Rechnung kommen. Wenn Bülent Ceylan oder Chris Tall die O2-Worlds und Stadthallen schon nicht mit klassischen Pointen zu beschallen wissen, sollte das Auditorium zumindest an Sprachmelodie und Pausen erkennen, wann der Lachreflex gefragt ist. Das Bemerkenswerte an den Programmen vieler Comedians ist ja, dass diese ohne überraschende Wendungen, geschliffene Witze oder brillante Spitzen auskommen. Die schrillen Unterhaltungsvögel hören einfach alle dreißig Sekunden kurz zu reden auf und signalisieren so den Fans, wann sie lachen sollen. Diesen Effekt könnte sich ein gerissenes Unternehmen zunutze machen und eine sogenannte Comedy-Versicherung anbieten: Für zehn Euro extra bekommen Besucher den gesamten Eintrittspreis zurückerstattet, falls sie während der Vorstellung erwiesenermaßen weniger als sieben Mal lachen müssen.
Das Versicherungsunternehmen wird mit diesem Angebot fette Gewinne einsacken. Die wenigsten Versicherungsnehmer werden während der Veranstaltung an die Klauseln denken und sich selbst zum Beweis dabei filmen, wie sie mit felsiger Miene einen Komiker betrachten. Wer sich Comedy gibt, will ja unbedingt möglichst aggressiv und viel lachen. Sollte es aber jemand darauf anlegen, die Versicherung in Anspruch zu nehmen, sollte der sogenannte Kirchen-Lacheffekt eintreten: Je intensiver man sich bemüht, möglichst nicht zu lachen, desto eher muss man losprusten. Die Comedy-Versicherung wäre also eine lukrative Frechheit, die nicht die Allerfalschesten treffen würde.
Endspiel-Versicherung
So eine Fußball-Weltmeisterschaft kann sich grundsätzlich ordentlich auf Budget und Leber schlagen. Kommt dann auch noch das “eigene” Nationalteam ins Finale, sind horrende Investitionen in flankierende Getränke und fetthaltige Speisen sowie verbrauchte Urlaubstage, gesundheitliche Probleme und Beziehungskrisen die natürliche Folge. Mit einer global angebotenen Endspiel-Versicherung könnten Fußball-Fans die unangenehmen Konsequenzen abfedern. Sollte das angefeuerte Team das Finale erreichen, übernimmt die Versicherung eine Pauschale für Bier, Snacks, Arbeitsunfähigkeit, Diät sowie Paartherapie. Für den Fan würde dieses Angebot einen zusätzlichen Thrill darstellen, für das Versicherungsunternehmen dagegen in Aserbaidschan, Österreich oder Neuseeland üppige Fixeinnahmen.
Australien-Versicherung
Ich war noch nie in Australien und will dort auf keinen Fall hin. Neben der für mich mäßig sympathischen Bevölkerung, öden Kultur und schlechten Kulinarik ist der wichtigste Grund für meine Australien-Ablehnung, dass ich mich fontänengleich anscheiße vor der dortigen Fauna. Als ausgeprägter Arachnophobiker sind es vor allem die zahlreichen Horror-Spinnen, die mich von einer Australien-Reise zurückschrecken lassen. Und auch sonst fleuchen, schwirren und schwimmen dort allerlei unheilvolle Kreaturen umher. Ich habe solch große Angst vor dem fernen Kontinent, dass ich bereit wäre, eine Australien-Versicherung abzuschließen, sofern sie mir im Falle einer Notlandung in Sydney oder Melbourne Schmerzensgeld in fünfstelliger Höhe garantiert.
Masturbations-Lebensversicherung
Zu meinen größten Ängsten zählt die Vorstellung, mit Laptop am Bauch im Bett zu liegen, mir genüsslich einen runterzuholen und dabei im Eifer der Erregung einen Herzinfarkt zu erleiden. Nach einigen Tagen würde man meine Wohnungstüre aufbrechen und dem sanften Geruch der beginnenden Verwesung ins Schlafzimmer folgen, wo mich meine Eltern und meine Freundin mit dem schlaffen, kalten Gemächt in der erstarrten Faust vorfinden würden. Der Laptop wäre im Ruhezustand und man müsste nur kurz das Mauspad streicheln, um sicherzugehen, dass keine schockierende Mail und keine tragische Chronikmeldung mein Herz zum Stillstand brachten, sondern ein Amateurporno russischer oder ukrainischer Provenienz. Der ebenfalls anwesende Inspektor würde meine Eltern fragen, ob er, also ich, denn “sowas” öfter geschaut hätte. Ratlos wären ihre Blicke, bis meine Freundin die Situation mit der zaghaften Antwort “Ja, ich glaube schon” entkrampfen müsste. WAS FÜR EINE SCHRECKLICHE VORSTELLUNG! Ich wünsche mir deshalb eine Masturbations-Lebensversicherung, die meine armen Hinterbliebenen für eine solch grässliche Leichenbeschau wenigstens finanziell entschädigen würde.
Publiziert am 19.05.2019