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Bauarbeiter in Ungarn steht vor kahler Landschaft

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Das große Baggern

Sie versetzen Berge und verändern die Welt: Bergbauarbeiter stehen im Zentrum von Nikolaus Geyrhalters neuem Kino-Dokumentarfilm „Erde“, der leider an der Oberfläche hängen bleibt.

Von Maria Motter

„He moves mountains and turns them to ground again“, singt Lana Del Rey in ihrem Song „How to disappear“ und Nikolaus Geyrhalter hat diesem Typ Mann seine jüngste Kinodokumentation gewidmet: Der österreichische Filmemacher zeigt Bauarbeiter in den USA und Kanada, in Spanien, Italien, Ungarn und auch in Deutschland, wo in Wolfenbüttel Atommüll tief in einem früheren Salzbergwerk gelagert wird.

Menschen mit Maschinen bewegen täglich 156 Millionen Tonnen Boden und Gestein, informiert ein Insert zu Beginn von dem schlicht „Erde“ betitelten Film. Winde, Flüsse und andere Naturkräfte hingegen bewegen täglich 60 Millionen Tonnen Erdoberfläche. Abstrakte Zahlen sind das, nur im Vergleich hat man ein Bild davon. Ein Airbus wiegt 70 Tonnen, ein Afrikanischer Elefant bis zu 6 Tonnen und ein Panzernashorn-Männchen 2 Tonnen. Doch in Afrika und in Asien hat Nikolaus Geyrhalter nicht gedreht. Gefragt, ob er diese Kontinente ausgelassen hätte, weil es bereits hervorragende Dokumentarfilme gebe – zum Beispiel über die Minenarbeiter im Kongo –, erklärte der Filmemacher auf der Diagonale, das wäre dann ein anderer Film geworden. Doch kann man die Ausbeutung der Erde und jene des Menschen getrennt betrachten?

Der Arbeitsalltag am Bau

Wie Spielzeugfahrzeuge wirken die Baumaschinen in den Tableaus, die Geyrhalter liebt und meisterhaft beherrscht. In den Alienlandschaften nehmen vor allem weiße, kräftige Männer Aufstellung. Sie sind Bauarbeiter, Ingenieure, Forscher. Sie sprechen etwa über die demografische Entwicklung Kaliforniens und über ihr Gewissen, was ihre Arbeit anrichtet. Sie erklären ihre Liebe zu den Maschinen, die sie im Sandkasten schon faszinierten und die heute enorme Kraftanstrengungen im Arbeitsalltag erfordern. „I’m basically in a street fight all day with my machine that’s trying to kick my butt all day“, erklärt ein US-Amerikaner. Die Erde sei eine grausame Geliebte, die sich gegen einen zur Wehr setzen würde. Darum habe man große Maschinen mit Pferdestärke, um zurückzukämpfen. Und schließlich hätte man immer Dynamit: „We will win“.

Bagger vor riesigen Marmorblöcken

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Die erotischen Zwischentöne sind nicht zu überhören. In den weltberühmten Marmorsteinbrüchen von Carrara vergleicht ein Arbeiter die äußerste Bergschicht, „die Kruste“, mit der Jungfräulichkeit von Frauen. Die Erde ist in allen Kulturen weiblich konnotiert, das wird aber nicht speziell thematisiert. Nikolaus Geyrhalter lässt die Männer erzählen, stellt Fragen, aber er bohrt nicht nach. Die einzelnen Episoden wirken in ihrer Gesamtheit befremdlich abgehoben und nicht eingebettet in eine kulturgeschichtliche Betrachtungsweise. Der Umbau zu diesen Alienlandschaften ist dafür zu hören und die Schauplätze sind faszinierend bis bedrückend.

Marmorabbau in Italien

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Menschen im Kampf mit der Natur

“Erde“ von Nikolaus Geyrhalter ist seit 17. Mai 2019 in den österreichischen Kinos zu sehen

Die Natur habe Millionen Jahre keine Rücksicht auf uns genommen, wir hätten uns anpassen müssen und würden jetzt für einen kurzen Augenblick im Universum für unseren eigenen Zweck „durch das Fleisch des Gebirges“ durchbohren, sagt ein junger Bergbauarbeiter im Basistunnel am Brenner. Bargen Geyrhalters Dokumentationen bislang stets erhellende Momente, selbst wenn er etwa mit „Homo Sapiens“ wortwörtlich menschenverlassene Gegenden aufsuchte, so ist „Erde“ seine bislang ernüchterndste Arbeit. Alles ist kahlgeschlagen, wird platt gewalzt und abgetragen. Diese Alienlandschaften wirken entrückt.

Nahezu jeder der Porträtierten drückt sein Bedauern über die Zerstörung aus, doch zerstörerisch sei jeder Job heutzutage. Am letzten Schauplatz, in Fort McKay in Kanada, versucht der Film noch einen Turn und stellt der wirtschaftsorientierten Sichtweise eine Indigene gegenüber. Sie ignoriert Stop-Schilder und fährt mit dem Auto minutenlang durch die Gegend. „Wie können sie es wagen, mir zu sagen, ich solle nicht mein eigenes Land betreten? Ich war zuerst da.“

Der Ölsandabbau hier hat einige wenige reicht gemacht und die Flüsse vergiftet. Mit Freunden führt die indigene Frau das Filmteam zu Überbleibseln der ersten Abbauunternehmungen, heute ist der Ort voll Asbest. In der Schlusseinstellung gibt es ein Synchronrollen schwerer Baufahrzeuge: Sie verlassen das Bild. „Erde“ ist ein Bewegt-Bildband. Die Geschichten und Hintergründe zu den Schauplätzen muss man sich bei Interesse ergoogeln.

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