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Tyler, The Creator: Still vom "Earfquake" Video

Tyler, The Creator

artist of the week

Tyler, The Creator is not Flower Boy

Tyler, The Creator ist zurück. Auf seinem selbst produzierten Album „IGOR“ vertont der kalifornische Rapper das emotionale Spektrum zwischenmenschlicher Liebesbeziehungen. Mit unangekündigten Gästen wie Solange, Kanye West, Playboi Carti oder Pharrell Williams. Ein Konzeptalbum, das man sich laut Tyler, The Creator in einem Durchgang ohne Unterbrechung anhören sollte.

Von Alex „DJ Phekt“ Hertel

Ridin ‘round town, they gon’ feel this one
Ridin ‘round town, they gon’ feel this one

Und wie.

Mit einem eindringlichen Synthie-Bass, der nach knapp 15 Sekunden von einem zum Kopfnicken animierenden Beat untermalt wird, eröffnet Tyler, The Creator sein neues Album „IGOR“. Das weckt Assoziationen mit „Colours“ von Ice T oder dem Dead Prez-Gassenhauer „Hip Hop“.

Wenn Lil Uzi Vert dann „Ridin’ round town, they gon’ feel this one“ singt, ist das ein Verweis an die auf der Rückseite des Covers gedruckte „Bedienungsanleitung“ des Albums:

„Don’t go into this expecting a Rap-album.
Don’t go into this expecting any album.
Just go. Jump into it.
I think the first listen works best all the way through.
No skips. Front to back.
No distractions either.
No checking your phone.“

Tyler, The Creator hat sein neues Album selbst produziert. Mit der Vorstellung im Hinterkopf, das Album als Soundtrack während einer Autofahrt durch Los Angeles über gute Lautsprecher zu hören.

Mit „Stank you smelly mucho“ endet sein Tipp, wie man „IGOR“ am Besten konsumieren sollte. Ein Verweis an OutKast, deren innovative Alben ihn ebenso inspiriert haben wie das Werk von Pharrell Williams.

Weniger Rap, mehr Gesang

Nicht stehenbleiben. Erwartungshaltungen brechen. Fans von Tyler, The Creator mussten sich in den letzten Jahren daran gewöhnen, dass sich ihr Lieblingskünstler mit jedem Album neu erfindet. „Goblin“ war nicht „Bastard“. „Flower Boy“ nicht „Cherry Bomb“. Musikalisch und visuell entwickelt der kalifornische Künstler für jedes Projekt eine eigene Sprache. Und steigert sich subjektiv gefühlt mit jedem Release.

Das klingt verkopft, ist es aber nicht. In einem etwas älteren Interview mit FM4-Kollegin Natalie Brunner erzählt er, dass seine Songs und Alben sehr frei, fast intuitiv entstehen. Eine Idee führt zur nächsten, ein Sound ergänzt den anderen. Zufälle und Experimentierfreude triggern den kreativen Prozess.

Wer auf „IGOR“ einen Rap-Texte spittenden Tyler, The Creator erwartet, wird nur bedingt befriedigt sein. Vielmehr lebt er stimmlich seine Liebe zu Soul- und R&B-Platten aus, wie man im Video zur Single „Earfquake“ sieht.

Tyler, The Creator vertont auf seinem neuen Album chronologisch die ganze emotionale Bandbreite des sich Näherkommens. Von der ersten Schwärmerei, zum sich Verlieben, der folgenden Beziehung, Konflikten, Enttäuschungen und der letztendlichen Trennung und der Frage, wie man danach miteinander umgeht. Daher sein Tipp, die Platte von vorne bis hinten in einem Durchgang zu hören.

Bridges & Progressions

Kompositorisch ist „IGOR“ ein aufregendes Album, das mit abrupten Songenden oder Veränderungen im Instrumental überrascht. Tyler ist als Produzent ein Nerd. Song-Progressions, Bridges und Refrains haben es ihm angetan.

Die Bridge bei „I Think“ hat er laut Twitter-Meldung 9 Mal verändert, bis sie für ihn zufriedenstellend war. Diese Liebe zum Detail hört man „IGOR“ an.
Da werden zum Beispiel gesprochene Interludes/Skits vom befreundeten Stand Up-Comedian und Schauspieler Jerrod Carmichael mit Songs verwoben. Eigene, bereits ältere Melodien werden in neuen Songs gecovert. Oder es tauchen Stimmen auf, die zwingend erfordern, in den Liner Nots genauer nachzuforschen, um wen es sich da handelt.

Überraschende Gäste

Die Namen, die man „versteckt“ in den Credits findet, sind durchaus prominent: Solange Knowles, Playboi Carti, Kanye West, Charlie Wilson, Santigold, Pharrell Williams und viele mehr.

Allerdings tauchen die Stimmen der Gäste oft tief eingebettet im Instrumental auf, irgendwo im Hintergrund. Fast wie ein Sample, das der Produzent dezent benutzt.

Stichwort Samples: auch da gibt es ein paar Aha-Momente. Zum Beispiel, wenn Tyler im grandiosen „A Boy is a gun“ ein Sample des Songs „Bound“ der Pondorosa Twins Plus One verwendet.

Das kennen wir doch vom letzten Kanye West-Album? Kein Zufall, denn da war ebenfalls Tyler, The Creator in die Produktion involviert. Naheliegend, dass Kanye auch auf dem Song „Puppett“ von „IGOR“ zu hören ist. Das bereits zweite Feature der beiden.

Einer der wenigen Tracks, auf denen Tyler auf seinem neuen Album durchgängig als Rapper zu hören ist, ist der Energie-geladene Tune „What’s good“.

“Let’s go, let’s go, I ain’t playin’ around
Red nose, red nose, all you niggas is clowns
Niggas turning it up, well, shit, I’m tearing it down
Hard to believe in God when there ain’t no mirrors around
What’s up?”

Die Stimme mit dem britischen Akzent, die man bei genauem Hinhören wahrnimmt, kommt von dem britischen Rapper slowthai. Dessen, gut zur Brexit-Debatte passendes aktuelles Album „Nothing Great about Britain“, kann ich an dieser Stelle ebenfalls empfehlen.

Are we still friends?

Die berühmte Frage, die sich Ex-Partner irgendwann nach der Trennung stellen müssen. Und der Titel des letzten Tracks von „IGOR“. Basierend auf einem Sample von Al Green, mit Jack White an der Gitarre und Pharrell Williams als stimmliche Unterstützung, sucht Tyler, The Creator ein friedliches Ende mit seinem/seiner Ex.

„I don’t want to end the season on a bad episode, nigga, nah“

„IGOR“ ist ein Highlight in der Diskografie von Tyler, The Creator. Es macht Sinn, sich für dieses Album etwas mehr Zeit zu nehmen und die mittlerweile an Singles gewöhnte, meist doch etwas kürzere Aufmerksamkeitsspanne, zur Abwechslung wieder einmal herauszufordern. Ein wunderschönes Konzeptalbum von einem Künstler, der noch vor ein paar Jahren im Interview gesagt hat, dass die Zeit für Alben vorbei sei. Gut, dass Tyler immer das Gegenteil von dem macht, was erwartet wird.

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