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Theresa May

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robert rotifer

Keine Tränen für Theresa May

Die britische Premierministerin hat nun endlich ihren lange geforderten Rücktritt angekündigt. Es gibt keinen Grund zum Weinen. Gar keinen.

Von Robert Rotifer

Eigentlich gibt’s ja gar keine Ausrede. Da schimpft sich einer Journalist und die mit größter Unabwendbarkeit in voller Sicht im Zeitlupentempo auf ihn zugekommene Nachricht trifft ihn immer noch unvorbereitet: „Theresa May tritt zurück, und du hast keinen politischen Nachruf parat?“

Nehmen wir einmal an, ich säße gerade in einem Pub in St. Pancras und meine Antwort darauf wäre „Ja, und was soll ich jetzt tun? In 20 Minuten soll ich The Divine Comedy interviewen und im Zug vorhin bin ich auch nicht zum Schreiben gekommen“, dann würde ich mich einmal kurz beruhigen und Folgendes in die Tasten trommeln:

Ich hab gerade die Fotos gesehen von ihrer Abschiedsrede vor der Downing Street. Sie hat tatsächlich geweint, ja?
Über sich selbst, nur über sich selbst.
So wie damals vor ziemlich genau 40 Jahren, als Margaret Thatcher zur ersten Premierministerin gewählt wurde. Wieso, fragt ihr, sollte eine junge Konservative in Oxford, auf dem Sprung in die frischgebackene Regierungspartei da weinen? Hatte sie vielleicht was gegen die Zerstörung des industriellen englischen Nordens und die Privatisierung aller staatlicher Industrien und Ressourcen? Nein, sie weinte, weil Thatchers Wahl bedeutete, dass sie nicht die erste weibliche Premierministerin werden würde.

Diese von einer Ex-Studienkollegin weitererzählte, legendäre Anekdote, sagt uns zweierlei: Theresa May ist keine Sister (okay, das war Thatcher auch nicht), und sie wollte immer schon diesen Job. Kein Wunder, dass sie weint, jetzt wo feststeht, dass sie ihn noch kürzer innegehabt haben wird als Gordon Brown. Immerhin darf sie noch den Staatsbesuch mit Donald Trump abziehen. Ehrlich, wenn ihr in Theresa Mays Schuhen stündet, der einzige Bonus dieser Situation wäre doch, zu sagen: Okay, ihr wollt mich loswerden, wenigstens muss ich mir nicht mehr von diesem Ekelpaket das Händchen halten lassen. Aber nein, das bisschen Pomp & Pageantry will sie unbedingt noch erleben. Sagt alles, oder?

Theresa May

APA/AFP/Tolga AKMEN

Und damit rasant weiter zu zwei Hot Takes, die uns nicht erspart bleiben werden:

1) Es ist Ende Mai. Es ist the end of May. Ist ein guter Zufall und wirklich lustig. Haben wir auch alle schon darüber gelacht. Herzlich.

2) Die Frau, an der sie alles abgeladen haben, wird von den intriganten Männern in den eigenen Reihen abmontiert, die sie die Drexit-Arbeit machen ließen. Schweine! Sind sie. Ja! Und wie!

Aber: Ich zitiere ein Interview, das ich im Jänner mit der feministischen Bestseller-Autorin Caitlin Moran führte: „Ich kann das als Frau und Feministin sagen: Wenn Theresa May ein Mann wäre, wäre sie nicht mehr an der Macht. Wenn ein Mann so inkompetent wäre, würde man ihm nicht so noble Motive zuschreiben. Die Leute sagen: ‚Mama versucht nur ihr Bestes zu tun, sie tut, was sie kann.‘ Nein! Seht euch ihr Abstimmungsverhalten an: Sie ist eine furchtbare Reaktionärin, sie hat gegen die Ehe für alle gestimmt, gegen Abtreibungsrechte, gegen die Erhöhung der erbärmlichen Sozialleistungen, die Frauen zum Überleben brauchen. Und trotzdem haben so viele Linke Mitleid mit ihr. Ich wünschte, sie wäre ein Typ, dann wäre sie schon lange weg.“

Moran hatte recht. Sexismus strahlt in alle Richtungen, und Mitleid mit der armen Frau ist am Ende auch nur genau das Gegenteil von Respekt. Und den hat Theresa May nie verdient.

Nein, wir haben es nicht vergessen, das „hostile environment“, das sie als Home Secretary in der britischen Einwanderungspolitik einführte, und das so viele seit Jahrzehnten in Großbritannien lebende Menschen aus den karibischen Ex-Kolonien das Aufenthaltsrecht kostete. Dutzende von ihnen wurden deportiert, einige sind seither in Jamaika auf erbärmlichste Art gestorben, verraten und vergessen von dem Kolonialreich, das sie nach dem Krieg als Hilfskräfte auf die Insel holte. Keine Krokodilsträne hat Theresa May für diese Leute vergossen.

Sie war schließlich die Innenministerin, die als Publicity-Stunt Lieferwagen mit der Aufschrift „Go Home“ durch von (mutmaßlich illegalen) Einwander*innen besiedelte Gegenden fahren ließ. Wer braucht da noch Farage? (Antwort: Farage wurde bloß noch radikaler, so wie die radikale Rechte das immer tut, wenn der Mainstream ihr folgt).

Und jetzt zu Brexit und Mays Zeit als Premier: Nein, sie stand nicht vor einer unmöglichen Aufgabe. Sie hatte die Möglichkeit, die beiden Seiten des gespaltenen Landes zusammenzuführen. Konstruktiv sein. Mit allen reden. Gemeinsames finden.

Stattdessen spielte sie nur zu ihrem Stamm-Publikum auf der Tory-Rechten. Die Ex-Remainerin versuchte sich ihnen als die Brexiteste von allen zu verkaufen, ohne je zu bedenken, ob sie ihre Versprechen auch einlösen können würde. Ihre red lines - raus aus der Zollunion, aber keine harte Grenze zu Irland, alle Vorteile des Binnenmarkts ohne sich an dessen Regeln zu halten etc. - waren von Anfang an unerfüllbar, begründbar nur in der endlosen Hybris des englischen Exzeptionalismus, der glaubt, dass die Welt sich selbstverständlich einem Empire beugen wird, dessen Zerfall sich seit 70 Jahren nicht in die von vererbtem Vermögen von der Realität behütete Parallelwelt des Tory-Universums herumgesprochen hatte.

Die verwaiste Pfarrerstochter Theresa Brasier (der May, den sie heiratete, hatte und machte Kohle) kam selbst nicht aus dieser Welt, aber sie wollte so sehr dazu gehören, dass sie all deren Lebenslügen in sich aufnahm.

Und klingt das jetzt gehässig? Vielleicht, denn schließlich bin ich einer jener EU-Bürger*innen, die diese schlechteste aller Taktierer*innen bis zuletzt als Faustpfand in ihren hoffnungslosen Verhandlungen mit der EU missbraucht hatte. Es sieht gerade so aus, als hätten wegen bürokratischer Hürden bis zu drei Viertel der hier lebenden EU-Bürger*innen bei der hierzulande schon gestern stattfindenden EU-Wahl nicht mitstimmen dürfen. May wusste von diesen Problemen. Sie waren schon 2014 bei der letzten Wahl im Ansatz aufgetreten. Und sie tat nichts. Wie üblich (Ich durfte übrigens wählen, hab mich extra früh drum gekümmert und bei der Gemeinde nachgefragt, anderen half auch das nichts).

Also: Keine Tränen hier für Theresa May. Ja, was nachkommt, wird auch übel sein. Nicht unbedingt schlimmer.

Unpopuläre Meinung, aber: Auch Boris Johnson wird nicht übler als May. Er wird auf dieselben Hürden stoßen wie sie. Und wenn er einen harten Brexit durchziehen will, wird das Unterhaus ihn daran hindern. Falls nicht, wird er Mays neuerworbenen Rekord als schlechteste Premierminsterin aller Zeiten einstellen. Und weinend vor der Number 10 Downing Street stehen so wie sie.

Ich für meinen Teil freue mich auf den 7. Juni, wenn der Lieferwagen der Umzugs-Firma an jener Adresse vorfährt. Am besten mit der Aufschrift „Go Home“ auf der Plane.

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