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FM4 Schnitzelbeats

„Anarchy in the Ländle“ – Chaos, die erste Punkband Vorarlbergs

Punk Rock ist nicht tot. FM4 Schnitzelbeats reisen ins Jahr 1979, als zum ersten Mal ein Vinyl-Release einer österreichischen Punkband erschien. Damals, in Vorarlberg.

Von Al Bird Sputnik

Das zeitgenössische Garagen-Punk-Label Bachelor Records (mit Firmensitz in Adnet, Austriah!) widmet sich schon seit eingen Jahren – mit einer eigens ins Leben gerufenen Archives-Serie – seltenen und ultra-seltenen Punk-Singles aus den späten 1970er- und frühen 80er-Jahren: Punk-Singles, die heute echte Wertanlagen (im zwei-, drei- und vierstelligen Money-Money-Money-Bereich) darstellen, werden völlig unprätentiös in schlicht gemachten Zweitauflagen und zu konsumentenfreundlichen Preisen einer interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Ohne viel Gedöns und gänzlich ohne peinliche Eitelkeiten.

Im Zuge seiner Tätigkeit hat das Label auch immer wieder auf seltene Aufnahmen von österreichischen Bands zurückgegriffen. Auf diese Weise sind etwa die Re-Releases der Böslinge, Chiefs, Mordbuben AG und Schund entstanden. Eine weitere Perle heimischer Punk Rock-Geschichte wird dieser Tage von ebenjenen Feinspitz-Junggesellen neu-aufgelegt: Die einzige Single von Chaos aus Feldkirch, der – vermutlich – ersten Punk-Band Österreichs, die auch einen eigenen Vinyl-Tonträger in die Welt gesetzt hat.

Chaos

Bachelor Records

Was bisher überliefert war: Chaos formierten sich Ende 1977 in Feldkirch und standen bereits im Februar 1978 erstmals auf der Bühne. Kurze Zeit später folgten viel beachtete Auftritte in Zürich und St. Gallen, bei denen die Band mit mehrstimmigen Chören, hohem Spieltempo und einer energetischen Performance schnell zu Größen der vitalen Schweizer Punk-Szene aufstieg.

1979 veröffentlichten sie ihre legendäre 12“-Split-EP (gemeinsam mit der befreundeten Schweizer Band The Sick), die heute nur mit viel Glück oder zu geschnalzenen Sammlerpreisen zu bekommen ist. Die kurzlebige Vorarlberger Band hatte sich hier mit einem mitreißenden und – im Sinne eines urwüchsigen 77er-Punks – äußerst authentischen Sound verewigt.

Gleichzeitig blieb die Gruppe im Heimatland Österreich weitgehend unbekannt. In den frühen 1980er-Jahren trennten sich die Wege der Bandmitglieder wieder. Chaos-Gitarrist und Lead-Sänger Franz Bröckel gründetet die experimentelle New Wave-Formation Les Passepartout (Spieltipp: das Debut-Album „Paradoxa“), mit der er 1981 in die Wiener Szene übersiedelte. Bis heute ist Bröckel als Musiker aktiv geblieben, zuletzt in der Band Ich Bin Zu Dritt (gemeinsam mit dem ehemaligen Falter-Kolumnisten Chris Duller). Anlässlich der Bachelor-Neuauflage seines ersten Releases habe ich mich mit ihm zum Interview verabredet.

FM4 Schnitzelbeats: Interview mit Franz Bröckel, dem Leadsänger der ersten Vorarlberger Punkband Chaos

In der aktuellen Ausgabe der FM4 Schnitzelbeats zu hören: Ausschnitte aus einem Interview mit Musiker Franz Bröckel.

Franz, wie kam es denn zur Gründung der Band Chaos in Feldkirch?

Es gab damals das Graf Hugo, ein Jugendzentrum, in dem sich Leute getroffen haben, die abseits von Schule und Vorarlberg neue Iden entwickeln wollten. Dort haben sich offensichtlich die Freaks getroffen, die dann diese Band Chaos gegründet haben. Es hat schon den Chy (Anm.: den Gitarrist der Band) gegeben und den Galle (Anm.: den Drummer), die schon gemeinsam musiziert hatten. Und mir hat’s so gut gefallen, dass ich mir eine Gitarre gekauft habe und dazugestoßen bin. Dann kam der Slaughter (Anm.: der Bassist) dazu. Und so ist das Ganze losgegangen. Wir hatten damals Lust, kreativ zu sein.

Franz Bröckel, 1979.

Bachelor

Wie verlief Deine Sozialisation mit Punk?

Das war die „Ö3 Musicbox“. Ich habe nur Bob Dylan und irgendwelche Jazz-Sachen gehört, Stones, Beatles, was man so kennt... Und plötzlich hat ein Musicbox-Redakteur eine Platte aufgelegt und das war die „Never Mind The Bollocks“ von den Sex Pistols. Und ich hab mir gedacht: „Das ist doch nur Lärm. So was Furchtbares.“ Dann hat’s mich aber doch interessiert und ich hab’s mir ein zweites Mal, ein drittes Mal, ein viertes Mal angehört. Das war’s. Ich war gefangen.

Ihr wart unter den Ersten, die in Vorarlberg schon Punk gespielt haben. Gab es lokale Role Models? Irgendwelche Vorbilder?

Die Initialzündung war damals das D.I.Y.-Fanzine „No Fun“. Das wurde von Peter Wittwer und Martin Byland in Zürich herausgegeben. Da war ein Abschnitt drinnen aus einer englischen Punk-Zeitschrift, da hat’s geheißen: „Buy a guitar, learn a C, learn a D, learn a E and join a band“. Das haben wir gemacht. Und dann konnten wir zwei Griffe spielen, manchmal sogar drei. Und das war schon okay, weil eben die herkömmlichen Götzen für uns nicht mehr relevant waren.

Wie lange hat es gedauert, bis ihr euch zum ersten Mal auf eine Bühne gestellt habt?

Zwei Wochen (lacht). Wir hatten einen Verstärker. Über diesen Verstärker gingen der Bass, die Gitarre und der Gesang. Und nach zwei Wochen haben wir gesagt, „Wir sind eigentlich fit für das erste Konzert im Graf Hugo“. Das haben wir dann auch gespielt. Das war ein toller Erfolg: Nach ungefähr zehn Minuten haben dann alle mitgespielt. Auch die Zuseher (lacht). Ja, das war dann eine feine Party.

Ankünigung des ersten Chaos-Konzertes im Feldkircher Jugendclub "Graf Hugo".

Chaos

Überliefert sind eure mitreißenden Live-Shows mit mehrstimmigen Chören, die an The Clash erinnert haben.

Das weiß ich nicht, warum das so kolportiert wird (lacht). Tatsächlich war es so, dass ich als Sänger einspringen musste. Da wir keinen Drummer hatten, hat sich der Galle, der eigentlich gesungen hat, hinter das Schlagzeug gesetzt und ich hab dann angefangen zu singen. Wir haben alle gern gesungen in der Band, aber dass es echte Chöre waren, möchte ich mal bezweifeln. Aber es war laut.

Wie fielen denn die Reaktionen auf Chaos aus?

Wir waren selber überrascht, wie gut wir angekommen sind, denn wir konnten ja wirklich nicht spielen. Es war spannend. Die Leute haben uns wohl witzig gefunden, vielleicht weil wir den Dilettantismus hochleben haben lassen...

Wie kam es zum Durchbruch in der Schweiz?

Über das „No Fun“-Magazin... Da hab ich mal angerufen und hab gemeint, dass wir Proberaum-Aufnahmen hätten. Danach hab’ ich denen die Aufnahmen geschickt und tatsächlich haben wir sofort einen Gig in Zürich bekommen, im „Drahtschmidl“. Das war für uns ein Wahnsinn. 500 Leute waren vor Ort und wir durften dort spielen. Und die sind ausgezuckt und wir wussten nicht, was los ist. Noch am selben Abend kam einer auf uns zu (Anm.: Martin Byland) und hat gefragt: „Wollt ihr nicht vielleicht eine Platte machen?“ Das war kurz nach Gründung der Band.

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Chaos

Die erste Platte einer österreichischen Punk-Band.

Ich hab damals geglaubt, das wird der Einstieg ins große Geld (lacht). Wir haben gesagt, „Wow, jetzt machen wir eine Platte. Jetzt geht alles. Jetzt machen wir nur noch Party. Jetzt feiern wir nur noch und machen nur noch Musik“. Das war dann zwar nicht so, aber der Spaß war trotzdem riesengroß.

Was hast du für Erinnerungen an die Recording Session?

Wir sind von Off Course Records eingeladen worden, sind nach Kirchberg ins Studio gefahren und haben das gemacht. Als wir dann aber im Studio waren, haben wir schnell gemerkt, wo unsere Grenzen sind. Es war sehr mühsam, weil wir unsere Instrumente nicht beherrscht haben. In keinster Weise. Aufgenommen wurde an einem Tag und gemischt wurde an einem weiteren Tag. Das war eine ganz schnelle G’schicht. Da haben wir nicht lange herumgetan, denn Geld war bei Off Course natürlich auch nicht vorhanden. Die haben das aus eigener Tasche finanziert und alles musste schnell gehen. Es waren damals ganz andere Ansprüche, muss man sagen.

Die Songs klingen übrigens gar nicht mal so dilettantisch...

Chaos

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Also ich hör das schon (lacht). Aber um das ging’s auch nicht. Es ging um diesen Ausdruck: Der kleine Mann von der Straße, der darf auch. Und wir wollten auch. Wir hatten die Chance, die wurde uns gegeben durch diese Entwicklung in England, dass plötzlich der Punk da war. Und dass jeder einfach Musik machen durfte, egal in welche Richtung… Es war eigentlich eine sehr demokratische Zeit.

Da du davor das Label angesprochen hast: Off Course Records kennt man heutzutage vor allem wegen des NDW-Klassikers „Eisbär“ der Gruppe Grauzone.

Ja, diese Nummer „Eisbär“ hat mir der Martin Byland einmal vorgespielt und ich hab gesagt: „Was ist denn das? Die singen ja nicht mal Englisch. Das kann’s ja nicht sein. Das ist ja der größte Blödsinn, den ich je gehört hab“. Und er sagte zu mir: „Nein, das hat Potential. Da wird was draus“. Ich hab mir gedacht, das kann’s nicht sein. Naja, ich bin dann eines besseren belehrt worden. „Eisbär“ ist zu einem Wahnsinns-Hit geworden. Wenn man heutzutage diese Nummer spielt – in Wien, in Vorarlberg, in Frankreich, in Deutschland – jeder kennt dieses Lied.

Es gib ein ORF-Radio-Interview mit Euch, in dem du damals folgendes gesagt hast: „Es gibt zwei Arten von Publikum. Es gibt das Schweizer – das gute – Publikum und das Scheißpublikum von Vorarlberg, denn es weiß gar nicht, was wir wollen“.

Erinnern kann ich mich nicht, aber ich kann mir gut vorstellen, dass ich das damals gesagt habe. Es war so, dass wir damals sehr viele Auftritte in der Schweiz hatten und es jedesmal ein Fest war. Es war jedesmal eine Party. Und in Österreich hat das nicht in der Form hingehauen. Die Leute waren sehr skeptisch, was das anlangt. Man kann auch nicht von Österreich sprechen, man muss eher von Vorarlberg sprechen, weil Vorarlberg gehört in der Form auch nicht zu Österreich. Es gibt ein eigenes Publikum, es gibt eine eigene Mentalität dort. In Vorarlberg war das Publikum schon eher qualitätsbesessen: Da war der Reinhold Bilgeri der große Schwarm der Menschen. Und wenn dann eine Band daherkam, der man ansah, dass sie vom Spielen keine Ahnung hat, dann waren die Leute schon sehr distanziert.

Chaos gilt in der Nachbetrachtung als erste Punk-Band Österreichs, die einen Tonträger veröffentlicht hat. Hat sich eure Existenz damals auch in den restlichen Bundesländern herumgesprochen?

Dank und Gruß an Elmar Gimpl, Lurker Grand und Philipp Lampert!

Nein, Vernetzung mit dem Rest des Landes gab es nie. Es gab generell in ganz Österreich diese Form des Punk nicht. In Wien wurde ja der Punk erst viel später erfunden. Das war mit Chuzpe, Dead Nittels und so weiter. Aber gut, in Wien hat man sich ja – nach wie vor – die Haare bis zum Popo wachsen lassen und wusste nicht, dass ein Punk eigentlich kurz-geschnittene Haare hat. Als ich in Wien die Punks mit langen Haaren herumlaufen gesehen habe, war das für mich sehr ernüchternd.

Franz Bröckel

Trash Rock Archives

Out now! Chaos- „Day Doult / Get out of my pocket“ (7“), erschienen bei Bachelor Archives.

Und hier noch ein Veranstaltungshinweis: Franz Bröckels aktuelle Band Ich Bin Zu Dritt ist (gemeinsam mit No Machine) am 04.Juni 2019 im Wiener Fluc zu sehen.

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