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Szenenbild "Rocketman"

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Shiny, tiny dancer: Das Elton John Biopic „Rocketman“ ist fantastisch

Dexter Fletcher, der Regisseur, der „Bohemian Rhapsody“ nach dem Abgang von Bryan Singer „gerettet“ hat, legt mit „Rocketman“ ein Elton John Biopic vor. Das macht natürlich zunächst mal skeptisch - nachdem man den Film gesehen hat, ist aus Skepsis aber Euphorie geworden. We will crocodile rock you.

Von Pia Reiser

Zu Beginn von „Bohemian Rhapsody“ sehen wir Rami Malek als Freddie Mercury von hinten, auf seinem Weg zur Bühne des Live-Aid-Konzerts, dem Versuch, die Hungersnot in Afrika mit einer bombastischen Ballung von Pop zu retten. „Rocketman“ beginnt damit, dass Taron Egerton als Elton John auf einen zustürmt, einen engen Gang entlang, am Weg zu einer Selbsthilfegruppe: Selbstrettung statt Weltrettung. Beide Filme beginnen also mit ihrer Hauptfigur in Bewegung, und nicht nur bewegen sich die beiden Figuren in unterschiedliche Richtungen, die Filme, die sich rein ausgangsmaterialtechnisch (ein britischer, queerer Popstar mit Vorliebe für fantastische Kostüme, der die Charts der 1970er und 1980er Jahre dominiert) so ähnlich sein könnten, könnten unterschiedlicher nicht sein. Spoiler Alert: „Rocketman“ ist fantastisch.

taron egerton als elton john

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Mit riesigen Engelsflügeln, paillettenbesetzten Hörnern, einem orangen Ganzkörper-Turnanzug und Plateauschuhen stürmt Elton John in eine Selbsthilfegruppe und bellt sein Arsenal an Problemen in die Runde: Alkohol- und drogensüchtig, sex- und shoppingsüchtig, außerdem bulimisch. Auf die Frage, wie er heißt, sagt er: Elton John. Das ist natürlich nicht sein echter Name, aber dankenswerterweise setzt „Rocketman“ nicht zu einem heuchlerischen Deutungsversuch an, wer denn nun die wahre Person hinter der larger than life Bühnenperson Elton John ist.

Stattdessen: Flashback in die Kindheit des Musikers, der immer noch voll orange kostümierte Elton John tanzt mit seinem Kindheits-Alter-Ego in den obligatorischen britischen kurzen Hosen durch die Straßen und singt, dazu führen die BewohnerInnen von Pinner, Middlesex eine Straßentanz-Choreografie auf. Musical schreibe ich in mein Notizheft und es bleibt die einzige Notiz, weil mich dann „Rocketman“ verschluckt und erst zu Ende des Films wieder zurück in den Kinosaal bugsiert.

Die Songs von Elton John, mehr als das Abhaken biografischer Stationen, sind der rote Faden von „Rocketman“, aus dem Regisseur Dexter Fletcher ein glitzerndes, stellenweise surreales Leinwand-Feuerwerk strickt. Und der energetische Knallkörper in diesem unwiderstehlichen Pop-Potpourri (Popourri, anyone?) ist Taron Egerton.

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Egerton tritt das Erbe von Michael Caine an, eine fast schon karikaturhafte Art des Britisch-Seins - inklusive dauernder Thematisierung von class - auf der Leinwand zu verkörpern. In dem klasse „Kingsman“-Franchise sieht er sogar aus wie Caine, genauer wie der Anti-James-Bond Harry Palmer, der working class Spion, den Caine in Filmen wie „The Ipcress File“ gespielt hat. Der Doublebreaster, die Krawatten und die Brille, die Eggsy (Egerton) in „Kingsman“ trägt, sind Referenzen an Harry Palmer. Und an Brillen kann man sich auch weitertasten in Egertons Karriere: In dem wunderbaren „Eddie the Eagle“ spielt Egerton den wunderlichen britischen Skispringer, der entgegen aller Vernunft (und finanzieller Möglichkeiten) bei den Olympischen Spielen teilnimmt. Auf seiner Nase: Brillen mit Aschenbechergläsern. Und nun also Elton John, brillentechnisch ebenfalls eine Liga für sich.

Mit einer aufgemalten Zahnlücke sitzt Egerton also nun als Elton John in der Selbsthilfegruppe und blickt durch eine herzförmige Brille mit rosa Gläsern zurück auf sein Leben: Auf die Förderung seines musikalischen Talents durch die Oma, seine eigene Neu-Erfindung als Elton John mit ausgefallenen Kostümen und Brillen und vor allem die dekadenlange Zusammenarbeit mit seinem Lyrics-Lieferanten Bernie Taupin (Jamie Bell). „Rocketman“ verlässt sich auf die Wucht des Mediums Film und nicht auf eingeblendete Jahreszahlen oder faktenüberladene Dialoge, um vom Aufstieg von Elton John erzählen.

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Bei seinem ersten Konzert in den USA beginnt das Publikum zu schweben und auch er selbst hält sich nur noch mit den Händen am Klavier fest, während seine belatzhosten Beine in der Luft baumeln. Weil das kann Popkultur. Die Zeit anhalten, einen schweben lassen. Mit der Übertreibung, der Überhöhung lässt sich filmisch viel eher etwas im Kern Wahres vermitteln als mit der bloßen Inszenierung einer Faktenlage. „Rocketman“ lässt einen auch schweben, denn die Geschichte um Aufstieg des Musikers und Klavier-Zampanos sowie sein Kampf mit den inneren Dämonen und dem Monster namens Ruhm mag generisch sein, die Inszenierung ist es nicht. Und Elton Johns Homosexualität wird mit der gleichen Unaufgeregtheit und ohne ein Jota von Leidensnarrativ erzählt, wie sonst halt auch die Heterosexualität von anderen Filmfiguren.

Man könnte ein bisschen drüber nörgeln, dass John Reid als ölig-fieser Liebhaber-turned-Manager schon nah an der Grenze zum Disney-Bösewicht spielt, aber die Figur wird durch den Schauspieler aufgewertet: Man kann nicht leugnen, dass es eine Freude ist, Richard Madden als Reid, mit pomadiertem Scheitel und fetter, goldener Krawattennadel dabei zuzusehen, wie er sich als Fiesling durch das Herz von Elton John einen Tunnel in dessen Vermögen gräbt. (John Reid wurde in „Bohemian Rhapsody“ übrigens von Aidan Gillen gespielt).

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Großartig auch das Make-Up Department, dass nicht nur Elton Johns Gewichtszunahme, sondern auch den fortschreitenden Haarverlust (in dieser Tragik zuletzt in „Mad Man“ bei Pete Campbell thematisiert) glaubwürdig auf die Leinwand bringt. Der einzige Makel in dieser energetischen Ohrwurm-Parade ist der Abspann, der zu einer Power Point Präsentation über die generelle Awesomeness von Elton John wird. War auf völlig unnötig, steht man doch noch völlig unter dem Bann von Egertons Wirbelwind-Performance - und der falschen Zahnlücke.

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