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Journalistin Nina Horaczek

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Nina Horaczek über Taktik, Misstrauen und Vergessen in der Politik

Der Nationalrat hat Sebastian Kurz und seiner Regierung das Misstrauen ausgesprochen und damit aus dem Amt gewählt. Das hat es in Österreich noch nie gegeben. Die Journalistin Nina Horaczek dazu im Interview.

Was gestern in der Nationalratssitzung passiert ist, hat es noch nie gegeben. Aber keine Sorge: dass ein solcher Fall eintreten könnte ist in unserer Verfassung bedacht worden und auch darin geregelt. Die Verfassung sieht nämlich vor, dass der Nationalrat einzelnen Minister*innen, dem Bundeskanzler oder eben der gesamten Regierung das Misstrauen aussprechen kann. Und somit kann der Nationalrat eine Regierung abwählen. Nur: passiert ist das in der zweiten Republik noch nie. Misstrauensanträge sind eigentlich nicht so selten, 185 waren es bis gestern, aber es ist meistens schon vorher klar, dass der Antrag nicht durchgeht. Das hat einen ganz einfachen Grund: die Parteien, die die Regierung bilden und in der Regel die Mehrheit im Nationalrat haben, gehen bei einem Misstrauensantrag ja nicht mit.

Wir haben mit der Journalistin Nina Horaczek darüber gesprochen, was dieser Misstrauensantrag jetzt für Österreichs Innenpolitik bedeutet.

FM4: Wie war die Stimmung gestern im Parlament?

Nina Horaczek: Es war ein ganz besonderer Tag, es war manchmal ziemlich laut, gerade auf der Seite der ÖVP gab es recht viel Geschrei. Es war lauter als man es sonst gewohnt ist. Dann als der Misstrauensantrag zur Abstimmung kam, war es dann plötzlich mucksmäuschenstill. Da war kein Jubel, gar nichts, einfach nur Stille. Alle waren sehr aufgeregt, das hat man richtig gespürt, da lag etwas in der Luft.

Diese Emotionalität hat sich auch übertragen, wenn man es im Fernsehen mitverfolgt hat. Jetzt gibt es viel Name-Dropping. Wer wäre deiner Meinung nach gut geeignet für das Amt der/ des Bundeskanzler*in?

Wo ich mir sicher bin und da ist Van der Bellen glaub ich sehr klug, es wird jemand sein gegen den man schwer argumentieren kann. Es ist jetzt ganz wichtig und auch im Interesse des Bundespräsidenten jetzt dort wen hinzustellen, der auch bis Herbst bleibt. Ich glaube auch, dass da wenig nach außen dringen wird. Ich tippe auf jemanden, der älter ist, wahrscheinlich eher männlich. Aber das werden wir sehen. Sicher bin ich mir nur, dass es niemand sein wird, der sehr polarisiert, sondern eine große respektable Person. Es muss jemand sein, wo die Bevölkerung auch denkt, dem trauen wir das zu, der lenkt die Geschicke des Landes jetzt bis zur Wahl, bis das Volk dann die nächste Regierung wählt. Und es muss jemand sein, der nicht im Konflikt ist mit einer der Parteien.

Wer profitiert denn jetzt von diesem Misstrauensantrag und der jetzigen Situation? War es schlau von der SPÖ diesen Antrag einzubringen?

Es ist die Frage, ist Politik nur noch Taktiererei oder geht es auch um Inhalte, um Positionen? Ich weiß nicht, ob man für die Sozialdemokratie sagen kann, das war die falsche Entscheidung, das ist die richtige. Es gab für beide Seiten Argumente.

„Der Ärger, die Enttäuschung über die vergangenen eineinhalb Jahre sind zu groß. Die Härte, die diese Regierung gegenüber der Opposition walten hat lassen, die hat jetzt nicht-mehr-Kanzler Kurz gestern abbekommen.“

Ich hab im Parlament gespürt: Der Ärger, die Enttäuschung über die vergangenen eineinhalb Jahre sind zu groß. Das ist bei der Sozialdemokratie dieses übergangen Werden, die Sozialpartner einfach völlig entmachtet, drübergefahren, 12-Stunden-Tag ohne Diskussion im Parlament einfach in einem Tag durchgezogen.. Die Härte, die diese Regierung gegenüber der Opposition walten hat lassen, die hat jetzt nicht mehr-Kanzler Kurz gestern abbekommen. Quasi in einer Retourkutsche.

Bei der FPÖ ist die Motivlage ein bisschen anders. Da war bis vor einer Woche, bis Ibiza ein Hit wurde in Österreich, die Stimmung noch gut zwischen FPÖ und ÖVP und da kam dann die große Enttäuschung am Samstag, dass die Regierung nicht weitergeführt wird. Das war das Hauptmotiv der Freiheitlichen gegen den Kanzler zu stimmen.

Also wer hat jetzt am meisten davon profitiert?

Wer am meisten davon hat, werden wir im Herbst sehen. Ich glaub, das kann man kurzfristig noch nicht wirklich einschätzen. Was heute ist, ist wahrscheinlich relativ egal. Wichtig ist, wer kann im Herbst die bessere Geschichte erzählen. Ist es die türkise Geschichte des erfolgreichen Kanzlers, der zum Märtyrer wurde oder ist es die Geschichte der Allmachtsfantasie eines türkisen Kanzlers, der mit mehr als 30 Prozent der Stimmen sich so aufgeführt hat, als hätte er 100 Prozent.

Welche Koalitionen wären denn im Herbst dann möglich?

Das werden wir im Herbst sehen. Man muss schauen, wer gewinnt und wer ist bereit mit diesem Gewinner in eine Koalition zu gehen. Politik ist immer auch ein Geschäft wo man schnell vergessen muss, auch Verletzungen. Gestern, also Stand 27. Mai, war in den Gängen sowohl von der FPÖ zu hören „naja so wie der Kurz uns behandelt hat, glauben wir nicht, dass wir unsere Funktionäre noch einmal auf türkis-blau einschwören können“. Und bei der SPÖ wurde mir unter der Hand auch gesagt „mit diesem Sebastian Kurz geht sie SPÖ nie wieder in einer Koalition“. Wobei nie wieder in der Politik auch oft etwas Kurzfristiges ist, was schnell wieder vorbei sein kann.

Es gab jetzt das Ibiza-Video für die FPÖ, den Misstrauensantrag für die ÖVP, Pamela Rendi-Wagner von der SPÖ wird kritisiert, zu langsam reagiert zu haben, wird es Veränderungen an den jeweiligen Partei-Spitzen geben?

Ich bin keine Prophetin, aber ich weiß nicht, wie clever es ist, vier Monate vor der Wahl die Spitzenkandidaten auszutauschen. Also die FPÖ hat ja schon ausgewechselt, die musste ja zwangsweise nach dem Rücktritt von Heinz Christian Strache, aber Norbert Hofer und Herbert Kickl sind bekannte Gesichter, das sind keine Newcomer.

„Politik ist immer auch ein Geschäft, in dem man schnell vergessen muss.“

Kurz ist unangefochten, in der Sozialdemokratie sehe ich keine Alternative zu Pamela Rendi-Wagner und glaub auch nicht, dass es so einfach wäre, da jetzt jemanden neuen hinzustellen. Bei den Grünen werden wir sehen, das Personalbecken ist nicht mehr so dicht gefüllt nach dem Rausschmiss aus dem Parlament bei der vorigen Wahl, würde ich meinen. Da werden wir sehen, ob Werner Kogler noch einmal die nächste Wahl schlagen muss oder ob wer anderer kommt.

Gestern ist ja auch bekannt geworden, dass HC Strache bei der EU-Wahl genug Vorzugsstimmen bekommen hat, um ein Mandat in Brüssel anzunehmen. Jetzt ist die große Frage: Wird er es annehmen? Von FPÖ-Seite gab es gestern nur Äußerungen, dass das seine persönliche Entscheidung sei.

Das weiß im Moment wahrscheinlich nur Strache selbst. Ich stell es mir schwierig vor. Man sieht schon, die freiheitlichen Wähler sind gut im Verzeihen. Eine Woche nach Ibiza wo er quasi die halbe Republik in einem – wie er sagt - Gedankenspiel verscherbelt, das ist von vielen schnell verziehen worden oder sie haben es einfach ignoriert.

Ich kann mir trotzdem schwer vorstellen, dass er der Partei einen Gefallen tut, wenn er jetzt gleich nach Brüssel geht. Was bedeutet das für die politische Hygiene in diesem Land? Wir wissen alle, dass Strache seiner Partei einen Bärendienst geleistet hat, er ist der Grund, warum die FPÖ nicht mehr Regierungspartei ist. Da muss man sich vorstellen, da hängen ja ganz viele andere Dinge dran: die ganzen Leute, die jetzt ihre Ministerien räumen müssen, da haben Leute ihren Job verloren, es gibt Neuwahlen. Ich weiß nicht, ob da wirklich alle jubeln in seiner Partei, wenn er sagt, „mir egal, hinter mir die Sintflut, jetzt geh ich nach Brüssel und mach mir dort ein tolles Leben“.

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