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Vögel

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Jonathan Franzen erklärt, wie wir mit der Klimakrise klarkommen könnten

»Am Klimawandel sind alle schuld - mit anderen Worten: keiner. Wir können uns alle gut fühlen, wenn wir ihn beklagen.« Das sagt der Autor Jonathan Franzen. "Das Ende vom Ende der Welt“ heißt sein neues Buch, der Debütroman von Victor Pouchet „Warum die Vögel sterben“. Wieviel Weltuntergangsstimmung steckt in diesen Neuerscheinungen?

Von Maria Motter

Jonathan Franzen hat Romane geschrieben, die Bestseller wurden, zum Beispiel sein Debüt „Die Korrekturen“ und „Freiheit“. Jetzt schreibt er über Klimakrise, Naturschutz und Vögel - überraschend, privat und politisch. „Das Ende vom Ende der Welt“ heißt der neue Band, der vor wenigen Tagen in der deutschsprachigen Übersetzung erschienen ist und Essays, viel Liebe und etliche Überraschungen enthält.

Denn Jonathan Franzen begeistert sich für Vögel. Nicht nur das, vielmehr bekennt er offenherzig, ein sogenannter „Lister“ zu sein. Er will nicht nur so viele Vögel wie möglich sehen – er muss sie zählen. Ein Rekordjahr beschließt er mit 1286 gesichteten Vogelarten, Reiserouten plant er nach dem Vorkommen. Seine Expeditionen zur Vogelbeobachtung führen ihn auf kleine karibische Inseln, an den Amazonas, nach Ghana und in die Antarktis (wo er als Problempassagier trotzig beschließt, kein einziges Foto zu machen, und auf einem Luxus-Kreuzschiff einen „sehr großen, sehr gutaussehenden“ Kaiserpinguin hinter einem Eisberg durchs Fernglas erspäht).

Der Schriftsteller Jonathan Franzen trägt eine Brille

Beowulf Sheehan

Jonathan Franzen, Autor und „Lister“: Er führt Buch über jede Vogelart, die er in der Natur entdeckt und beobachtet hat.

Wie wir die Klimakrise gedanklich bewältigen können

„Das Ende vom Ende der Welt“ von Jonathan Franzen ist aus dem Amerikanischen übersetzt von Bettina Abarbanell und Wieland Freund 2019 bei Rowohlt erschienen

Er skizziert, wie Umweltschutzorganisationen die Klimakrise als größte Gefahr propagierten und konkrete, gegenwärtige Bedrohungen beiseite ließen, und erklärt, was die Klimakrise mit dem Kapitalismus gemein hat und wie das Wirtschaftssystem monokulturelles Denken fördert. “Naturschutz ist romanhaft. Keine zwei Handlungsorte sind einander gleich, und eine Geschichte ist einfach.“

Die 140-Zeichen-Botschaft, dass wir unseren Kohlendioxidausstoß verringern sollten, reicht Franzen nicht. Das Erstaunliche an „Das Ende vom Ende der Welt“ ist, dass hier Weltuntergangsfantasien eine Absage erteilt wird. Der Dystopie begegnet man plötzlich mit einer Zuversicht, die auf Franz von Assisi zurückgeht und im Untergangstaumeln des Öfteren mit „bringt nix“ kommentiert wird: “Man schützt etwas, was man liebt, etwas in unmittelbarer Nähe, und man sieht ein Ergebnis“.

Vögel

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Kolibri

Dabei geht Jonathan Franzen mit sich streng ins Gericht. Wie selbstsüchtig ist es, wenn einem mehr an den Vögeln der Gegenwart liegt als an den Menschen der Zukunft? Und ja, es ist die wirksamste Maßnahme gegen Klimakrise und für die Vielfalt, keine Kinder zu bekommen, aber Franzen will sich eine Welt ohne junge Leute doch nicht vorstellen und er erinnert sich an seinen Patenonkel. Der Mann hatte viele Lieben seines Lebens verloren, doch nie aufgehört, Klavier zu spielen. Wie radikal und zugleich womöglich realistisch der Vorschlag ist, noch intakte Ökosysteme zu bewahren, gesteht man sich leichter ein, weil diese Texte weder altklug noch akademisch hochgeschraubt verfasst sind.

Vögel sind Meister der Anpassung

Wunderbar sind die kurzen Beschreibungen bestimmter Vögel und ihrer Fähigkeiten, aber Franzen reduziert das Sichtfeld nur für ganz wenige Momente. Er überblickt weite Gebiete: Das blutige Herzstück des Bandes ist die Reportage über das massenhafte Töten von Singvögel in Ländern am Mittelmeer. Die ursprünglich in National Geographic erschienene Reportage „Last Song“ begleitete der Fotograf David Guttenfelder mit der Kamera (er ist übrigens einer der wenigen westlichen Fotojournalisten, die seit vielen Jahren in Nordkorea fotografieren dürfen). Entzückend sind die „Postkarten aus Ostafrika“.

Vögel

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Das bei uns bedrohte Braunkehlchen

Von Italien bis Ägypten fangen und schießen Menschen die Singvögel vom Himmel („Millionen Singvögel fliegen herein, und nur ganz wenige kommen lebend wieder heraus“, heißt es etwa über Albanien). Andernorts fressen Mäuse Albatros-Küken und gefährden ganze Populationen. Hauskatzen töten die Singvögel Nordamerikas und die kleinen Beuteltierarten Australiens. Krillfischer rauben Pinguinen die Nahrung. An Temperaturunterschiede jedoch passen sich Vogelarten seit zig Millionen Jahren an, schreibt Franzen.

Er habe sich „eigentlich schon damit abgefunden, nicht jede Vogelart der Welt sehen zu können“, hält Franzen fest. Und man muss schmunzeln über die größenwahnsinnige Vorstellung und nochmal diesen Satz lesen: „Nur mikroskopisch kleine Lebensformen sind noch weiter verbreitet als Vögel“.

Vögel

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Möwen

Romantisches Verzagen zum Quadrat liefert indes der Franzose Victor Pouchet mit seinem Debüt „Warum die Vögel sterben“. Die Journalistin und „Dann schlaf auch du“-Autorin Leïla Slimani hypte die Neuerscheinung in Le Monde.

Victor Pouchets gehyptes Debüt „Warum die Vögel sterben“

Victor Pouchets erster Roman „Warum die Vögel sterben“ ist in der deutschsprachigen Übersetzung von Yvonne Eglinger 2019 im Berlin Verlag erschienen

Es verhält sich wie in einem Film von Wes Anderson: Die Handlung ist mit großer Liebe zum Detail ausgestattet. Und eine Hauptfigur begibt sich auf eine Reise. Der Ich-Erzähler im Debüt „Warum die Vögel sterben“ trägt den Namen des Autors Victor Pouchet und ist ein nicht mehr ganz so junger Student, der sich seit der Trennung von seiner Freundin jede Woche neu verliebt.

Während seine Freunde in einem geregelten Erwachsenenleben angekommen scheinen und Erwachsenendinge tun, schneidet Prouchet Zeitungsmeldungen über ein plötzliches Vogelsterben aus. Das Ereignis fasziniert ihn derart, dass er die Arbeit an seiner ohnehin stagnierenden Doktorarbeit unterbricht und zu recherchieren beginnt. “Vom Himmel regnende Vögel stellten in der Bibel keine Seltenheit dar. Meist handelte es sich um göttliche Strafen. Im Buch Exodus steht, wie Jahwe sie mehrfach gegen den Pharao einsetzte, der sich weigerte, die Juden aus Ägypten ausziehen zu lassen.“

Vogel

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Als hätte Wes Anderson eine Folge von „Traumschiff“ geschrieben

Prouchet zieht aus, um dem Schicksal der Stare zu ergründen. Doch was folgt, darf man sich wie eine Folge von „Traumschiff“ vorstellen, in der die Gedanken des jungen Vogelbeobachters im Mittelpunkt stehen. Immerzu verträumt und bald verliebt, fährt er auf einem Passagierschiff die Seine entlang. Am Scrabble-Spielen liebt er das Klicken der Plastiksteinchen, gegen Ende des Romans erscheinen ihm seine unbeholfenen Ermittlungen zum Vogelsterben „ein wenig albern“. Victor Pouchets Romandebüt erzählt in schönen Worten davon, wie sich jemand in seiner Gefühlswelt verrennt.

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