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Hayden Thorpe

Oliver Chanarin

Hayden Thorpe und „Diviner“

Hayden Thorpe ist Ex-Sänger der Rockband Wild Beasts und wandelt nun erstmals auf Solopfaden. Im FM4-Interview lässt er tief in seine Singer-Songwriter-Seele blicken.

Von Christian Lehner

Vor einigen Tagen war der Dichterfürst in der Stadt. Wer Nick Cave aus alten Zeiten kennt, musste sich wundern. Der vormalig Unnahbare suchte die Nähe des Publikums. Ja, er lud gar zu einem Abend des Gesprächs. Im Admiralspalast in Berlin plauderte Cave mit dem Publikum und teilte seinen Erfahrungsschatz nicht nur als Mensch, sondern auch als Songwriter. Anstoß für die Öffnung des Verschlossenen war ein traumatisches Erlebnis. Caves Sohn war über eine Klippe in den Tod gestürzt. Erst die zahlreichen Zuschriften seiner Fans hätten dieses Trauma bewältigbar gemacht. Der Konversations-Tour (samt Songs am Klavier) ging das Red-Hand-Files-Webprojekt voraus. Dort veröffentlicht und beantwortet Nick Cave seit einiger Zeit Fragen von Fans zu Leben und Werk.

Sowohl in seinem Blog als auch auf der Bühne erklärt Cave für viele Künstler*innen scheinbar Unerklärbares, nämlich wie sein Kunstmachen funktioniert. Cave macht fassbar, wie er schreibt, wo er schreibt, was er schreibt. Wie er es verdichtet und daraus Songs macht. Wie er das tut, ist auch große Kunst. Cave gibt nicht den Erklärbären im Workshop für kreatives Schreiben. Alle diesbezüglichen Anfragen aus dem Publikum beantwortet er mit saurer Miene und freundlichen Worten der Zurückweisung.

Das scheinbar Unerklärbare erklären

Obwohl Cave auch über Handwerkliches spricht, lässt er die mystische Qualität des Songschreibens intakt, weil der Funke, den es braucht, um eine Idee anzustoßen, einen Satz zu bilden, oder ein Bild zu zeichnen, weil diese Initiation tatsächlich nicht erklärbar ist und er selbst immer wieder staunt, was das Unterbewusstsein alles mit seinem Geist und Talent anstellt. So erklärte Cave, dass sich der berühmte „Weeping Song“ (1990) bis vor kurzem für ihn bloß als Gebrauchsstück darstellte, dessen Gehalt er zwar objektiv einschätzen konnte, das aber erst seit wenigen Jahren wirklich zu ihm spräche.

Hayden Thorpe in Berlin

Christian Lehner

Hayden Thorpe beim FM4-Interview in Berlin

Es ist ein seltenes Glück, wenn man solche Einblicke in den Schaffensprozess bekommt, denn das Gros der Künstler*innen zieht sich auf den Standpunkt zurück, dass das Werk allein für sich spreche; so als hätte es keine Form und keinen Inhalt, den man beschreiben und analysieren könne. Klar, das ist in der vermittelnden Funktion in erster Linie der Job von uns Musikjournalist*innen und auch der Fans, die dann den Text, eine bestimmte Melodie, oder ein Gefühl für sich zusammensetzen und damit in ihr Leben integrieren.
Wenn ich aber in Interviews immer wieder auf genau diesen Umstand hingewiesen werde, also dass jede Kommunikation am Ende nur das ist, was ankommt, bin ich immer leicht am Verzweifeln.

Weiße männliche Schmerzensmusik

Apropos verzweifeln. Er mache weiße, männliche Musik, die in erster Linie vom Schmerz handle, sagt Hayden Thorpe selbstironisch im FM4-Interview. Der Schlusssong „Impossible Object“ seines ersten Soloalbums beginnt tatsächlich mit den Textzeilen: „The world is waiting for another sadsack.“ Hayden kann entspannt über das Klischee der gequälten Seele als Voraussetzung für große Kunst sprechen, weil er weiß, wie ärmlich dieses Klischee ist.

Hayden kennt sich aus mit dem Abräumen von Stereotypen. Nirgendwo fühle er sich stärker als Mann, als in seinem Falsettgesang – pophistorisch eine Tonlage, die man noch nicht vor allzu langer Zeit mit verweichlicht, irgendwie schwul oder mindestens eunuchenhaft assoziierte. Auf „Boy King“, dem letzten Album seiner Ex-Band Wild Beasts, sezierte Hayden 2016 jene toxische Maskulinität, die wenig später das große Thema von #metoo werden sollte.

“I’m a keeper of secrets” singt Hayden Thorpe in der ersten Textzeile des Albums, das er mit „Deviner“ betitelt hat. Das Geheimnis, das er bewahren musste, war das Aus der Wild Beasts, mit denen er sehr erfolgreich über 15 Jahre und fünf Alben einen filigranen Artpop entwickelte, der bei den Hörer*innen dennoch kräftige Eindrücke und Herzdellen hinterließ. Bei den Wild Beasts wurde gelitten, geschmachtet und das Mannsbild als solches entmachtet! Die Band legte in dieser Zeit Wege zurück, die die Kollegen von The National nur vom Hörensagen kennen.

Noch vor der Veröffentlichung des letzten Wild Beasts-Albums - und lange vor der offiziellen Verkündung - war das Ende der Truppe aus Nordengland besiegelt. Es gab keinen Streit, keine künstlerischen Differenzen, wie das so schön heißt, man hatte einfach alles erreicht, was man erreichen wollte. Dennoch ging es noch eineinhalb Jahre weiter und Hayden führte eine Art Doppelleben: „Nach außen hin der Bandleader, der das auch auslebte, nach innen der bereits Emigrierte, der nach neuen Wegen suchte."

Hayden Thorpe

Broomberg und Chanarin

Beim FM4-Interview wirkt Hayden Thorpe ein bisschen wie ein Singer-Songwriter-Philosoph, in seinen Ausführungen so fesselnd und anteilnehmend wie der vorhin erwähnte Cave. Thorpe hat sich die Haare noch länger wachsen lassen, die Augen funkeln voller Leidenschaft. Sein erstes Soloalbum habe ihm geholfen, eine neue Stimme zu finden. Obwohl man sich in Freundschaft trennte, saß der Schock dann doch tief, schließlich hatte Hayden die Wild Beasts gegründet, als er gerade einmal 15 Jahre alt war.

Das mit der Stimme ist übrigens wortwörtlich zu verstehen. Nach dem Split setzte ihm ein Abszess im Hals zu. Wochenlang brachte er keinen Ton heraus. „Vielleicht war es nötig, dass ich für eine Weile verstummte“, sagt Thorpe heute. „Anders hätte ich womöglich nicht weitermachen können. Jetzt klingt die Stimme fragiler, vielleicht auch dankbarer.“ Tatsächlich hat das Falsett eine noch weichere Note angenommen. Thorpe erinnert in bestimmten Phrasierungen an Anohni in der Antony and the Johnsons-Phase.

Thorpe, der die letzten Wild-Beasts-Alben am Computer komponierte, rückte für sein erstes Soloalbum ein altes Instrument in den Mittelpunkt: das Klavier. Es bildet das gravitätische Zentrum des Albums, klingt aber alles andere als erdschwer. Produzent Leo Abrahams (u.a. Brian Eno, Paul Simon, Jarvis Cocker) hat luftig und zurückhaltend arrangiert, sodass Stimme und Klavier den Charakter des Albums bestimmen, auch wenn es an manchen Stellen fiept und ein bisschen wummert. Selbst die bitteren Momente wirken wie ein Schuss Kohlensäure aus dem SodaStream. „Das Klavier wurde zu einer Art Totem für mich. Es ist ein schweres Instrument. Man muss zu ihm kommen und kann es nicht einfach irgendwohin mitnehmen."

Sendungsbild Interview Podcast

Radio FM4

Das Interview mit Hayden Thorpe gibt’s im FM4 Interviewpodcast zum Nachhören.

Der „Diviner“ ist der Hellseher, der in die Zukunft blicken kann, weil er die Vergangenheit kennt. Es ist ein schönes, mit sich selbst beschäftigtes Album geworden, das für Hayden Thorpe und wohl auch seine Fans einen Neubeginn markiert.

Anspieltipps sind der Titelsong „Diviner“, „Love Crimes“ und „Earthly Needs“. Fast noch mehr als das Album hat mich das Interview mit Thorpe beeindruckt. Man merkt, dass er sich viele Gedanken um seine Musik macht und diese auch gern teilt. Wer sich also im Nick-Cave’schen Sinn dafür interessiert, wie der Songschreiber Hayden Thorpe tickt, sei der FM4-Interview-Podcast empfohlen. Thorpe spricht über seinen Werdegang, wie knapp er Fußballprofi bei Newcastle
geworden wäre, den Band-Split, seine Zeit danach in Los Angeles und wie er wieder zurück zum Songschreiben gefunden hat. „The joy is in the doing“, sagt er, „not in the remembering.”

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