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Jayrome Robinet

Ali Ghandtschi

Buch

Von einem der auszog, das Mannsein zu lernen

Jayrôme C. Robinet hat den meisten von uns etwas voraus: er hat die Welt als Mann und als Frau kennengelernt. In seinem Buch „Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund“ erzählt er klug und humorvoll darüber.

Von Claudia Unterweger

Jayrôme betritt zum ersten Mal eine Männerumkleidekabine. Es schnürt ihm die Kehle zu: „Wie schauen sich Männer in der Umkleide an? Seit ich als Mann durchgehe, merke ich, wie sehr Blicke kodifiziert sind. Ist der Blick zu lang, gilt man schnell als schwul oder als jemand, der Streit sucht. Ist er zu kurz, gilt man als Feigling.“

Zur Schreibweise trans*: das ist der Versuch auch jene miteinzuschließen, die sich nicht in einem binären Mann/Frau-Geschlechterspektrum verorten.

Welche Codes muss man lernen, um als Mann zu gelten? Mit welchen Ritualen Männlichkeit Tag für Tag aufs Neue hergestellt wird, davon erzählt der Berliner Autor Jayrôme C. Robinet aus erster Hand. „Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund“ heißt seine Autobiografie über sein aufregendes Leben als Trans*-Mann.

„Sie verlassen den heteronormativen Sektor“

Der queere Autor und Spoken Word-Artist Jayrôme C. Robinet wuchs als Mädchen namens Céline in einem spießigen Dorf im Norden Frankreichs auf. Nach dem Umzug nach Berlin hat er sich im Alter von 33 Jahren zu einer Geschlechtsangleichung und einem Leben als Trans*-Mann entschlossen. Durch die Einnahme von Testosteron veränderte sich sein Erscheinungsbild zu dem eines jungen Mannes mit dunklem Bart. In unseren Breitengraden wird Robinet nun nicht mehr als weiß, sondern oft als türkischer oder arabischer Migrant wahrgenommen. Seither ist er auch rassistischen Zuschreibungen ausgesetzt.

Jayrome Robinet

Ali Ghandtschi

Jayrôme C. Robinet, geboren 1977 in Nordfrankreich, ist Spoken-Word-Künstler, Autor und Übersetzer. Robinet wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und lebt in Berlin.

Offen beschreibt der Autor seine Pubertät als Céline und die Suche nach sexueller und geschlechtlicher Identität. Als Céline sich zu Frauen hingezogen fühlt, versucht Céline es für eine Weile mit einer Identität als lesbische Frau. Und spürt, dass dieses Label nicht passt.

„Als ich mich für den Karneval als Mann mit Bart, mit einem Kopfkissen als Bierbauch verkleidete, fühlte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben ganz bei mir selbst. ‚Ich finde, dass Frauen... dass sie ganz schön sexy sind‘, lallte ich einem Mitbewohner ins Ohr, der als Wonder Woman verkleidet war. Einige Tage später teilte er übermütig der ganzen WG beim Abendessen mit: ‚Wusstet ihr, dass Céline lesbisch ist?‘ Ich fühlte mich verraten. Und vor allem missverstanden. Lesbisch war ich nicht.“

Jayrôme C. Robinet beschreibt in weiterer Folge sein erstes Mal als Mann, „unmännliche“ Tabus und Male Bonding-Rituale. Auch wenn er nun auf der Butterseite des Patriarchats gelandet ist, ist ihm unwohl dabei, wie privilegiert er seither behandelt wird.

„Männer gelten meist erst einmal als kompetent, es sei denn, sie beweisen das Gegenteil. Bei Frauen ist es genau umgekehrt.“

Buchcover Jayrome Robinet

Ali Ghandtschi / Hanser Berlin

Jayrôme C. Robinet: „Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund“. Erschienen 2019 bei Hanser Berlin.

Aber Robinets Privilegien geraten dort ins Wanken, wo er nun als Migrant wahrgenommen wird: racial profiling, „stichprobenartige“ Identitätsfeststellungen, Zutrittsverbot in Clubs, unangenehme Begegnungen im Park:

„In der Hasenheide werde ich von einem weißen Typen mit roten Augen und ungepflegten Wursthaaren gefragt, ob ich Haschisch verkaufe. Ich bin verdutzt. Nein, denke ich, aber ich kenne einen guten Friseursalon. Am selben Tag werde ich auf der Straße von einem Mann angebrüllt, ich solle mich zurück in mein Land verpissen, sonst würde ich eine auf die Fresse kriegen. Ich glaube nicht, dass er Frankreich meint.“

Mit seiner Autobiografie hält Jayrôme C. Robinet der Gesellschaft den Spiegel vor. In einer leicht lesbaren Erzählweise zeigt er auf, wie unterschiedlich unsere Gesellschaft Männer und Frauen behandelt und zwischen angesehenen „Expats“ und unwillkommenen „Migranten“ unterscheidet. Das Besondere an seiner Geschichte ist: Jayrôme Robinet hat den direkten Vergleich, er kennt unterschiedliche Perspektiven aus erster Hand, verliert dabei aber nie den kritisch-feministischen Blickwinkel.

Nicht abschrecken lassen sollte man sich vom befremdlich platt wirkenden Coverfoto und dem Buchtitel, der eher an die Überschrift einer Deutsch-Hausübung erinnert. Diese Autobiografie ist lesenswert.

Jayrôme C. Robinet live

Die Lesung von Jayrôme Robinet im Rahmen der Europride findet am Montag, den 3. Juni, um 19 Uhr in der Hauptbibliothek Wien statt.

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