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Tame Impala

Eric Pamies

Übersättigung als „the new normal“ in Barcelona

Ein erster Besuch beim „Primavera Sound“, dem vermutlich größten und ambitioniertesten Stadtfestival in Europa.

Von Stefan „Trishes“ Trischler

Eigentlich ist das hier alles viel zu viel. 18 Bühnen, auf denen mitunter 9 Acts gleichzeitig spielen. Da kann man ja nicht alles sehen, sagt die Physik. Getrieben von der Neugier auf die großen und kleinen Namen, die man nicht so oft zu sehen bekommt oder überhaupt noch nie gesehen hat, nimmt man sich dann aber doch ein ambitioniertes Programm vor – zumindest am ersten Tag! Das schmerzt nicht nur in den Waden, weil die Gehwege weit sein können: Manches Konzerterlebnis leidet unter der Rastlosigkeit, weil man im Kopf schon bei der nächsten Station ist.

Zugegeben, das ist Raunzen auf sehr hohem Niveau. Denn: Erykah Badu! Future! Stereolab! James Blake! Nas! Tierra Whack! Pusha T! Solange! FKA Twigs! Da schlägt das Herz des gemeinen Fanatikers für außergewöhnliche Soundentwürfe natürlich höher. Und hat der Fomo Sapiens seine Angst, etwas zu verpassen, einmal halbwegs abgelegt und überlegt sich die Routen etwas genauer, lässt sich das Ganze in seiner Vielfalt extrem genießen.

Gestern etwa: Auf einige Dutzend Interviewanfragen die ich im Vorfeld ausgeschickt habe, kommen genau zwei positive Antworten - Gangsta Boo und Terry Riley. Die Königin des Memphis Rap und der Erfinder der Minimal Music! Letzterer hat am Eröffnungstag an der Seite seines jüngsten Sohnes Gyan bei einem frei improvisierten Konzert im schönen Auditorium unsere Synapsen gekitzelt. Jetzt sitzt er mir mit einem Weißwein in der Hand gegenüber und erzählt launig und manchmal auch eher beiläufig über große Entwicklungen wie das patternbasierte Komponieren, die ersten Loops oder seine frühen Synthesizer-Experimente. Er tut dies mit einem Funkeln und einer Neugier in den Augen, die wir uns alle im Alter von fast 84 Jahren noch wünschen sollten.

Beseelt von dieser Begegnung betrete ich gleich wieder das Auditori im Bauch des hiesigen Naturhistorischen Museums. Die US-Musikerin Julia Holter und ihr Ensemble bereiten uns mit ätherischen Klängen perfekt auf den Rest des Abends vor.

Julia Holter

Eric Pamies

Julia Holter

Perfekt ist ein Wort, das einem auch in Zusammenhang mit Janelle Monae aus Atlanta in den Sinn kommt. Die Sängerin hat sich in der Vergangenheit stark an den Inszenierungen von Fritz Lang orientiert, und auch an diesem Abend sitzen die Uniformen und die Tanzschritte geradezu roboterhaft genau. Die zu glatt produzierten Songs ihrer letzten Platte Dirty Computer wirken in Kombination mit der Perfektion im Vortrag leider etwas steril.

Janelle Monae

Sergio Albert

Die extreme Dichte des Primavera Sound Programms bekommen auch 5K HD zu spürem, die zeitgleich mit Miley Cyrus, Suede und dem legendären HipHop-DJ Tony Touch auftreten. Da ihre Bühne aber gleich beim Eingang steht, kann die Wiener Band um Mira Lu Kovacs sie viel Lauf-Publikum einfangen und mit ihrem elektronisch aufgeladenen Synkopen-Pop auch fesseln.

In der Zwischenzeit hat sich Gangsta Boo gemeldet, sie will unser Interview jetzt am Rande eines Konzertes ihrer New Yorker Kollegin Junglepussy führen. Die zieht die vollen Publikumsreihen einer Bühne direkt am Wasser ganz alleine völlig in ihren Bann und zeigt beim Thema „selbstbestimmte Sexualität“ gewissermaßen ein expliziteres Gegenstück zur durchchoreographierten Bühnenshow von Kollegin Monae.

Das Interview mit Gangsta Boo will und will nicht klappen, deshalb ziehe ich weiter zu Tame Impala. Mastermind Kevin Parker und seine Kollegen von der australischen Band Pond verstärken ihren Throwback Psychedelik-Sound mit Visuals wie vom Overhead-Projektor. Anfangs wollen die Midtempo-Songs noch nicht so richtig zünden, bei den bekannteren Nummern singen dann aber fast alle mit!

Die übersympathische Kate Tempest freut sich sehr, hier beim Primavera sein zu dürfen, auch wenn sie lieber bei uns unten im Publikum wäre. Sie fühlt sich trotzdem auch auf der Bühne sichtlich wohl und stellt auch einige kraftvolle Songs vom bald kommenden neuen Album „The Book Of Traps And Lessons“ vor.

Kate Tempest

Christian Bertrand

Eine Bühne weiter sind Yves Tumor und seine Band am Werken, die ja gerade erst am Donaufestival waren. Hier klingt das nach extrem kraftvollem und zeitweise noisigem Glam-Punk, die exaltierten Bewegungen des Hauptprotagonisten verstärken diesen Eindruck noch.

Yves Tumor

Sharon Lopez

Es hätte noch soviel zu sehen gegeben: Das visionären Elektro-Projekt Cybotron von Juan Atkins, Mura Masa, Peggy Gou oder Flohio etwa - aber irgendwann muss man der eigenen Aufnahmefähigkeit auch ihre Grenzen zugestehen. Und heute ist schließlich auch noch ein sehr voller Festivaltag...

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