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APA/AFP/Miguel MEDINA

Das kurze Buch „Faschist werden“ zeigt uns, wie wir Demokrat*innen bleiben können

Die italienische Autorin Michela Murgia hat unter dem Titel “Faschist werden” eine kleine Anleitung geschrieben. Es ist eine satirische Abrechnung mit faschistoiden Phänomenen in der italienischen und europäischen Politik.

Von Ali Cem Deniz

Das ist kein Buch, das man unbedingt in der U-Bahn lesen möchte. Auf dem kleinen Büchlein steht in großen Buchstaben “Faschist Werden. Eine Anleitung”. Das könnte man falsch verstehen, aber nur bis zur ersten Seite. Der Text beginnt mit der Widmung “Es ist bereits fünf nach Zwölf”. Dass Michela Murgia damit den krisenhaften Zustand der Demokratie in Italien und überhaupt ganz Europa meint, ist klar. In Italien gilt Murgia als scharfe Kritikerin von Innenminister Matteo Salvini.

In Österreich kennt man den Begriff des Faschismus hauptsächlich aus linken Diskursen und der Frage, ob es Faschismus ist, wenn eine Coverband aufgefordert wird, Songs von einem bestimmten Schlagersänger nicht zu spielen. In Italien, wo Salvini gerade eben die Europawahl gewonnen hat oder “Mitte-Rechts”-Politiker wie Antonio Tajani, der ganz nebenbei Präsident des Europaparlaments ist, Benito Mussolini für seine Infrastruktur-Politik loben, hat der Begriff eine ganz andere Präsenz.

Worte statt Ideen

Michela Murgias kurze und dichte Polemik liest sich wie ein Manifest, das rhetorisch an die italienischen Futuristen erinnert. Die Demokratie mit ihren langwierigen Entscheidungsprozessen sei zu träge und stifte nur Unruhe, weil alle mitreden möchten. Stattdessen brauche es einen kostengünstigen, effizienten Faschismus, der mit schnellen Reformen die ganze Gesellschaft voranbringe.

Foto des Buchcovers

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Michela Murgia, „Faschist werden - Eine Anleitung“, aus dem Italienischen von Julika Brandestini, Wagenbach Verlag

Doch mit dem historischen Faschismus will Murgia diese neue demokratiefeindliche Bewegung nicht verwechseln. Im Gegensatz zu den Mussolinis, müssen heutige Faschist*innen gar nicht staatliche Institutionen unter ihre Kontrolle bringen. Zur Machtergreifung reiche es, die Sprache zu erobern.

Gemeint ist damit, was hierzulande als “Framing” bezeichnet wird. “Worte provozieren Taten, und wer Kontrolle über die Worte erlangt, besitzt die Kontrolle über die Taten. Von hier ausgehend, ausgehend von den Namen, die wir den Dingen geben, davon, wie wir von ihnen erzählen, kann der Faschismus die Herausforderung meistern, die Gegenwart zu erobern”, so Murgia. Ärzt*innen werden so zu Handlangern der Pharma-Industrie, Klimaforscher*innen zu verantwortungslosen Panikmacher*innen und Ökonom*innen zu Zahlenfälscher*innen auf der Gehaltsliste der herrschenden Elite.

Feinde statt Argumente

Die Elite ist übrigens gemeinsam mit Muslim*innen und Migrant*innen das willkommene Feindbild für Murgias Faschismus. Überhaupt ist der Begriff “Feind” für einen erfolgreichen Faschismus von größter Wichtigkeit, so Murgia. Nur, wenn man sich nicht auf differenzierte politische Auseinandersetzung einlässt und stattdessen ununterbrochen gegen ein diffuses Feindbild poltert, könne man sich als Faschist Gehör verschaffen.

Den Begriff des “Gegners” lehnt sie übrigens ab. Das sei was für eine Demokratie. Und an dieser Stelle verlässt Murgia, wie oft im Buch, ihre satirische Faschismuskritik und entblößt auch Schwächen der gegenwärtigen Demokratien. “Wenn man bei den Wahlen antritt und dabei so klug ist, nicht explizit “Wir sind Faschisten” zu rufen, besteht die große Wahrscheinlichkeit, dass die blödsinnigen Demokraten einen antreten, Wählerstimmen einheimsen und sogar regieren lassen, in der hehren Überzeugung, man sei nichts weiter als ein Gegner, der eben etwas andere politische Ideen vertritt” schreibt Murgia.

Demokratie statt Faschismus

Die kurze Anleitung von Michela Murgia ist im Grunde nicht eine Polemik gegen den Faschismus. Ihr Zielpublikum sind weder Lega Nord-Wähler*innen noch Identitäre. Und die würden sich von dieser Satire ohnehin nicht überzeugen lassen.

Vielmehr ist “Faschist Werden” eine Kritik an der zunehmenden Kompromissbereitschaft und Resignation von selbsternannten demokratischen Kräften im Umgang mit autoritären und rechtspopulistischen Gruppen. Hinter dem reißerischen Titel “Faschist werden” versteckt sich eine satirische und kritische Anleitung darüber wie man ein Demokrat bleibt. Ein Buch, das man also auch in der U-Bahn lesen möchte.

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