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Kreuz vor blauem Himmel

Pixabay / CC0

mit akzent

Retter der Menschen

Es ist nicht leicht, als Jesus zu arbeiten. Ich weiß das aus Erfahrung.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Vor ungefähr zehn Jahren stand ich mit einem Kreuz auf meiner Schulter an der Kreuzung von Mariahilferstraße und Neubaugasse und machte Werbung für das Musical „Jesus Christ Superstar“. Ich hatte eine lockige Perücke auf, mit der ich mehr wie Slash von Guns’n’Roses aussah als die ikonische Vorstellung des Retters der Menschheit.

Todor als Jesus auf der Mariahilferstraße

Todor Ovtcharov

Originalfoto von Todor als Jesus

Ich weiß nicht, ob es an der Perücke lag, aber es gab kaum jemanden, der vorbeiging und mir nicht irgendetwas Deppertes sagen wollte. Ich hielt es stoisch aus, bis eine Gruppe von Kindern mein Kreuz stehlen wollte, um darauf zu klettern. Ich hätte nichts dagegen, wenn ein anderer mein Kreuz tragen würde, doch es war sehr instabil und ich hatte Angst, dass sie es kaputt machen. Es war zwar wackelig, aber bereitete mir Schmerzen in der Schulter. Ich spüre die Schmerzen immer noch, wenn ich auf der Mariahilferstraße spazieren gehe. Ich bin vielleicht der Einzige, der einen Rheumatismus von einem Job als Jesus hat.

Gestern spürte ich die Schmerzen stark. Das Wetter war sonnig und die Menschen waren froh, dass der Sommer endlich da ist. Und ich hatte Schulterschmerzen.

In der Vitrine eines Geschäfts tanzen drei wie lebendige Mannequins angezogene Mädchen im Rhythmus eines K-Pop-Hits, der so laut ist, dass man seine Gedanken nicht hören kann. Die Mädchen tanzen synchron und machen Werbung für das Geschäft, sie tragen bunte Kleider, die man sich kaufen kann. Vor der Vitrine stehen Kinder und zeigen den tanzenden Mädchen die Zunge. Sie versuchen, nicht darauf zu achten, doch ich spüre aus Erfahrung, wie sie leiden. Nicht nur müssen sie in einer Vitrine tanzen und sich fühlen wie etwas zwischen einem Tier im Zoo und anderen Mädchen in Vitrinen an der deutsch-tschechischen Grenze, sie müssen auch noch die Eis essenden Kinder aushalten, die ihnen ihre Zungen zeigen. Doch die Musik dröhnt und sie tanzen weiter. Sie tanzen den Tanz des Konsums.

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Ein paar Meter weiter zeigen Anti-Pelz-Aktivisten auf riesigen Bildschirmen ein Video, in dem ein Fuchs gehäutet wird. Die Schreie des Fuchses vermischen sich mit dem K-Pop-Song. Wir müssen die Füchse retten, aber auch die Mädchen aus dem Schaufenster.

Auch denkt niemand an die Rettung des Menschen, der wie ein drei Meter großer Panda angezogen ist. Er versucht, alle Kinder zu sich zu locken, damit sie ein Foto mit ihm machen. Er tut mir leid, fast so sehr wie der gehäutete Fuchs. Es ist nicht leicht, bei 30 Grad Hitze wie ein Panda angezogen zu sein. Doch der Pandamensch macht das für ein paar Euro in der Stunde und schaut mich mit seinen traurigen Pandaaugen an. Die Kinder klettern auf ihn drauf und ihre stolzen Eltern fotografieren sie.

Auf der einen Straßenseite stehen die Zeugen Jehovas, auf der anderen die Vertreter der Church of Scientology. Sie wollen weder die Mädchen aus der Vitrine noch den Pandamann retten. Sie sind beschäftigt mit der Rettung der ganzen Menschheit. Und meine Schulter tut von meinem Kreuz weh.

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