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Psycho-Noir-Adventure im düsteren Fjord: „Draugen“

Das First-Person-Abenteuer „Draugen“ ist ein atmosphärisch-düsterer Mystery-Thriller mit gewöhnungsbedürftigem Personal.

Von Rainer Sigl

Wahrscheinlich ist es kein Wunder, dass die skandinavische Sagenwelt für besondere Düsternis bekannt ist: Wenn es im Polarkreis ein halbes Jahr lang finster wird und das nächste Nachbardorf unerreichbar weit entfernt ist, bleibt man lieber zu Hause und erzählt sich Gespenstergeschichten. Zum Beispiel von den Draugar: So nennt man im Norden Europas die untoten Geister der Verstorbenen, die keine Ruhe finden und als Wiedergänger herumspuken.

Im soeben erschienenen Videospiel „Draugen“ bekommt man es ebenso mit den Geistern der Toten zu tun - übernatürlich wird es in diesem psychologischen Thriller aber nicht. Schauplatz der Handlung ist ein verlassenes norwegisches Dorf ganz hinten in einem Fjord, und wir sind in der Gestalt des Amerikaners Edward Harden in den 1920er-Jahren auf der Suche nach unserer verschollenen Schwester Betty.

Mystery-Walking-Simulator

Der Ort ist verlassen, und so suchen wir bald nicht nur die Schwester, sondern auch Antworten: Wo sind all die Dorfbewohner? Was hat ein tragisches Grubenunglück in der Vergangenheit mit deren Verschwinden zu tun? Und wieso hat scheinbar bittere Feindschaft diese Dorfgemeinschaft auseinandergerissen? Aus der Ich-Perspektive durchstreifen wir die düster-idyllische Landschaft, suchen Hinweise und wählen in Konversationen zwischen einigen wenigen Antwortoptionen - viel mehr Spielmechanik bietet „Draugen“ nicht.

Apropos Konversation: Allein sind wir dabei im Unterschied zu den meisten anderen Walking-Simulatoren zumindest nicht, denn wir werden begleitet von der jugendlichen Lissy, deren Vormund Edward ist. Während dieser aber ein vorsichtiger, ängstlicher und überkorrekter Langweiler ist, wirbelt die junge Frau übermütig herum und hat für alles einen flapsigen Kommentar parat. Das kann man charmant finden - oder wahnsinnig anstrengend.

Der Autor dieser Zeilen gesteht, zur letzteren Fraktion zu gehören. Was anfangs noch im Screwball-Stil als witziges Wechselspiel zwischen zwei ungleichen Charakteren für Unterhaltung sorgt, wird nämlich schon bald zum Ärgernis, das die düstere Atmosphäre zumindest teilweise untergräbt: Lissys schnoddriger Umgangston nervt ebenso wie Edwards steife Korrektheit. Die Figuren wirken zumindest in der ersten Spielhälfte arg holzschnitthaft - eigentlich überraschend, denn die schwedischen Schöpfer von „Draugen“ sind die Macher der Ausnahme-Adventures „The Longest Journey“ und „Dreamfall“.

Draugen

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Der Schein trügt - zum Glück

Es zahlt sich dennoch aus, auch bei anfänglicher Antipathie für die Hauptfiguren am Ball zu bleiben, denn was „Draugen“ dennoch wieder rettet, ist die Handlung, die uns mit überraschenden Wendungen und Enthüllungen wiederholt den Boden unter den Füßen wegzieht. Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden.

„Draugen“ ist für Windows erschienen.

Die große Klasse der Adventure-Klassiker „Dreamfall“ und „The Longest Journey“ erreicht dieses mit vier Stunden zudem recht kurze Kammerspiel aber nicht. Weder Rätsel noch Orientierung stellen vor nennenswerte Herausforderungen - und als absolut lineares Abenteuer bietet es abseits der Handlung auch kaum Grund, sich durch die hübsche Welt zu bewegen.

Die spannende Story lässt diese Einschränkungen trotz des einen oder anderen Klischees allerdings vergessen. „Draugen“ ist ein düsterer, durchaus origineller Thriller in atmosphärisch gelungenem Setting - mit Figuren, die zum Glück komplexer sind, als es den Anschein hat.

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