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CC0 via Pixabay

In Doris Anselms „Hautfreundin“ liest man endlich lustvoll positive Sexszenen

Die #metoo Debatte hat in den letzten Jahren übergriffigen und sexistischen Männern viel Aufmerksamkeit geschenkt. Genug, meint die deutsche Autorin Doris Anselm. Sie möchte stattdessen mal die „guten“ Männer in den Fokus setzen und schreibt in „Hautfreundin. Eine sexuelle Biographie“ über positive sexuelle Erfahrungen.

Von Conny Lee

Die Protagonistin von „Hautfreundin“ hat keinen Namen. Auch ihr Äußeres wird nie konkret beschrieben. Damit will die Autorin Doris Anselm den männlichen Blick vermeiden. Es geht allein um die innere, weibliche Perspektive der Hauptfigur. In Episodenform erzählt sie von Erfahrungen mit verschiedenen Männern, mit denen sie ihre eigene Sexualität erforscht. Es sind alles unterschiedliche, individuelle Begegnungen, aber alle positiv. Die Protagonistin sucht sich ihre Partner ausschließlich selbst aus, vom ersten Mal an. Sie spricht die Männer an, selbstbewusst und offensiv, allerdings nie aggressiv. Doris Anselm schreibt darüber, was Sex sein kann, wenn er auf Augenhöhe passiert, in einem respektvollen, freundschaftlichen Kontext. Darauf spielt auch der Titel des Buches, „Hautfreundin“, an.

Buchcover von Doris Anselms "Hautfreundin"

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„Hautfreundin. Eine sexuelle Biografie“ von Doris Anselm ist erschienen beim Luchterhand Verlag

Egal ob in Filmen, Büchern oder Videospielen: Wenn es um weibliche Sexualität geht, ist die Bandbreite der Darstellungen enden wollend: das schüchterne, unerfahrene Mädchen wird vom großen starken Mann sexuell erweckt. Oder sie ist die gefühlskalte Femme fatale, der Man-Eater, was dann meist nur umgedrehter Sexismus ist. Doris Anselm setzt bewusst ihre Protagonistin entgegen, die nicht auf der Suche nach einer Romanze ist, sondern einfach gute sexuelle Erfahrungen machen will.

Es gibt viele sexuell explizite Szenen in „Hautfreundin“. Doris Anselm geht nicht den Weg, den so viele andere nehmen, die das Anbahnen genau erzählen, den eigentlichen Akt dann allerdings aussparen oder nur mehr andeuten. Sie beschreibt jedes Detail präzise, ohne dass es zu einer technischen Aufzählung wird. Die große Herausforderung ist, nicht in sprachliche Pornoklischées oder Groschenromanästhetik zu verfallen. Das schafft Anselm, weil jede Geste, die sie beschreibt, uns etwas über die Figuren erzählt.

„Er drückt die Beine auseinander, um mir besseren Zugriff zu geben. Ich reibe seinen Schwanz mit meiner Linken und schiebe die Finger der rechten ganz unter ihn, unter die Hoden, die ich anhebe und sanft schüttle wie etwas, dessen Gewicht ich prüfe. Paul wird sehr still, und ich beobachte die Reaktionen in seinem Gesicht. Ich kenne das von mir selbst, diesen inneren Zoom, dieses Einstellen auf die Berührungen von jemand anderem. Dieses Scharfstellen.“

Wir werden zwar überall mit Sex konfrontiert werden, allerdings immer in Bild und Ton, daher die Schwierigkeit, präzise und facettenreich zu formulieren. Vielleicht sind deswegen schöne Sexszenen in der Literatur noch nicht so häufig zu finden. Doris Anselm meinte dazu in einem Interview, wer Sex in rein technischen Beschreibungen denke, werde „nicht nur schlechten Sex schreiben und lesen, sondern auch haben.“

„Hautfreundin“ ist kein Roman gegen romantische Liebe und Monogamie, sondern vielmehr eine Verteidigung des Gegenentwurfs: eines promiskuitiven Lebensstils, der sonst meist negativ dargestellt wird, als Mangel an Empathie. Doris Anselms Protagonistin ist hingegen sehr einfühlsam, versucht zu jedem ihrer Sexualpartner eine nahe, ehrliche Verbindung herzustellen. Aber nicht nur die expliziten Szenen sind detailliert beschrieben, sondern Anselm erzählt insgesamt mit viel Beobachtungsgabe. Zum Beispiel wenn die Protagonistin sich daran erinnert, wie sie mit ihrem ersten Freund kurz vorm ersten Mal war.

„[...] und ich erinnere mich auch, dass wir genau zu der Zeit vorhatten, miteinander zu schlafen. Ein Plan wie das Abitur, oder wie eine erste Wanderung durch unwegsames Gelände. Wir sind im Training, wir üben nach der Schule in sanften Hügeln und Tälern, die nach Butterblumen riechen, dem Weichspüler, den seine Mutter für die Bettwäsche benutzt.“

Es geht in „Hautfreundin“ gleichermaßen um das Erforschen der eigenen Sexualität wie auch um die richtige Sprache dafür. Es ist ein präzises, humorvolles und sehr lustvolles Reflektieren über Sex, voller schöner Textstellen, die man am liebsten sofort jemandem vorlesen will.

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