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Zehn Jahre später: „Immer noch Bitterfotze“

Vor zehn Jahren hat die Schwedin Maria Sveland in „Bitterfotze“ (im Original: „Bitterfittan“) ihren Frust über Mutterschaft und unzulängliche Väter rausgekotzt und damit einen internationalen Bestseller gelandet. Nun ist Bitterfotze Sara Anfang 40 und geschieden und „Immer noch Bitterfotze“. Statt endlich frei zu sein, ist sie konfrontiert mit den Vorurteilen gegenüber alleinstehenden Frauen und Müttern.

Von Anna Katharina Laggner

Es gibt Bücher, in denen nichts zwischen den Zeilen steht. Alles ist niedergeschrieben und ausgesprochen, durchaus auch einmal grammatikalisch falsch. Es ist die Sprache der Konsumgesellschaft: einfach und unmissverständlich, frei von Ironie, knackig, aber nicht unbedingt klug in der Aussage. Wobei, wie sich herausstellen wird, „Immer noch Bitterfotze“ über den Gemeinplatz Du musst dich selbst lieben, um Liebe, Glück, Zufriedenheit empfinden zu können ohnehin nicht hinauskommt.

Der Vibrator tat, was er sollte, aber wie viele Orgasmen ich auch bekam, mir fehlten die Berührung und die physische Nähe zu einem anderen Menschen. Als ich mich deswegen auf einem Spaziergang ein paar Tage später bei Rilke beklagte, blieb sie stehen und schaute mich ärgerlich an: „Ich wünschte, ich könnte dich Fotze nennen. Aber dafür fehlt dir Tiefe und Wärme.“

Maria Sveland

Kiepenheuer & Witsch

Maria Sveland

Als total krank hat Maria Sveland unsere Gesellschaft in einem Interview anlässlich der Erscheinung von „Bitterfotze“ vor zehn Jahren bezeichnet. Daran hat sich seitdem wenig geändert, nicht einmal im Vorzeigeland der Gleichberechtigung, die Maria Sveland für einen faulen Deal hält. Dass sie selbst eine Art von Literatur schafft, die nur in genau dieser Gesellschaft funktioniert, ist, zumindest scheinbar, ein Widerspruch. Scheinbar, weil sich Bitterfotze Sara durchaus als Teil der Gesellschaft versteht, gegen die sie kämpft. Eine Gesellschaft, in der, um es so einfach wie Sara auszudrücken, Männer viel mehr Rechte haben als Frauen.

Buchcover mit rauchender Frau im Stil der 1950er Jahre

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„Immer noch Bitterfotze“ von Maria Sveland erscheint in einer Übersetzung von Regine Elsässer bei Kiwi.

Nun möchte auch die geschiedene Mitvierzigerin Sara tun, was ihr gefällt. Konkret: in der Woche, in der die Kinder bei ihrem Exmann sind, Sex haben. Die Idee ist, sich einen Stall voller Männer zu halten und jeweils den rauszuholen, der ihr passt. Das programmierte Scheitern dieses Vorhabens macht etwa die Hälfte des Buches aus. In der anderen Hälfte spielt Saras Nachbarin eine große Rolle, eine 70-jährige alleinstehende Frau, die sich gar nix mehr scheißt und somit die perfekte Projektionsfläche für sämtliche Freiheitsphantasien von Sara ist. Die Nachbarin lebt quasi vor, dass es möglich ist, ein richtiges Leben im Falschen zu führen.

Schundroman für Emanzen

Doch Sara gelingt es nicht, sich von der „sexistischen Sozialisierung“ zu befreien, wenn auch ein lesbischer Dreier zeigt, dass man auch ohne den bestätigenden Blick der Männer Spaß haben (und nachher über Politik reden) kann. Am Weg zum vermeintlichen Idealzustand als freie Frau lauern Gefahren in Form von Vorurteilen, locken falsche Versprechungen in Sackgassen, steht Sara immer wieder der eigene Frust im Weg.

„Immer noch Bitterfotze“ ist so etwas wie der Schundroman für Emanzen: voll der Bestätigungen, dass Männer scheiße sind und wir Frauen besser alleine klarkommen. Die Benutzung der alten Genderfronten ist Maria Svelands Antwort auf den emanzipatorischen Backlash des 21. Jahrhunderts. Als Autorin verfolgt sie die Strategie, die total kranke Gesellschaft aufzurütteln, indem sie ihr fest eine reinhaut.

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