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Fatoni

Jan Philip Welchering

Fatoni: Der Klassenkasperl in der Midlife-Crisis

Der Münchner Rapper Fatoni veröffentlicht sein 6. Album „Andorra“. Als Schauspieler versteht er es, sich im Mantel der Ironie zu verhüllen. Doch in seiner Lebensrolle als Fatoni nähert er sich immer mehr seinem echten Charakter. So persönlich hat man Fatoni noch nie gehört.

von Florian Wörgötter

Es scheint auch dieser Tage noch ungewöhnlich, wenn ein Rapper in deutscher Sprache von seiner Midlife-Crisis, einer Panikattacke und einem Burnout rappt. Auch überraschend: Dass dieser Typ ausgerechnet Fatoni heißt und sich einen Namen als Klassenkasperl der neuen HipHop-Schule gemacht hat.

Der Münchner Rapper hat sich bisher vor allem mit Ironie-imprägnierter Schlagschutzweste jede Nahbarkeit vom Leibe gehalten. Doch auf seinem sechsten Album „Andorra“ öffnet er den Schutzpanzer bis zum Bauchnabel und zeigt ordentlich Gefühle.

Der Andorra-Effekt

Fatoni Live:
Am 17. Oktober in der Grellen Forelle in Wien.

Der Albumtitel referenziert zum einen Max Frischs Theaterstück „Andorra“, eine Parabel auf die Wirkung von Vorurteilen im Antisemitismus, zum anderen das soziologische Phänomen des Andorra-Effekts. Dieser besagt, dass Menschen sich so verhalten, wie die Gesellschaft es von ihnen erwartet. Fatoni bezieht diesen Effekt auf seine eigene Rolle – als ständig Suchender in einer fordernden Gesellschaft; als Rapper, der die Erwartungen an den Kritikerliebling „Yo, Picasso“ (2015) erst zwei Alben später erfüllen kann; als Online-Junkie, der sein digitales Leben geben will. Die passende Songzeile dazu: „Hör nur auf dich selbst, haben die anderen gesagt“.

Alles zieht vorbei

Gerade im Testosteron gesteuerten Mainstream-HipHop darf es noch immer als Stärke gewertet werden, seine Schwächen öffentlich zu zeigen. Daher ein großes Lob, dass das erzählerische Ich weitgehend dem autobiographischen Ich gewichen ist. Schon die ersten Zeilen auf dem Album des Openers „Alles zieht vorbei“ eröffnen mit Worten wie Burnout, Midlife-Crisis und „Allen Gefallen Wollen“. Die letzten Zeilen des Songs werden dann auch noch von Diskurs-Pop-Pate Dirk von Lowtzow, Frontmann von Tocotronic, ins Mikro gehaucht.

Steckt da etwa einer mit gerade einmal 34 Jahren schon in der Midlife-Crisis? „In der Zeit, in der ich die Platte geschrieben hatte, fehlte mir stellenweise der Boden unter den Füßen“, antwortet Fatoni. „Ich bin umgezogen, hatte eine Trennung, spielte hundert Konzerte im Jahr und hatte kein Zuhause mehr. Ich hatte also tatsächlich eine kleine Midlife-Crisis“.

Dass die Platte so persönlich geworden ist, sei aber einfach passiert und folgte keinem Konzept. Das Bedürfnis, mehr von sich zu erzählen, erklärt er erstens mit einer notwendigen Weiterentwicklung von „Yo, Picasso“ – und zweitens: „Künstler, die ich schätze, die aber ihre Maske nie abnehmen, um immer in ihrer Rolle zu bleiben, langweilen mich heute. Ich frage mich, warum erzählst du denn nichts von dir? Von dem Menschen hinter dem Projekt?“

Alles Theater?

Gerade die introspektiven Stellen des Albums erwecken den Anschein, dass der Schauspieler, der Anton Schneider im zweiten Leben auch ist, sich in seiner Lebensrolle Fatoni immer mehr jener hinter den Kulissen annähert. Etwa, wenn er ganz offen beschreibt, wie ihn während einer Theateraufführung eine Panikattacke überkommt – und er trotzdem weiterspielt. „Die Panik fand nur in mir drinnen statt. Keiner meiner Kollegen hat sie bemerkt“, erklärt Fatoni lachend den „surrealen“ Zustand, den er bisher nur von seiner jugendlichen Kiffer-Paranoia kannte. „Spricht ja eigentlich dafür, dass ich ein ganz guter Schauspieler bin. Vielleicht klappt’s doch noch mit dem Burgtheater.“

Fatoni

Franz Reiterer

An die Wiener Theater-Hochburg wurde er sogar schon zum Vorsprechen eingeflogen, jedoch ohne weitere Gründe abgelehnt. Sein erstes Engagement nach der Schauspielschule führte ihn immerhin an das Stadttheater Klagenfurt. Im Boulevardstück „Komödie im Dunkeln“ („ziemlich großer Quatsch“) spielte er damals den Klempner („keine glorreiche Rolle“). Dafür hatte er in den vielen freien Abenden zwischen den Auftritten genügend Zeit, mit den Theaterkollegen einen trinken zu gehen („jetzt kenne ich Klagenfurt“).

Wie Fatoni selbst mit den steigenden Erwartungen an beruflichen und gleichzeitig privaten Erfolg umgeht? „Ich versuche mich davon freizumachen – was ich natürlich gar nicht schaffe“, gesteht er. Den Wachstumswunsch eines Künstlers empfindet er nur mehr dann, wenn er sich eine Band leisten soll. Auch seine Konzerthallen entsprechen bereits seiner Optimalgröße. Privat hingegen wünscht sich Fatoni weniger Rastlosigkeit, mehr Haus am See, spielende Kinder - er selbst ein gechillter Opa.

Versace, Versace, Versace

Dass er von dieser Rolle weit entfernt ist, zeigt der Szene-Diss „Clint Eastwood“, in dem er wie der Namenspate mit Schrotflinte von der Veranda auf die Jungen ballert. Natürlich nur augenzwinkernde Platzpatronen und als selbstironisierte Retro-Figur King of Queens, der Pakete an alte Rap-Kollegen wie Curse und die Antilopen Gang ausliefert. Doch wie verkraftet man als Kapitalismuskritiker, dass sich die Rap-Jugend von heute ihre Lebensmittel „Klamotten, Drogen und Shoppen“ wohl nur mehr über Amazon bestellt?

Dass irgendwann ein jeder den Punkt erreicht, an dem er früher alles besser fand, sei Teil des klassischen Generationenkonfliktes. Doch die meisten hätten vergessen, dass sie diesen schon mit ihren Eltern ausgefochten haben und würden nur ihre Jugend romantisieren. Den Zeitgeist zu hinterfragen sei aber gesund und normal, doch die Alternative sei noch kritischer – nämlich als zwanghaft Berufsjugendlicher den Kids nachzulaufen.

Doch steckt vielleicht auch HipHop in einer Midlife-Crisis? „Ich glaube nicht, denn der (oder die?) HipHop hat sich wie kein anderes Genre seit Jahrzehnten immer wieder erfolgreich neu erfunden“, zeigt sich Fatoni überzeugt. „Die Frage ist, ob man sich als Teil dieser Kultur mitentwickelt oder ob man in seiner Epoche bleibt, mit der man sozialisiert ist“. Oder ob man eben versucht, wie Fatoni den Spagat dazwischen zu machen – und besonnen darauf achtet, sich selbst nicht langweilig zu werden.

Und dieser Spagat gelingt ihm äußerst gelenkig – mit smarten Songwriting-Twists, unterhaltsamem Sarkasmus, eingängigen Refrains und den wuchtigen Trap-Boombap-Hybriden von Produzenten-Buddy Dexter. Die gute Nachricht: Wenn das der Beweis is’ für die Midlife-Crisis, dürfen wir uns auf sie freuen.

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