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Nova Rock Crowd

Franz Reiterer

Götterdämmerung in Nickelsdorf beim Nova Rock Festival

Die 1980er haben angerufen und wollen ihre Kajalstifte zurück: The Cure, Slayer und New Model Army sind da. The Smashing Pumpkins und die Idles ebenso.

Von Alexandra Augustin und Lisa Schneider

Friday we’re in love

Was kann man heutzutage noch als wahrhaftig titulieren? In Zeiten von Fake News, Selbstdarstellern und asozialen Medien? Die sogenannte „Authentizität“ hat besonders in der Welt der Künste einen hohen Stellenwert. Aber hier lauern die größten Lügen und Missverständnisse. Was kann man einer Punkband glauben, die Millionen Platten verkauft hat? Oder einer Band, die einst im Underground operiert hat und nun gähnend geriatrische Best-of-Shows abliefert? Alter Käse oder noch von Relevanz?

Leberkäse am Nova Rock Festival

Gersin-Livia Paya

Symbolbild Festivalverpflegung: Der gemeine Leberkäse mit kunstvoller Dekoration

Es ist eine feine Klinge, an der man sich als kunstschaffende Person entlang bewegt, ohne in die Bedeutungslosigkeit und Lächerlichkeit abzurutschen. Aber es gibt zum Glück Bands, die mit den Elementen der Groteske fabelhaft jonglieren.

Einen Alice Cooper, Motörhead (Rip Lemmy!) und Slayer auf der großen Bühne zu sehen, gehört zu den größten Späßen überhaupt. Es gibt Bands, deren konstante Verweigerungshaltung durchaus erfrischt. Hey, erlaubt ist, was Spaß macht. Muss man zwanghaft irgendwelche Alben raushauen, um im Gespräch zu bleiben? Nein. Manchmal ist es besser, alles bleibt, so wie es ist. Es gibt zum Glück noch genug Bands, die sagen: „We don’t give a fucking fuck!“

Ha ha ha, wake up in the dark, the after-taste of anger in the back of my mouth. („Dog Shake Dog“, The Cure, 1984)

Robert Smith ist wohl einer der letzten kritischen Geister in einer stromlinienförmigen Musikwelt. Das zeigt sich natürlich auch durch das vehemente Bestehen auf seinen finsteren Krampus-Look: Schwarzer Kajal, rote Lippen, (gestutzes) Nest am Kopf. Im April wurden The Cure in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen. So viel Freude! So viel erreicht! Was für eine Ehre! Not. Immerhin, Kollege Trent Reznor hat die Rede gehalten und pointiert bemerkt: „Long before the internet, they valued out art form".

Für den stets mieselsüchtigen Robert Smith war das Ereignis ein sichtbar befremdlicher Moment. Im Zusammenhang mit einer an einer Überdosis Enthusiasmus leidenden Journalistin ist davor alles unterhaltsam eskaliert.

“I don’t care where The Cure is placed in the pantheon of rock. I don’t care if we’re perceived as relevant. We’re never worried how we fit in. I don’t even want to fit in.” - Robert Smith, The Cure

George Orwell hat in seinem dystopischen Roman „1984“ einst etwas sehr kluges gesagt: „Perhaps one did not want to be loved so much as to be understood“.

Willkommen im schwarzen Reigen

Also Babypuder auf die Beine, hinein die engen, schwarzen Jeans. Es ist sicher kein Zufall, dass The Cure ihr Set mit „Shake Dog Shake“ von der Platte „The Top“ aus dem Jahre 1984 eröffnen. Danach schlagen traurige Herzen höher: „Pictures of You“, „High“, „Lovesong“, „Just Like Heaven“. Ein Eintauchen in die beste Cure-Platte „Disintegration“: „Last Dance“, „Fascination Street“. Man verläuft sich im düster-gewaltigen „A Forest“. Die Zugabe: „Lullaby“, „Friday I’m in Love“, „Close to Me“, „Why Can’t I Be You“, „Boys Don’t Cry“ am Ende. Beinahe schon eine unerträglich perfekte Portion gute Laune.

Nova Rock Crowd

Franz Reiterer

Wie gewohnt gehabt sich die Band stoisch, das ist nur konsequent: Die Gottheit der tieftraurigen Goth-Bewegung, die mittlerweile für ausgestorben erklärt wurde, wirkt wie das letzte, halbwegs erhaltene, unglückliche Exemplar seiner Art. Wie ein sorgfältig hinter Glas und in Schutzatmosphäre gepacktes Relikt im Museum, damit es sich nicht vollständig zersetzt. Am Ende sind es 29 Lieder aus 13 Studioalben, die The Cure aneinander montiert haben.

Zweieinhalb Stunden Konzert: Das ist das längste Set hier am Nova Rock und lässt sämtliche jüngeren KollegInnen alt aussehen. Danach muss König der Finsternis weiterziehen, wird ja bald hell.

Payback’s a bitch, motherfucker!

Slayer sind eine Naturgewalt. Slayer sind die beste Band der Welt. Slayer-Platten sollte man der Oma zu Weihnachten schenken. Heute also die - wahrscheinlich wirklich! - letzte Gelegenheit, Slayer live in Österreich zu sehen. Da kann man schon mal ins warme Bier weinen. Die großen Helden liefern brav ab: Rifffeuerwerk,Pyroshow, ein gnadenloses Trommel-Inferno. Dazu wird die Seele aus dem Beuschel geschrien. Slayeeeeeer!

Ein würdiger Abschied von Slayer

„It’s the slowest suicide in history“, meint Kollege Dave Dempsey. Slayer sind nämlich seit Monaten auf Abschiedstour. Ihre Welttour haben sie extra verlängert.

„Wir waren überwältigt von der Resonanz, die wir bekommen haben. Wir haben von Fans gehört, die fünf, sechs Stunden gefahren sind oder aus anderen Städten und Ländern eingeflogen sind, um uns zu sehen. Deshalb wollen wir allen versichern, dass wir möglichst viele Orte auf der Welt besuchen werden, um es für unsere Fans leichter zu machen, uns ein letztes Mal live zu sehen“, sagte Kerry King von Slayer vorab.

Es wird leer werden auf den Festivalbühnen dieser Welt ohne Slayer. Rest in pieces, Slayer!

Kill Your Idols

Mit den Smashing Pumpkins verhält es sich wie mit vielen Bands, die man einst an und in den 1990er Jahren innig geliebt hat: Hymnen für die Ewigkeit wie „Today“ (Spoiler: nicht gespielt) „Disarm“ (gespielt), „Tonight, Tonight“ (nicht gespielt) hört man natürlich immer noch gern. Nostalgie deluxe.

Es ist eine von vielen Bands, die man irgendwann nicht weiter aktiv verfolgt hat. Vielleicht verhält es sich hier auch wie in einer Freundschaft, die irgendwann auseinanderdriftet, ohne Drama: Man hat sich einfach nicht mehr so viel zu sagen.

Ein Ende ist ein Anfang ist ein Ende

Mit einer Wiederbelebung der alten Emotionen hat man es über die Jahre immer wieder versucht, aber sie mäandern genauso dahin, wie Billy Corgans klagende Stimme. Aber ja, man kann sich doch wieder mal auf ein Bier treffen und über alte Zeiten sinnieren.

Es wäre töricht zu behaupten, die Smashing Pumpkins wären keine gute Liveband. Sie liefern on point Nummern wie „Zero“, „Bullet With Butterfly Wings“, „Ava Adore“ und „The Everlasting Gaze“, kombiniert mit giftgrünen Scheinwerferlichtern, wie im guten, alten Video.

Die musikalische Relevanz der Smashing Pumpkins lässt sich ja nicht bestreiten: Die 90er Jahre rund um Bands wie die Pumpkins, Nirvana und Hole waren die prägendste Zeit im modernen Rock ’n’ Roll überhaupt. Outsider, Loser und Slacker haben den Mainstream infiltriert. Doch nach Umbesetzungen, Neubesetzungen, Trennungen und noch mehr Neubesetzungen war man irgendwann ausgestiegen. Try, try, try to hold on! Woran eigentlich? Aber ja, danke, äh, Vienna!

Im November 2018 ist das neue, unaussprechliche Smashing-Pumpkins-Album „Shiny and Oh So Bright, Vol. 1 / LP: No Past. No Future. No Sun“ erschienen. Man muss sich eingestehen: Mit uns wird das nichts mehr. War schön, dich mal wiederzusehen. Der Icecream-Truck ist leider irgendwie abgefahren.

Große Demut: New Model Army

„Es ist ein Privileg, das machen zu können, was man liebt“, erzählt Justin Sullivan von New Model Army im FM4 Interview. Die Band aus Großbritannien zählt zu den wichtigsten Rockbands und hat mit Platten wie „Thunder And Consulation“ Werke für die Ewigkeit geschaffen. Die legendäre Platte ist heuer übrigens 30 Jahre alt.

Es ist erstaunlich, wie zeitgeistig die Stücke immer noch wirken. Ihre Musik, einst gedacht als Sprachrohr der Arbeiterklasse unter Englands Premierministerin Margaret Thatcher, hat nichts an ihrer Aktualität verloren. Der Brexit, ein Gesundheitssystem in Großbritannien, das den Bach runtergeht: Die Songs, die politische Missstände thematisieren, könnten auch in der Jetztzeit entstanden sein. Eine neue Platte gibt’s im August: "From Here“.

The importance of being Idles

18.00 Uhr und die Sonne glüht noch, aber nicht mehr so, dass es weh tut. Eine gute Zeit für die hervorragende bristol’sche Band Idles, die Bühne zu betreten.

„Our energy is part of an exchange. As soon as we get on stage the audience has the possibility to give us as much energy as we can get from them”, erzählen Sänger Joe Talbot und Gitarrist Mark “Bo” Bowen im Interview.

Der Ruf der Idles als druckvolle, leidenschaftliche Liveband eilt ihnen spätestens seit ihrem ausverkauften Gig im Wiener Flex letzten November voraus – auch, wenn besagter Ruf am Weg zu den Pannonia Fields scheinbar etwas verwässert worden ist. Locker gefüllt ist der Wavebreaker, locker auch die hinteren Reihen. Das macht nichts. Die Hardcore-Fans, die jetzt schon mit ihrem Idles-Shirt die erste Reihe besetzen, werden diesen Moment als ein weiteres Highlight ihres Konzertjahres reihen: Idles sind die vielleicht beste Band auf diesem Festival. Eine Band, die die Wütenden bestätigt und gleichzeitig besänftigt.

Idles und Lisa Schneider

Jan Hestmann

Lisa Schneider von FM4 & Idles

Mit „Joy As An Act Of Resistance“ haben Idles 2018 ihr zweites Album vorgelegt. UK-Kreise hätten schon gern den Erstling zum Meisterwerk hochstilisiert. Aber man merkt, es war gut, mit dem totalen Hype auf die zweite Runde zu warten. Auf „Joy As An Act Of Resistance“ bündeln Idles ganz im gallagher’schen Charme das Erbe, das sie antreten: Es ist kein kleineres als das der zornigen Sleaford Mods. Sozialpolitische Themen laut hinausgeschrien, alles, was im Bauch drinnen brodelt, was schief geht, was man das ganze Leben lang miterlebt hat. Und das man jetzt eben mit Musik zur Änderung zwingen will. Das Schlagwort einmal mehr und im Sinne der Festivalfamilie: gemeinsam.

Aber zu zornig sind Idles nicht. Die Melodie ist trotz Geschrei und Gedresche immer eingängig und oft sogar auf gute Art lieblich. Die Inhalte sind nicht nur nicht den Antifaschisten, sondern vor allem als eine Art Solidarisierungsakt den Außenseitern, den Rastlosen oder aber zum Beispiel schlicht ihren Müttern gewidmet: „This is a song about the most amazing, most beautiful, hardest working creature on earth. It’s about the mother. We are feminists”, krächzt Sänger Joe Talbot ins Mikro. Die Stimme immer so, als hätte die vergangene Nacht viele Zigarettenzüge bedeutet. Alles also in guter britischer, mal mehr, mal weniger punklastiger Musiktradition.

Idles haben mittlerweile beim in London und Brooklyn ansässigen Label Partisan Records unterzeichnet, dort sind sie mit The Black Angels, John Grant, Dilly Dally oder Cigarettes After Sex in guter gitarrenlastiger Gesellschaft. Und auch, wenn mit dem jetzt stückweise eintretenden, endlich spürbaren Erfolg die Tickets und Alben verkauft werden, sind Idles eine band of the people geblieben – so auch hier am Nova Rock. Gitarrist Lee Kiernan macht‘s vor und springt gleich beim ersten Song des Sets in die Menge. Entertainment, Schweiß und Euphorie gibt’s natürlich nicht nur off, sondern natürlich auch on stage: Ganz am Schluss, zu einem Cover (was wäre ein waschechtes Nova-Rock-Set ohne eine Cover-Nummer) von Bon Jovis „Living On A Prayer“ darf noch eine Besucherin hinauf auf die Bühne, hinein in die Familie Idles und gleich auch in die Band, samt umgehängter Gitarre.

Dass "Joy As An Act Of Resistance“ in der bewegten politischen Phase, in der sich das UK gerade befindet, sich thematisch gegen den Brexit richtet, muss nicht laut dazugesagt werden. Idles wollen das auch nicht. Klug und subtil, wie sie sind, singen sie lieber frei nach Sinead O’Connor: „Nothing compares to you. Nothing compares to the EU.“

Die Red-Bull-Bühne am Freitag

Eröffnet wird die Red Bull-Bühne freitags von einem ziemlich heißen Tipp aus der amerikanischen Emo-Rap-Szene: nothing, nowhere. Die Jagd nach dem nächsten Trend: Der 27-jährige Joe Mulherin ist ein Musiker der Generation Bedroom-Pop, wo die Songs im Schlafzimmer entstehen, ins Netz hochgeladen werden und in seinem Fall tatsächlich über Nacht zehntausende Klicks bekommen.

Nothing, Nowhere Musiker im Interview mit FM4

Christian Stipkovits

Im letzten Aufschwung, den Trap vor allem auch mit der Musik des letztjährig verstorbenen Lil Peep erlebt hat, hat nothing, nowhere mehrere EPs und zwei Alben veröffentlicht. Er hat einen Major-Deal unterzeichnet und tourt aktuell durch Europa. Im Interview gibt er sich bescheiden. Wenn nothing, nowhere davon erzählt, dass Leute nach dem Gig in der prallen Nachmittagssonne zu ihm kommen, um ihm zu sagen, wie sehr sie seine Musik und Offenheit in Bezug auf den eigenen, oft schwierigen mentalen Mindset schätzen.

„The first song I made for nothing, nowhere it was me fully being me for the first time. I wasn’t worrying about what other people would think. I just was making what I wanted to do. It just so happened that what I wanted to do was working out for the people.”

Und auch schön, vor allem schön kurios: eine der wohl beliebtesten und auch sehr erfolgreichen amerikanischen Rockbands der beginnenden 2000er Jahre, Puddle Of Mudd, geben am Freitag auf der Red-Bull-Bühne den Headliner. Es ist wie ein Zurückzwinkern zum letztjährigen Nova Rock, wo doch tatsächlich die One-Hit-Wonder-Crossover-Band Crazy Town gebucht worden ist. An der Stelle möchte man sich fragen, ob der Erfolg es wettmacht, wenn man Songs wie „Butterfly“ und „She Hates Me“ bis an sein Lebensende live spielen muss.

See ya in hell, morgen wieder hier, am Nova Rock.

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