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Crowd am Nova Rock

Patrick Wally

fm4 festivalradio

Neue Helden, frisches Blut.

Raf Camora ist der Primo. Feine Sahne Fischfilet sind feinste Sahne. Unsere Neuentdeckung am Nova Rock: Die Nova Twins.

Von Alexandra Augustin und Lisa Schneider

Heute also wieder hier, auf den Pannonia Fields. Mit über 220 000 anderen Menschen. Mit großartigen Bands und DJs. Und mit einem Rehkitz.

Rehkitz am Novarock

APA/FFW Nickelsdorf/Christian Meixner

Das Kitz wollte sich die Show von Slayer ansehen.

„Ein Reh ist in einem Zelt“ – mit diesem Notruf wurden die Einsatzkräfte alarmiert. Es wurde zum örtlichen Tierarzt gebracht. Vielleicht wollte es zu Slayer. Oder zu RAF Camora & Bonez MC, den Toten Hosen, Papa Roach oder Feine Sahne Fischfilet. Man weiß es nicht so genau.

Nova Rock is Gotham City

„Nova Rock, damit haben wir nicht gerechnet! Wir treten hier auf einem Rock Festival auf. Wir respektieren jede Musik. Ich hoffe, ihr auch!“, schreit RAF Camora ins Mikrophon. 50.000 Menschen stehen vor der Bühne. Die Fans zitieren die Songs. Auf der Bühne steht ein riesiges Krokodil, zwei Motorräder und seine Band. Standesgemäß sind seine Brudis in die Autos gestiegen und zum Nova Rock gefahren. Maserati und Mercedes. Nicht ohne mein Team. Nicht ohne mein Auto.

RAF Camora ist gekommen, um sich zu holen, was ihm zusteht. Heute sind das alle Leute hier, das gesamte Festival.

Ignoriere das System. Verwende es, wenn es passt.

Ignoranz der Presse gegenüber diversen (sub-)kulturellen Phänomenen hat es immer schon gegeben. Es hat immer Acts gegeben, die von großen Medien übergangen wurden, egal, ob Rockmusik oder Punk. Hip Hop ist bekanntlich der neue Punk - die Geschichte setzt sich fort. Vielleicht, weil KulturjournalistInnen zu subkulturellen Phänomenen keinen Bezug haben? Weil man sich nicht traut, heiße Eisen anzufassen, die außerhalb der hochkulturellen Bubble lodern?

Im Fall von RAF Camora ist das besonders auffällig. Ignoranz ist die höchste Form der Verachtung. Ein Werkzeug der Schwachen. Darüber sollte man diskutieren.

Martin Blumenau und Mahdi Rahimi über das Phänomen Raf Camora

Am Phänomen RAF Camora kann man viel beobachten. Lange wurde der Musiker von der heimischen Presse geschnitten. Bis er die Spielregeln geändert hat: Kommerzieller Durchbruch, Musikpreise, Doppelplatin.

Wir waren die Ersten,
Die Ersten in Deutschland, Platin der Stempel, ja, Mann!
Plötzlich waren Gangster am Tanzen auf westafrikanischem Sample,
Für sie war die Mucke nur Coco Jambo.
Früher waren ich und mein Kroko so broke.
Heute hat Kroko ein Haus geschnappt.
Schnapp, schnapp, schnapp,
Egal, ob Camora oder Alabas, also tanz, tanz, tanz!
Nenn mich Primo, der Zweite, der Dritte schreibt keine Geschichte.
(„Primo“ – Raf Camora, 2017)

Er spielt in ’ner andern Liga

Natürlich kann man behaupten: In diesen Zeiten braucht ein RAF Camora die Absolution der klassischen Medien nicht mehr. Wen interessiert, was irgendwer schreibt? Das ist natürlich nur die halbe Wahrheit, (gute) JournalistInnen sind immer noch wichtig, um Dinge einzuordnen. Das erfordert aber Offenheit. Die fehlt oft, nicht nur im Fall von RAF Camora.

Seit letzten Oktober kann sich das klassische Mediensystem an RAF Camora nicht mehr vorbeischummeln. RAF Camora & Bonez MC haben die österreichischen Charts „gesprengt“: Er und sein deutscher Kollege haben mit dem Album „Palmen aus Plastik 2“ 13 Plätze der Top 15 in den Ö3-Charts belegt. Ein sehr guter Wahnsinn.

„2007 bin ich nach Berlin gegangen weil die österreichische Industrie keinen Bock hatte. Nur 3% der Bevölkerung hören Hiphop, haben sie gesagt. Wen interessiert Fünfhaus, haben sie gesagt. I was net ob des so Leinwand is, haben sie gesagt. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was es für mich bedeutet, heute zu verkünden, dass die WIENER STADTHALLE Ausverkauft ist.“
(RAF Camora, Facebook Posting, September 2018)

Taschen voll mit Geld

Es ist der „amerikanische Traum“, von dem die Erfolgsstory des Rappers erzählt. Alles selbst erarbeitet. Die Taschen voll mit Geld und Kokain, dazu schnelle Autos. Für diese Story vergöttern und verteidigen ihn seine Fans - und hassen ihn die Neider. Ja klar, das Argument mit den harten Texten: US-Amerikanische Rapper besingen aber seit mindestens 30 Jahren dieselben Dinge - nur in einer anderen Sprache. RAF Camora hat außerdem - bewusst oder unbewusst - einige Missy Elliott-Zitate im Programm. Sehr schlau. Da hat noch niemand genauer hingeschaut.

RAF Camora polarisiert und wird das weiterhin tun. Dieses Kräfteziehen zwischen den Polen repräsentiert aber vielmehr die Kluft innerhalb der Gesellschaft. RAF Camora stellt als Künstler nur den Spiegel auf. Fakt ist, dass da draußen eine Welt existiert, die sich in den Stücken wiederfindet. Menschen, die auch oft übersehen werden. Das, und die Kräfteverschiebung, die er losgetreten hat, kann man ab jetzt nicht länger ignorieren. Und wenn man es doch tut, wird es ihn nicht jucken: Die Single „500 PS“, die er am Nova Rock gleich zwei Mal spielt, hat soeben Doppelplatin erhalten. Hey, ganz ehrlich? Das war eine der besten Shows.

„Danke Nova Rock, ihr seid Bombe!“

If the kids are united

Einst sind sie geschnitten worden, jetzt längst am Gipfel des Erfolgs angekommen. Auch Die Toten Hosen können wortwörtlich ein Lied davon singen. Sie sind fleißige Nova Rock-Wiederkehrer. Bassist Andi Meurer erzählt im FM4-Interview, dass die Stimmung hier auf den Pannonia Fields ganz eigen und aufgeladen ist. Vor allem aber sind alle Fans da: Das beweist auch heuer einmal mehr die absolute Hosen-Fanshirt-Überzahl.

Die Toten Hosen sind eine Band, die sich mit Biss, Elan und Ehrgeiz hinaufgespielt hat. Vorbei an Index-Platzierungen und der Betitelung als „Skandalband“ noch in ihren Anfangsjahren. Vorbei an Zensuren ihrer Songtexte in China kürzlich bei einer Tour. Vom Belächelt-Werden durch die Medien hin zu einer der erfolgreichsten deutschen Bands aller Zeiten.

Die Line Up-Platzierung von den Toten Hosen direkt nach Raf Camora an diesem Samstagabend ist auf den ersten Blick verwirrend. Dabei muss man nur ein bisschen in der Bandhistorie der Toten Hosen graben und man findet heraus, dass sie gut mit Marteria befreundet sind und für ihre beiden letzten Alben mit ihm zusammengearbeitet haben.

„Generell bin ich erstmal aufgeschlossen allem gegenüber. Musik muss man immer nach dem jeweiligen Stück und dem Künstler beurteilen. Das ist völlig egal, welches Genre das ist. Das kann Reggae sein, das kann Techno sein und das kann eben genauso Hiphop sein“, sagt Andi Meurer. Die Toten Hosen arbeiten genreübergreifend an ihrer Musik, ohne genreübergreifende Musik herauszubringen. Man weiß, was man kriegt. Punkrock. Punkt.

Ihr Set ist dem von The Cure gar nicht so unähnlich, wenn man bedenkt, dass es hier nicht darum geht, wann das letzte Album veröffentlicht worden ist. Eine Band, eine Institution. Vielleicht sogar eine Religion.

Es ist nämlich nicht so, dass nur Menschen, die mit den Toten Hosen von Anfang an musikalisch sozialisiert worden sind, sich hier in den ersten Reihen tummeln. Ganz vorne stehen auch, oder sogar vor allem, sehr junge Fans. Die Relevanz im heute, noch viel schnelllebigeren Musikzirkus beizubehalten, ist keine leichte Aufgabe, auch, wenn es bei den Toten Hosen so aussieht. Sie kommt nicht von nirgendwo.

Die Toten Hosen waren in ihren Anfangstagen eine nicht an Chartplatzierungen, aber an politischer Relevanz gemessenen, wichtigsten Bands ihrer Zeit in Deutschland. Eine Band, die sich in Songs und auch in Zwischenansagen auf der Bühne klar artikuliert hat. Die gegen Rassismus und Ausgrenzung aufgerufen hat. Damit haben sie eine bis heute andauernde Tradition zwar nicht vollständig los-, aber zumindest tiefergetreten. Ganz in der Nachfolge von Künstlern wie Ton Steine Scherben und Rio Reiser.

Und wie mit ihren jungen Fans stehen Die Toten Hosen auch in engem Austausch mit neuen Bands, vor allem aus Deutschland. Sie haben ihnen nicht nur in Bezug auf Musik eine wegweisende Punktradition weitergegeben, sondern auch die attitude. Die Toten Hosen sind letztes Jahr von Kraftklub nach Chemnitz, zu ihrem Solidaritätskonzert gegen Rechts, eingeladen worden. Sie waren gerade mit Feine Sahne Fischfilet auf Tour - die grüßen übrigens im Interview ihre großen Helden und erzählen, sie hätten nie ein familiäreres, respektvolleres Klima on- und off stage als auf Tour mit den Toten Hosen erlebt.

Andi Meurer wiederum sagt über Feine Sahne Fischfilet: „Die haben das Herz am richtigen Fleck, und haben politisch auch eine ganz klare Haltung, was wir sehr, sehr gut finden. Man merkt, finde ich, dass die sich auch nicht Musiker suchen, sondern die kennen sich ganz lange. Das sind Kumpels, die unterwegs sind. Und die haben Spaß an dem was, sie machen. Es geht nicht immer nur ums Ernstsein, und um Politik. Es geht auch ums Feiern, um Rock’n’Roll, ums Gas geben – und das ist eine Mischung, die mir gefällt.“

Feinste Sahne

Feiern, Rock’n’Roll und Gas geben - besser kann man die Show von Feine Sahne Fischfilet am Nachmittag nicht zusammenfassen. Natürlich gibt’s wieder das obligatorische „Pfeffi“-Schnapsvergießen von der Bühne ins Publikum, Eis wird verteilt, es gibt eine riesige, aufblasbare Banane, auf der man statt auf dreckigen Fingern über die Crowd surfen kann. Dazwischen ab und zu Ruhe, kurzes Innehalten, Statements gegen Antifaschismus und den Aufruf zur Solidarität.

Schön ist das besonders deshalb, weil man zusehen kann, wie die Band Feine Sahne Fisch Filet ihre Fanbase mit Sympathie, ernst gemeinter Freude an dem, was sie tun und gutem Wahnsinn immer weiter ausbaut. Vor zwei Jahren haben sie das letzte Mal am Nova Rock gespielt, damals noch sonntags, direkt nach dem, ähem, eigentlichen Star der Pannonia Fields, der Frühschoppen-Legende Wendi’s Böhmische Blasmusik. Und wo man schon gedacht hat, die bereits übernachtigen Besucher und Besucherinnen lockt am letzten Festivaltag zu dieser Uhrzeit - in dieser Hitze! - niemand aus ihren Zelten, schaffen Feine Sahne Fischfilet genau das. Manchmal gewinnen eben doch die Guten.

Die letzte Bastion des Rock

„Thank you for giving me a reason to get out of the fuckin’ bed today! Are you ready to kill it? Open that fucking moshpit!“, schreit Papa Roach-Sänger Jacoby Shaddix ins Mikrophon. Papa Roach sind hier, das ist nicht zu überhören. Kaum ein Song, der nicht durch Liebesbekundungen an seine Fans unterstrichen wird. Teufelshörner und fliegende Bierbecher.

Wenn du ein Rockstar werden willst, dann werde gefälligst einer! Die Leute wollen nicht ihren Nachbarn auf der Bühne sehen, sondern ein Wesen von einem anderen Planeten.

Diese Band hat White Line Fever studiert und weiß, was eine gute Rockband ausmacht. Das Rad wird nicht neu erfunden, aber rotiert gewaltig. Parolen, Passion, Party: „Let me see your hands in the sky! That’s the fuckin’ Nova Rock I like and love!“

Nach über 20 Jahren auf der Bühne sind Papa Roach fit wie am ersten Tag. Sie haben neues Material mitgebracht. Heuer ist ihr zehntes Album „Who Do You Trust?“ erschienen. Die neue Nummer „You’re Not the Only One“ hat aktuell fast eine Million Views auf YouTube. Die Single „Who Do You Trust“ beinahe drei Millionen. Das Rezept der Band hat sich über die Jahre nicht verändert: Storys über das Gefühl, nicht dazuzugehören. Sich down zu fühlen und einen Weg raus aus der Krise zu finden. You and me, we’re in this together now.

„I was screwed up, I was angry at the world.
I felt like I was a loser.
I was broke but I always had time to spare.
You know, hard times always come easy, but they never last long. If you feel alone when you’re down, just know: You’re not the only one.“
(„You’re Not the Only One“, Papa Roach, 2019)

Die Fans über die Jahre hinweg bei Laune zu halten, ist eine hohe Kunst, die nicht alle Rockstars so gut drauf haben wie Papa Roach. Die Platte „Infest“ aus dem Jahr 2000 mit der Nummer „Last Resort“ ist eine der größten Hymnen ihrer Zeit. Die Erben von Bands wie Rage Against the Machine haben weltweit über 25 Millionen Platten verkauft. Papa Roach wissen, was sie ihren Fans verdanken und geben es ihnen zehnfach zurück. Sänger Jacoby Shaddix connected mit seinen Fans, spricht zu ihnen und mit ihnen. Auch abseits der Bühne: Taggt doch die Band in einem Instagramposting! Innerhalb von fünf Minuten bekommt ihr als Antwort ein großes Herz-Emoji.

Hier gibt es eine solide Rock’n’Roll-Show, in der auch alte Wegbereiter wie die Ramones zitiert werden, „Hey! Ho! Let’s go!“. Dann gibt es eine Rede auf den im März verstorbenen Keith Flint von The Prodigy und ein exzellentes Cover von „Firestarter“. Nehmt euch diese Worte von Jacoby Shaddix zu Herzen: „Don’t give up! Pain is neccessary to grow!“.

Um es ganz einfach auf den Punkt zu bringen: Geile Show.

Die Entdeckung des Tages

Nova Twins

Lisa Schneider

Nova Twins sind ein Punk/Grime-Duo aus London. Amy Love und Georgia South kennen sich, seit sie Kinder waren. Und nachdem sie ohnehin - wie es der Zwillings-Hint im Namen verrät - alles gemeinsam unternommen haben, hatten sie vor gut vier Jahren den gleichen Gedanken: Hey, let’s start a band.

Gleich aus dem ersten gemeinsamen Schreibversuch ist ihre sehr gute, erste Single „Bassline Bitch“ entstanden. Druck, Drive, Rauch in der Stimme, irgendwo zwischen Rage Against the Machine, den Beats von N.E.R.D. und der stage performance von Skin. Merken!

Thank you for the music. Und am Sonntag dann das Finale.

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