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Portrait Foto Lulu Schmidt

Lulu Schmidt

Lulu Schmidt pendelt zwischen Elektropop und klassischer Kunst

International klingender Elektropop und experimentelle Momente klassischer Kunst. Lulu Schmidt vereint auf ihrem Debüt „BiPopulartiy“ scheinbare Gegensätze mit Leidenschaft und Verrücktheit.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Ich muss zugeben, die Single „Happy And I Hate It“ hat mich umgehauen, als ich sie zum ersten Mal gehört habe. International klingender Sound und eine Dringlichkeit, die mich an eine Mischung aus Icona Pop und M.I.A. erinnert hat. Und dann wäre da noch diese einnehmende Stimme von Carola Schmidt alias Lulu Schmidt und die coolen Vocals von Klumzy Tung, die sich perfekt ergänzen.

Noch dazu spricht mir die Nummer aus dem Herzen, geht es doch um die Widersprüchlichkeiten der von Social Media geprägten, supertechnologisierten Generation. Bei all der perfekten Selbstvermarktung entsteht nämlich oft ein Erfolgsdruck, der gleichzeitig zur inneren Vereinsamung führt, zu einem Sich-ausgeschlossen-Fühlen.

Denn eigentlich wissen wir, dass die glamouröse Darstellung nach außen nur eine Facette der eigenen Persönlichkeit ist, die oft nicht so stark ausgeprägt ist wie die Selbstzweifel in einer immer komplexer werdenden Welt, der die Lösungsansätze für die Probleme ausgehen.

Aber wer ist diese Künstlerin, die uns mit dieser Single einerseits den Zeitgeistspiegel vorhält und uns andererseits einen derart lässigen, tanzbaren Popsong für die hedonistischen Partynächte hinpfeffert?

Von der Traumwelt am Land in die Großstadtrealität

Carola Schmidt wächst im Waldviertel auf und lernt als Kind Geige zu spielen. Ihr tschechischer Lehrer ist extrem streng, sodass Carola aus Angst fünf Stunden am Tag übt. Aber der Geigenlehrer fasziniert sie auch. Seine Leidenschaft und den Biss, das Durchhaltevermögen macht sich auch die kleine Carola zu eigen.

In dem hölzernen Gartenhaus der Eltern fängt sie an, ihre eigenen Performances zu erarbeiten - mit Kindergartenfreund*innen als Statist*innen, die sie gerne mit Perücken und sonstigem Gewand verkleidet. Dort hört sie auch regelmäßig FM4, ein „Tor in eine große, weite Welt“, wie Carola es heute ausdrückt. Sie beginnt auch selbst Radiosendungen aufzunehmen und legt so den Grundstein für ihren musikalischen Ausdruck.

Portraitfoto Lulu Schmid

Miyu Haydn

Um die damalige Traumwelt real werden zu lassen, studiert Carola an der Wiener Universität für angewandte Kunst und geht später nach Berlin an die Universität der Künste. Im Club- und Musik-dominierten Berlin lernt sie den Produzenten Nhoah kennen, der auch mit MIA eng zusammenarbeitet. Als Carola bei ihm im Studio etwas einsingt, unterstützen Nhoah und MIA-Sängerin Mieze die frisch gebackene Sängern, an ihrer Stimme zu arbeiten und aufzutreten. Trotz großer Schüchternheit arbeitet sie bei Nhoahs Künstlerkollektiv Tangowerk mit. Durch ihre schrillen und eigenwilligen Performances erspielt Carola sich Auftritte und Publikum und erschafft allmählich ihr Alter Ego und die Kunstfigur Lulu Schmidt.

Seit gut zwei Jahren ist Carola nach Österreich zurückgekehrt und ihre musikalische Leidenschaft brennt wie ein großes Feuer. Der Song „Fire“ ihres Debütalbums „BiPopularity“ ist dieser Leidenschaft gewidmet. Gleichzeitig ist es eine Hymne an das Anders-Sein. Denn trotz der schönen Bilder, die Regisseur Rupert Höller eingefangen hat, gibt es immer wieder Irritationen und schräge Szenen, die mit der klassischen Model-Ästhetik von herkömmlichen Musikvideos brechen.

Auch mal loslassen können

Carolas Anspruch ist ein sehr hoher. Als Filmemacherin und Regisseurin muss sie in ihrem „alltäglichen“ Berufsleben sehr kontrolliert und präzise sein. Da ist Lulu Schmidt wohl der perfekte Ausgleich für all die verborgenen Wünsche und Träume. Denn mit ihr als Kunstfigur kann sie über gewisse Grenzen gehen und Dinge ausprobieren, für die ihr als Carola manchmal wohl der Mut gefehlt hat.

Albumcover BiPopulartiy

Lulu Schmidt

Das drückt auch der Albumtitel „BiPopularity“ aus. Die innere Zerrissenheit zwischen der Künstlerin und der Pop-Performerin. Kunst darf schließlich nicht schön sein, wie Carola erklärt. Dann ist sie nämlich dekorativ und ihr wird der Tiefgang abgesprochen. Und trotzdem hat Lulu Schmidt es geschafft, es einfach einmal laufen zu lassen. Wie in dem Song „Ready To Let Go“, den sie mit Klumzy Tung geschrieben hat. Es war ein richtiger flow, ein Ping-Pong-Spiel, Spaß und Freude, die nicht durch die filternde Kunstbrille gebrochen worden ist.

Auch das dunkel beginnende „Space Between“ entwickelt einen gewissen Pop-Appeal, wenn sich die Nummer immer mehr zu einem rasanten und glitzernden Club-Track aufschwingt. Mit fetten Beats, wunderschönen Orgelmelodien und einer versteckten Geige. Schließlich ist in jeder Nummer das Kindheitsinstrument von Carola zu hören. Oft stark entfremdet, sodass man es für einen Synthesizer halten könnte.

Der Song „Play“ ist ebenfalls ein extrem ausdrucksstarker Song, der gerade zu Beginn und während des Refrains sogar an die frühe, noch etwas unschuldig klingende Stimme von Björk erinnert.

Und wenn wir gerade bei assoziativen Referenzen sind: Der Titel „Abgesang“, eine düstere, kunstvoll arrangierte Ballade mit ungewöhnlichen Sounds, schönen Stimmeffekten, einer einsamen Trompete und mehrstimmigen Passagen erinnert von der Stimmung und dem Arrangement an Soap & Skin.

Dass auch das Klavier für Carola ein extrem wichtiges Instrument ist, spiegelt sich in dem Stück „Burg“ wider. Ein für vier Hände geschriebenes Klavier-Instrumental, dass die dreizehnjährige Carola mit einer Freundin in einer Burg in Niederösterreich geschrieben hat. Seitdem hat sie es in ihrem Kopf immer weiterentwickelt, bis es schließlich auf dem Debütalbum verewigt worden ist. Auch die geliebte Geige hat ein separates Liebesbekenntnis am Album herhalten. Das experimentelle „SM (Violin Version)“ ist ein clever arrangiertes, mit Beats und Samples austariertes, mit Bass-Sounds und Glöckchen versehenes, überraschendes Klangmosaik, das bei genauem Hinhören die vielen verschiedenen Welten von Carola und Lulu Schmidt zusammenführt.

„BiPopularity“ ist ein mutiges Album. Eine unkonventionelle Verschmelzung von Kunst und Pop, ein Pendeln zwischen den Polen der Innenschau und der Außendarstellung, zwischen großer Harmonien und kleinen Brüchen, zwischen herzzerreißenden Refrains wie in „One Day At A Time“ und dem frechen Experiment, in „Outro“ alle Refrains über einen Track zu legen. Das Zelebrieren dieser verschiedenen Spannungsfelder macht diese Platte spannend und sehr hörenswert.

Wenn man sich das alles noch auf der Bühne vorstellt, wenn Lulu Schmidt ihre Tracks mit ihrem interaktiven LED-Kleid performt, dann wird klar, dass dies erst der Startschuss für eine Künstlerin ist, auf deren herrliche Verrücktheiten wir auch in Zukunft gespannt sein dürfen.

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