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FestivalbesucherInnen am Nova Rock 2019

Franz Reiterer

festivalradio

Rock ’n’ Roll Wastelands: So war das Nova Rock 2019

Gemeinschaftsgefühl, Nostalgie und Nova Rock gehören zusammen - das hat sich auch heuer nicht geändert. Aber gleichzeitig weht frischer Wind (und viel Staub) über die Pannonia Fields im Burgenland. Gedanken zur 15. Ausgabe des größten österreichischen Rockfestivals, das mit einem Konzert von den Ärzten zu Ende gegangen ist.

Lisa Schneider

Ein Festival ist eine Bubble. Und eigentlich ihr Vorreiter: Schon lange bevor dieses kaugummiähnliche Wort in den täglichen sozialpolitischen Sprachgebrauch gewandert ist, war es die Idee jedes Festival, ein Rückzugsort zu sein, ein safe space. Ein Mikrokosmos. So ist auch das Nova Rock Festival auf den burgenländischen Pannonia Fields zu verstehen. Es hat heuer seine 15. Ausgabe gefeiert. Mit 220.000 Besucher*innen. Drei Bühnen. 87 Acts. Unzähligen verlorenen Sonnenbrillen, neuen, großen Lieben, dreckigen Socken. Und mit einem Rehkitz.

Das Line-Up der heurigen Nova Rock-Ausgabe war mit Ausnahme von The Cure keine große Überraschung. Wer aufs Nova Rock fährt, erwartet aber auch keine.

Vor einem Jahr, genauer gesagt am letzten Tag des Nova Rock 2018, haben Die Ärzte ihren Auftritt für 2019 bestätigt. Man kennt das Headliner-Teasern sonst eher von großen europäischen Festivals wie dem Primavera Sound in Barcelona. In Österreich gibt’s das nicht allzu oft. So eine Nachricht löst natürlich nicht nur Freudentränen der Fans, sondern schraubt auch die Ticketkäufe schon 365 Tage vor der nächsten Festivalausgabe nach oben; vor allem aber ist sie ein schönes Statement: Dedication. Das Nova Rock ist ein Ort der Wiederkehr.

Ein Festival ist ein Festival

Immer dasselbe, sagen die einen. Na und, schreien die anderen. Liebe oder Hass, dazwischen gibt’s wenig. Außer man hört auf zu motzen und fährt einmal hierher, ins burgenländische Nickelsdorf, und sieht sich an, was das Nova Rock tatsächlich zu bieten hat: Festival-Reinkultur. Wäre die Beschreibung bei all dem Schweiß, Dreck und Staub nicht so unpassend, es müsste das Bilderbuch-Festival heißen. Und das nicht wegen der Band: die weißen Schuhe sind am letzten Tag braun. Duschen muss man zweimal, bis der Staub die Poren verlassen hat. Die Augen tränen. Sonnenbrand. Ohrenweh. Euphorie und Glückseligkeit. Am Nova Rock werden nicht pseudohalber Bäume mitten auf die wüstenähnlichen Wastelands der Pannonia Fields gepflanzt, um alles ein bisschen grüner zu machen. Das Nova Rock ist auch nicht dem allumfassenden Wahnsinn überteuerter, elaborierter und nicht selten bornierter Boutique-Festivals nachgekommen, wo man im Vollholz-Massagestuhl seinen Smoothie sippt, Acai Bowls löffelt oder schnell nochmal eine Yoga-Stunde zwischendurch einlegt.

Sidenote: Yoga und Festivals sind ein match made in hell. Sagt eine Yogi.

Nova Rock 2019 Impression

Patrick Wally

Es gibt am Nova Rock Festival natürlich vegane Food-Trucks, Bio-Ware und überhaupt auch gesundes Essen. Das ist aber nicht dem Hipster-Hype, sondern der Politik geschuldet: die meisten links denkenden Punks, die da auf der Bühne stehen, essen mittlerweile eben kein Fleisch mehr.

Legenden in all ihren Facetten

Schweiß und Schmutz also, Hitze und Schlafentzug. Und die gute Musik. The Cure sind fabelhaft gealtert und spielen den längsten Festivalslot hier am Nova Rock seit langem. Zweienhalb Stunden britische Schmeichel-Nostalgie, die schon mal eine Träne kosten darf. Stimmlich sitzt bei Robert Smith auch mit 60 Jahren noch alles. Musikalisch das wohl größte Highlight heuer, das auch ohne dezidierte Bühnenshow auskommt. In zweiter Reihe dann gleich The Smashing Pumpkins: das sind Bands, deren Show man sich wegen sehr guter Songs und Legendenstatus ansieht. Am Nova Rock - auf jedem österreichischen Festival? - eher eine Ausnahme.

Das Festivalpublikum ist keines, das für eine Headline-Show in der Wiener Stadthalle 80 Euro fürs Ticket hinblättert, monatelang auf den Gig eines Acts hinfiebert und jede Minute des Sets zelebriert. Das Festivalpublikum gleicht weniger dem eines Konzert- als vielmehr dem eines DJ-Set-Publikums. Warten auf den nächsten Moment, den nächsten Twist, den einen Song, den man unbedingt hören will. Wird’s zu fad und ist die Show zu wenig unterhaltsam, zieht man eben weiter. Der Wavebreaker beim The Cure-Gig war ganz am Schluss - der beste Schluss! Friday I’m in love! Boys don’t cry! - nur noch sehr locker gefüllt.

Legendenstatus hat natürlich auch Corey Taylor, der Frontmann von Slipknot. Die kreischende, maskierte Gruselfratze: ihre Gesichter mit Masken zu verhüllen, liefert nicht nur Schauerfaktor, sie löst stete Neugier aus. Geheimnisse sind wunderbar.

Der Wavebreaker platzt also. Die Mystifizierung funktioniert nämlich auch bei Nicht-Slipknot-Fans. Genauso passiert auch beim Auftritt der schwedischen Melodic-Death-Metal-Helden Amon Amarth. Gitarrist und Songwriter Olavi Mikkonen erzählt kurz vor ihrem Auftritt im FM4-Interview von der Show, die ihre Musik verlangt. Wie Wikinger sehen sie aus. Ein riesengroßer Wikingerhelm wird auch auf der Bühne platziert. Und: Es kämpfen während des Sets auch zwei Männer im Wikingerkostüm einen Fake-Kampf.

Dick aufgetragen. Aber Heavy Metal ist eben eine optisch kitschige Angelegenheit. Und schließlich ist es egal, welche, wichtig ist nur, dass eine Band eine Geschichte hat. Oder eine erzählt. Deshalb sind am Nova Rock die Reihen erst dann gesteckt voll, wenn Musik und Entertainment in gleichem Maß über die Bühne donnern.

She still fucking hates me

Das Image einer Band muss sich aber nicht ausschließlich über zottelige Mähnen oder exorbitante Bühnendekoration definieren. Manchmal braucht es auch nur einen Song. „She Hates Me“ ist eine kleine Geheimhymne am heurigen Nova Rock Festival. Der Song, der die Anfang der 2000er Jahre sehr erfolgreiche amerikanische Band Puddle Of Mudd auf die Playlist jeder College-Party katapultiert hat. Und dann ins Off. An der Stelle muss man sich fragen, wieviel man bereit ist, für diesen einen großen Hit zu zahlen. Es sollte ein guter sein, man muss ihn für immer spielen.

Es ist dasselbe Dilemma wie letztes Jahr, hier auf der Red Bull Bühne. Wo heuer Puddle Of Mudd ihren lieb-harten Poppunk über die Flächen gedroschen haben, hat letztes Jahr Shifty Shellshock mit neuem Set Up seiner Band Crazy Town versucht, sich endlich von seinem Hit „Butterfly“ zu entfernen. Failed. One-Hit-Wonder ist so eine hässliche Bezeichnung. Und hässlich ist es vor allem auch, weil eine Band damit aufs absolute Minimum reduziert und die Weiterentwicklung unmöglich wird.

Da ist der frische Wind

Die Red Bull-Bühne ist überhaupt ein ganz eigener, seltsamer, und manchmal seltsam guter Planet im Universum Nova Rock. Neben erwähnten einsamen Hitlegenden treten dort nämlich sehr gute, neue Bands auf. Das ist eher eine Seltenheit am Nova Rock. Heuer gibt’s da Acts wie den Emo-Rapper nothing,nowhere aus Amerika und das Grime/Punkduo Nova Twins aus London zu sehen. Gut gewählt.

Und zwar nicht mehr so jung, aber jung im Hype sind die wie schon an anderer Stelle erwähnte, vielleicht beste Band dieses Festivals: Idles. Eine Band, die aktuell auf allen angesagten europäischen Festivals spielt, die mit gutem Krach die euphorisierte Masse, und mit guten Texten auch die Kritiker*innen ins Boot holt. Ein bisschen mehr Mut im Booking hätte dem Festival auch heuer nicht geschadet. Aber immerhin, Idles zu buchen war ein guter und vor allem musikalisch wichtiger Schritt. Nächstes Jahr dann bitte Ty Segall.

Letztes Jahr habe ich das Nova Rock als Nostalgiefestival bezeichnet. Das ist es noch. Bands wie Die Ärzte oder Die Toten Hosen werden wie eine Institution gefeiert, eine Institution, die eben auch das Nova Rock seit 15 Jahren ist. Auftritte von den Toten Hosen oder den Ärzten sind genau das in Musik gegossene Sicherheitsgefühl, das vielen Menschen im Alltag fehlt. You know what you get here. Es ist der Verlass auf etwas, das einen schon sehr lange begleitet, und das einen glücklich macht. In diesem Sinn ist nichts falsch daran, dass sich manche Dinge nicht ändern.

Und so waren und sind Die Ärzte natürlich die beste Band der Welt. Die deshalb so lustig und unterhaltsam ist, weil sie selbst auf der Bühne so viel Spaß hat. Bela B, der große Rhetoriker, trägt einen glitzernden Anzug und dazu ein T-Shirt mit Ibiza-Aufdruck. Er war ja auch laut Ärzten die Oligarchenfrau im Video. Weil auch, wenn man hier eben die Hits von „Westerland“ bis „Zu spät“ geliefert bekommt, passen Die Ärzte ihren Auftritt an die politische Situation in Österreich an. Die Nostradamusse der deutschen Punkmusik: sechs Jahre lang waren sie nicht in Österreich. Jetzt stehen sie vor einer „politisch korrekten Menge“, die sie „vielleicht ganz gerne hat“. Das ist eine Untertreibung.

Die gute Arbeit passiert behind the scenes

Dass weder die Ärzte noch die Toten Hosen im Stillstand begriffen sind - auch, wenn ihre Livesets dem ein bisschen entgegensprechen -, ist nicht zu bestreiten. Natürlich haben sie auch hier am Nova Rock Fans, die mit ihnen gealtert sind. Sie haben aber auch junges Publikum. Sie haben sich ihre Relevanz erhalten, und das ist eine nicht zu unterschätzende Errungenschaft in der schnelllebigen Musikindustrie. Vor allem auch in der Mainstream-Musikindustrie.

Die Toten Hosen kümmern sich aber nicht nur darum, weiterhin auch das junge Publikum anzusprechen, sie kümmern sich auch um engen Kontakt zu jungen Bands. Und das nicht auf eine Art, die man von einer Band ihres Status erwarten würde: in Predigermanier die Jünger heranziehen. „Die hätten ja auch sagen können, mit den alten Säcken wollen wir nichts machen“, erzählt der Tote Hosen-Bassist Andi Meurer im Interview über die kürzliche Tour mit Feine Sahne Fischfilet. Demut und Größe. Die Toten Hosen haben seit den frühen 90er-Jahren nicht nur ein musikalisches Erbe hinterlassen, das für viele ihrer Nachfolger wegweisend war. Sie haben ihre attitude weitergegeben. Laut, und laut gegen Rechts.

An diesem Beispiel zeigt sich, wie Jung von Alt und umgekehrt profitieren kann. Ein fruchtbarer Austausch, der vor allem Offenheit voraussetzt. Also ja, das Nova Rock ist noch immer ein Nostalgiefestival. Viel mehr noch ist es heuer aber ein generationenübergreifendes Festival, auf und vor der Bühne. Weil die gemeinsame Bubble die beste ist.

Oder, um es mit RAF Camora zu sagen: Alle Winner in unserem Team. Er muss es wissen: Mit seinem Gig hat er gefühlt die gesamte Festivalfamilie vor der Hauptbühne vereint.

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