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Caleb Landry Jones

Radio FM4 | Clemens Fantur

Ein kleines bisschen Wahnwitz: Caleb Landry Jones im FM4 Studio

Durch Rollen in Filmen wie „Get Out“ oder „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ wurde er zu einem der faszinierendsten Charakterdarsteller Hollywoods. Derzeit brilliert Caleb Landry Jones im manischen Künstlerportrait „To the Night“ - und inszeniert einen Freak-out mit Gitarre im FM4 Studio.

Von Christian Fuchs

Es gibt Interviews, die absolviert man auf Autopilot, weil die Antworten ganz berechenbar ausfallen. Sogar wenn man als Filmjournalist sogenannte Pressjunkets absolviert und dabei wenige abgezählte Minuten lang einem Star gegenübersitzt, legt sich die Aufregung bald. Weil man schnell bemerkt, dass im Fließbandbetrieb der Marathon-Dialoge ohnehin keine Abweichung vom gängigen Fragekatalog möglich ist.

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Und dann passieren, alle heiligen Zeiten, Interviews, die dich euphorisiert und zittrig zugleich zurücklassen. Als ich Caleb Landry Jones letzte Woche vor dem Wiener Funkhaus eintreffe sehe, an einem glühend heißen Tag, ahne ich schon so einen speziellen Moment. Der US-Schauspieler, der den Regisseur Peter Brunner und einen Pressebetreuer im Schlepptau hat, winkt schelmisch. Begrüßt freudig. Und schwenkt dabei einen Gitarrenkoffer. „It will be a singing interview“, lacht Caleb.

Caleb Landry Jones

Radio FM4 | Clemens Fantur

Das FM4 Interview und die Session mit Caleb Landry Jones ist am Donnerstag, 20.6., von 21 bis 22 Uhr auf Radio FM4 zu hören und anschließend für 7 Tage im FM4 Player.

Außerdem gibt es die ungekürzte Version als FM4 Podcast zum Download.

Auch seine Begleiter sind bestens aufgelegt, am Vorabend wurde die Premiere des Films „To the Night“ gefeiert. Von der beklemmenden Düsternis dieses Künstlerdramas, in dem der 30-jährige Texaner die Hauptrolle spielt, könnte sein gut gelaunter Besuch bei FM4 nicht weiter entfernt sein. Caleb Landry Jones, trotz sommerlicher Temperaturen im kompletten Rock’n’Roll-Outfit, nimmt in einem improvisierten Aufnahmeraum Platz (Dank an Technikgott Rudi Ortner, der alles spontan möglich machte) und beginnt sein Instrument zu stimmen. Am Boden hockt Peter Brunner, der ebenfalls eine Gitarre auspackt. Von einem gewöhnlichen Interview ist die Session, die in den nächsten 60 Minuten passiert, dann tatsächlich weit entfernt. Welcome to the Caleb Landry Jones Experience.

Vom Indie-Folk-Musiker zu den Coen Brothers

Wer sich jetzt fragt, woher er denn Caleb Landry Jones kennen soll: Er verkörpert beispielsweise den rassistischen Sohn einer weißen Mittelklasse-Familie, der in „Get Out“ den schwarzen Freund seiner Schwester provoziert. In „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ wird Caleb als Jungjournalist vom faschistoiden Sheriff (Sam Rockwell) aus dem Fenster geworfen. In „Barry Seals - American Made“ zerstört er als verstrahlter Redneck-Bub die Lebensplanung von Tom Cruise’ Hauptfigur. Und in Jim Jarmuschs aktueller Zombiekomödie „The Dead Don’t Die“ brilliert er als schüchterner Verkäufer in einem Provinz-Drugstore.

Rabiate Hinterwäldler und schrullige Landeier gehören fast zum Standardrepertoire des Shootingstars. Mit seinen funkelnden Augen, dem roten Haarschopf und dem kindlichen Grinsen erweckt Caleb Landry Jones Figuren, die nah an der Karikatur angesiedelt sind, glaubwürdig zum Leben. Und lässt stets ein kleines bisschen Wahnwitz aufblitzen.

Der Darsteller etlicher skurriler Redneck-Typen ist tatsächlich in den 90er Jahren in einem ländlichen Vorort von Dallas, Texas aufgewachsen. Zusammen mit einem Kindheitsfreund stürzt sich der junge Caleb auf das Musikmachen. Experimenteller Indie-Folk ist sein Sound, mit der Band Robert Jones wagt er sich später auch an wüsten Noiserock. Aber ein Miniauftritt in einem Kinofilm lässt den jungen Künstler das Schauspiel forcieren. Dass dieser Film „No Country For Old Men“ heißt und von den Coen Brothers stammt, passt zur folgenden Karriere.

Caleb Landry Jones

Radio FM4 | Clemens Fantur

Denn die Filmografie von Caleb Landry Jones liest sich fast schon wie ein Guide durch das Gegenwartskino. Auf der einen Seite engagieren ihn Mainstream-Regisseure wie Roland Emmerich („Stonewall“) oder Matthew Vaughn („X-Men: First Class“), auf der anderen Seite Arthouse-Ikonen wie David Lynch, in dessen grandiosen Serienereignis „Twin Peaks: The Return“ er einen besonders charismatischen Provinz-Psycho gibt. Klar, dass all diese Figuren den Akteur auch in eine gewisse Ecke drängen.

Wenn man auch an die obdachlosen Heroinsüchtigen, manischen Wissenschaftler und melancholischen Vampire denkt, die Caleb spielte, lässt sich eine Faszination für verhaltensauffällige Charaktere nicht leugnen. Dabei verkörpert er die Freaks und Geeks wirklich, mit fiebriger Intensität. Kein Wunder, dass da schnell uralte und abgedroschene Klischees herumschwirren, vom Schauspieler als leidendem Künstler.

In seinem neuen Film „To the Night“, dem ersten englischsprachigen Werk von Peter Brunner, ist Caleb Landry Jones aber genau das: Ein tortured artist. Der junge New Yorker Norman hat eigentlich alles, was er sich wünschen kann. Eine großartige Lebensgefährtin, ein gesundes Baby, nicht zuletzt eine erfolgreiche Ausstellungseröffnung. Aber in dem Installationskünstler wütet ein Trauma. In brüchigen Rückblenden erfahren wir von einem furchtbaren Feuer, dem seine Eltern zum Opfer gefallen sind, während der kleine Norman nur knapp überlebt hat.

Into the Caleb-Groove

Gibt es für den manisch-depressiven Künstler überhaupt eine Chance zur Heilung? Entschuldigt der ungeheure Verlust in der Kindkeit Normans gänzlich asoziales Verhalten als Erwachsener? Solche und andere Fragen stellt „To the Night“ - und verzichtet bewusst auf jede naheliegende Antwort. Peter Brunner liebt obsessive, durchgeknallte, irrationale Figuren, die nicht gesellschaftsfähig sind.

Man kann nach dem Film durchaus streiten, ob man bisweilen eine Verherrlichung toxischer Männlichkeit gesehen hat - oder Regisseur Brunner als raren Vertreter eines rauschhaften, experimentellen, bildgewaltigen Körperkinos feiern. Gar nicht diskutieren braucht man über den irrlichternden Caleb Landry Jones im Mittelpunkt, der diese radikale Psychostudie an sich reißt - und unbedingt sehenswert macht.

Caleb Landry Jones

Radio FM4 | Clemens Fantur

Als ich ihn im FM4 Studio frage, was den auszuckenden Norman denn antreibt, flüstert er nur kurz „Too much love“. Dann schlägt er in die Saiten und stimmt einen Song an, der allen Anwesenden eine Gänsehaut beschert. Er liest bizarre Texte aus Youtube vor, bekommt dabei einen Lachanfall. Sinniert dann ganz ernsthaft und versunken über die Gefahren des Typecasting und das Schauspielen und Singen als Handwerk. Murmelt bei der Frage nach „Twin Peaks“ mit einer Dämonenstimme Lautmalereien ins Mikrophon.

Ich habe meinen Fragezettel längst weggelegt und lasse mich treiben, vom Caleb-Groove. Demnächst wird er in einem Sci-Fi-Epos an der Seite von Tom Hanks agieren, ein weiterer Film mit Peter Brunner wäre aber auch ein Traum, sagt er. Dass es an der Grenze von Hollywood und Indiekino, von Kommerz und Kunst, einen Paradiesvogel wie Caleb Landry Jones gibt, lässt mich an diesem Tag lächelnd das Studio verlassen.

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