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Yung Hurn am Donausinselfest 2019

Patrick Wally

Yung Hurn ist der König der Zwischenräume

Diversität ist alles: Der zweite Abend am Wiener Donauinselfest.

Von Lisa Schneider

„Yung Hurn, wieso machst du das? Wieso sagst du das? Wieso bist du so gemein?“, rufen die Fans hinauf auf die Bühne. „Weil ich’s will“, zischt der Headliner zurück, an diesem zweiten Abend am Donauinselfest auf der FM4/Planet.tt-Bühne.

Ein 12-Jähriger, der auf Schultern sitzt und alle Texte eins zu eins mitsingen kann. Menschen, die T-Shirts mit dem Aufdruck „Thank you for flying with Hurn Airlines“ tragen: Die Superfans. Alle schreien mit. Die Masse zelebriert. Personenkult hätte man früher dazu gesagt. Das „I Love Ibiza“-Shirt, das Yung Hurn trägt, überrascht. Politische Statements ist man von ihm so nicht gewöhnt. Unkommentiert zieht er es dann auch bald aus. Oben ohne geht’s weiter.

Die Menschenmenge wird größer und größer, schnell bilden sich Moshpits. Es ist alles ein bisschen zu viel. So viel, dass es einen Einlassstop zur FM4/Planet.tt-Bühne gibt.Die Spannung, die Yung Hurn auch noch dadurch steigert, dass er erst gut eine Viertelstunde nach Setbeginn die Bühne betritt, ist unbeschreiblich. Alle wollen nach vorne. Das endet nicht für alle gut. Für die, die ganz vorne stehen wollten, und dann abgedrängt worden sind von denen, die eben von hinten drängen. Kontrollverlust. Es ist so ein Moment, an dem einem aufgrund des Druck und der scheinbar nicht zu bändigenden Euphorie von Seiten der Menge mulmig wird. „Die Drogenenergie, obwohl wir keine Drogen genommen haben“, sagt ein Besucher. Die Show geht weiter.

Yung Hurn ist beliebt, geliebt und cool, er ist aber auch humble. Er dankt seinen Eltern. Die, die zuerst gedacht haben, dass er außer „malen, fladern und Scheiße bauen“ nichts drauf hat. Die sich jetzt umso mehr für ihn freuen, dass er noch immer das macht, was er will – und sich sein Leben damit ziemlich gut aushalten lässt.

Der Hype um seine Person und seine Musik ist gar kein Hype mehr, er währt dafür schon zu lange. Allein sein Debütalbum – ein Begriff, der nicht zur Ästhetik Yung Hurns passt, sagen wir also Mixtape – ist schon viele Monate alt. Es heißt „1220“. Die Wurzeln nicht vergessen, HipHop-Tradition.

Gestern also, zurück daheim. Auf der Wiener Donauinsel, nachdem er auf anderen österreichischen Großfestivals schon ziemlich abgestaubt hat. Liebesgeschichte FM4 Frequency Festival: 2017 noch der Auftritt auf der Weekender Stage - drinnen, dunkel, intim. Und die noch größere Liebesgeschichte 2018 dann auf der Green Stage, open air - das sehr junge Publikum dicht gedrängt. So passiert auch am gestrigen Abend auf der Wiener Donauinsel. Die dicken Beats, das große Image. Lyrische, vielleicht nicht Extra-, aber sicher Ausnahmeklasse. Der Jargon seiner Zeit. Skrrt.

Zeitgeist auf der Donauinsel

Dass Yung Hurn hier den Headliner des zweiten Abends auf der FM4/planet.tt-Bühne gibt, ist logischer Schluss der musikalischen Entwicklung nicht nur innerhalb Österreichs. Man schiele nur kurz hinüber zum Auftritt von Raf Camora am Nova Rock in der Vorwoche, bei dem mit Abstand die meisten Festivalbesucher*innen aus ihren Zelten gekraxelt und zur Bühne gelaufen sind.

Ist HipHop der neue Punk? Eher der neue Pop. Yung Hurn schmiegt sich mit Style und Attitüde irgendwo dazwischen hinein. Die einen finden’s blöd und deshalb gut. Die anderen finden es wirklich gut, weil sie erkannt haben, wie clever das alles ist. Nicht einfach so tritt man zu genau dem Zeitpunkt auf die Bildfläche, als niemand weiß, wen man aktuell „feiern soll“. Indie ist tot, Mainstream nehmen wir alle gerne, sofern jemand unsere CDs kauft. Es gibt nichts Verpöntes mehr. Genauso wenig wie Genregrenzen. Yung Hurn ist der König der Zwischenräume.

Abrissbirnenpop mit Chefboss

Nach Yung Hurn die Sintflut, vor Yung Hurn Chefboss. Das deutsche Dancehall-Duo zerlegt seit mittlerweile fünf Jahren die landeseigenen Festivalbühnen. Stimmung, Konfettikanonen, das ganz große Tamtam. Strassbesetzte Fetisch-Masken direkt aus dem Untergrund, sehr gute Tänzerinnen Entertainment, Kreischen, Glitzer. Alice Martin und Maike Mohr sind wie immer mit DJ und Tänzercrew angereist, schließlich soll in jeder Sekunde alles auf der Bühne passieren können, egal, wo man hinsieht. Die Menge geht ab. Musikliebhaber*innen schnaufen kurz.

Donauinselfest 2019: Chefboss

Schrille Kostüme, Konfettigewitter und so viele Tänzerinnen und Tänzer wie möglich: wenn Chefboss auf der Bühne steht, bebt der Boden. Sängerin Alice Martin und Fronttänzerin Maike Mohr sind live ein absoluter Hit., Songs wie „Hausverbot“, „Blitzlichtgewitter“, „Feuerwerk“, „Zombie Apokalypse“ oder „Hol dein Freak raus“ sind Songtitel mit Ansage.

Sauna bei Leyya

Leyya sind außerdem gestern seit langem wiedermal auf einer Wiener Bühne gestanden. Monatelang war es eher ruhig um Sophie Lindinger und Marco Kleebauer. Ruhig aber nur insofern, als dass sie keine neuen Fotos oder Songsnippets auf Instagram hochgeladen haben. Weil untätig ist hier wahrlich niemand. Sophie Lindinger hat erst im Frühjahr die von ihr mitgegründete Band My Ugly Clementine ins ausverkaufte Wiener Rhiz geführt – beim ersten Auftritt, wohlgemerkt. Am Debütalbum wird gefeilt. Marco Kleebauer produziert und bastelt fleißig hinter den Kulissen, und das nicht nur im Rahmen der letzten beiden Bilderbuch-Alben.

Auf der Bühne gestern werden Leyya zum Quintett: mit dabei sind Tobias Wöhrer (Bass, Synthesizer), Alex Kerbl (Percussions) und David Wöhrer (Schlagzeug). Das ist gut für die erweiterte Brass-Section ihres zweiten Albums, gut aber auch für die TripHop-Wurzeln der ersten Songs. Und zwar so gut, dass es zum Headliner des heutigen Abends gereicht hätte. Nicht nur der Jahrhundert-Hook von „Superego“ beweist das. Vor allem die Weiterentwicklung der Band von der damaligen Einordnung „Electropop“ hin zu mäandernden Freejazz-Soli Marco Kleebauers an der Gitarre. Der Song heißt „Candy“.

Leyya ist eine Band, die mittlerweile ein Hit-Set parat hat. Durch das führt sie das Publikum auch gestern Abend: Vom schwer dröhnenden „Butter“, zur Funkperle „Heat“, zur kecken Popsatire „Wannabe“. Es gibt keine neuen Songs zu hören - aber Sophie und Marco sind gerade mitten in den Vorbereitungen für Album Nummer drei.

Donauinselfest 2019: Leyya

In Österreich zählen sie längst zur Spitze der Indie-Szene, Ende 2018 gewann das Electro-Pop-Duo Leyya sogar bei den UK Music Video Awards einen Preis. Am Samstag spielen die Oberösterreicher auf der FM4-Bühne am Donauinselfest groß auf.

Wie es bei den beiden Usus ist, ist schwer aus ihnen herauszubekommen, in welche Richtung es musikalisch diesmal gehen wird. Im Interview habe ich es subtil versucht: Wäre das Debütalbum „Spanish Disco“ eine Eissorte, es wäre Schokolade. Schwer, intensiv, ein all time classic. Das zweite Album „Sauna“ entspräche dem Geschmack Mango. Exotisch, bunt, tanzfreudig. Und das geplante, dritte Album? „Am besten stellt man sich eine Eisbox vor wie die, die man im Supermarkt kriegt. Wo viele verschiedene Sorten drinnen sind, sich irgendwann alle vermischen und man nicht mehr ganz weiß, was man da bekommt", so Marco Kleebauer.

Leyya – die wohl begabtesten Diplomaten im österreichischen Musikzirkus. Es bleibt spannend.

Karmic: It never rains in Southern California

Weil jedes Festival, das ein bisschen Hippie-Flair versprüht, ein besseres Festival ist, wurde die österreichisch-amerikanische Band Karmic gebucht. Eine Band, die tatsächlich - wenn sie nicht wie aktuell gerade schon seit vier Monaten auf Tour ist- gemeinsam in einem großen Haus in L.A. wohnt. Natürlich wird hier auf der Bühne barfuß getanzt.

Vor vierzehn Jahren ist der ursprüngliche Kärntner Peter Kastner gleich für zwei große Lieben nach Amerika gezogen: einerseits hat er begonnen, dort Musik zu studieren, andererseits hatte er kurz zuvor seine jetzige Frau Laura Baruch kennengelernt. Die Geschichte ist wirklich so schön, wie sie klingt. Gemeinsam gründen Peter und Laura eine Band, sie heißt Karmic.

The Karmic family grew over the years“: Mittlerweile stehen sieben Menschen auf der Bühne. Das tut dem Liveset vor allem deshalb gut, weil die Percussions, die sonst vom Band kommen müssten, alles auflockern, und geschmeidiger machen. Soulig angehauchter Entspannungspop Marke 80er Jahre.

Etwas mehr Geschmeidigkeit würde aber noch gehen, ich zitiere meinen Kollegen Boris Jordan: „Ein bisschen mehr Fleetwood Mac hören hätte ihnen nicht geschadet.“ Der Groove statt des harten, knackigen Übergangs: Die Musik von Karmic könnte live gern noch ein bisschen weicher und wärmer sein. So, wie es eben dem Image der Band entspricht.

At Pavillon: Die Löwen über der Insel

Gut ausgesucht passt das zu At Pavillon, die ebenfalls unter dem Motto „Love Is All Around“ die Bühne stürmen. Oder auch unter dem Motto ihrer Hymne: „We are Lions“. Gitarrenmusik gegen den Weltuntergang, gegen Rassismus und Intoleranz. Und gegen den Regen. Hat geholfen: noch kein Tropfen während des Sets.

Die Vorbereitungen auf ihren Gig sind akribisch gelaufen. „Auf einer großen Bühne kann man sich ja mehr bewegen als im Club“, erzählt Sänger Mwita Mataro, der von Falcon bis Windmill alle Moves einstudiert hat. Schlagzeuger Paul Ameli hat sich im letzten halben Jahr kein einziges Mal zum Frisör gewagt, um während des Sets ordentlich Headbangen zu können. Arme, Beine, Haare - alles ist in Bewegung beim Set von At Pavillon.

„Das schönste wäre, wenn die Leute inspiriert nach Hause gehen. Wir vertreiben die schlechte Laune.“ Und, erneuter, guter Hippie-Talk: „Wir wollen, dass die Leute sich als Teil von etwas Größerem sehen“. Familiengründungswünsche werden gestern nicht nur von der Band, sondern auch vom Publikum ausgesprochen. Der Traum eines jeden Rockstars: Auf einem Plakat steht in Großbuchstaben „Ich will ein Kind von dir“.

Auf dass die Donauinselfestfamilie am dritten Tag noch einmal über sich hinauswächst. Die Diversität des zweiten Abends ist jedenfalls schwer zu überbieten.

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