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Blumenaus Fußball-Journal

Alle gegen die USA - die Frauen-WM geht jetzt erst los

Warum das WM-Turnier der Frauen noch einmal beginnt, warum die Favoritinnen und die Ausrichterinnen benachteiligt sind und vieles für Deutschland spricht. Eine Vorrunden-Bilanz mit Ausblick auf die heute beginnende K.O.-Phase.

Von Martin Blumenau

Mit den heutigen ersten Achtelfinals beginnt die Fußball-WM der Frauen erst so richtig. Denn die Vorrunde, so gut sie oft anzusehen war, hatte letztlich nur den Charakter eines Geplänkels, das zum Aufwärmen oder Bestätigen dient. Wie immer bei einem 24er-Feld sind die Besten nun unter sich und die Außenseiter abgeschüttelt.

Eine erste Zwischenbilanz, ehe es in die wirklich seriöse K.O.-Phase geht, erzählt Geschichten von Auffälligkeiten, erreichten oder verfehlten Erwartungen, Overachievement und Underperformances. Es ist die Story eines Top-Favoriten, eines halben Dutzend an Hoffnungsträgern und etwa ebenso vielen Teams, die sich schon in eine Krise manövriert haben.

Das war der erste Blick auf die Frauen-WM, das der zweite, und zwar auf Deutschland vs Spanien. Natürlich empfehle ich weiterhin das große und aussagestarke WM-Extra von ballverliebt.eu, wo es auch eine spannende Analyse der Vorrunde zu lesen gibt.

Gestern in Blumenaus Fußball-Journal, das jetzt wieder regelmäßig erscheint: Nachträgliche Relativierung, die Nachlese zur Niederlage der U21 gegen Dänemark. Dazu auch die Analyse des Siegs der U21 über Serbien. Davor Texte über den letzten Test vor Beginn der ersten U21-Euro an der der ÖFB teilnehmen darf.

Zuletzt im Journal: die Analyse der Hahnenkämpfe um die globalen Fußball-Rechte anlässlich des Afrika-Cups, eine Analyse der zunehmend geschlossenen Gesellschaften im Fußball Closed Shop – am Beispiel der beginnenden UEFA-Bewerbe und des Trainingsbeginns der Liga-Meisterschaft. Dazu auch eine Analyse der Position der Chef-Coachs und die Bilanz der letzten Saison.

Außerdem: Nachbetrachtung zum Mazedonien-Ausflug des ÖFB-Teams sowie Preview und Nachlese zum Slowenien-Länderspiel. Und hier noch eine Preview auf die Copa America.

Das sind die Vorgängertexte, egal ob als #dailyblumenau auf der neuen oder der alten Website, oder im langjährigen Journal. Ein regelmäßiges Journal zu diesen Themenfeldern abseits des Fußballs, folgt im Herbst.

Außerdem lohnt sich ein Blick aufs Turnier-Tableau, das schon im Vorfeld kritisch beäugt wurde, weil es krasse Vorteile für zwei Gruppensieger bringt und andere (höher einzuschätzende Teams) schon im Viertelfinale aufeinanderprallen lässt.

Dazu gleich.
Zuerst ein kurzer Blick auf die Teams, die sich verabschieden. Das sind zunächst, ganz wie erwartet, Thailand und Südkorea, Jamaica und Südafrika, für die das Level einfach zu hoch war.

Besser als erwartet hat sich Außenseiter Neuseeland gehalten und da gibt’s ja einen nicht zu unterschätzenden Österreich-Aspekt. Die Frauen-Mannschaft erholt sich ja erst vom Debakel, das der Wiener Andreas Heraf hinterlassen hat. Heraf wurde vom neuseeländischen Verband eigentlich als Sportdirektor geholt und übernahm die Frauen, als dort eine schnelle Lösung geboten war. Allerdings schaffte er es in kurzer Zeit, das Team mit seiner Destruktivität zu devastieren, und musste nach einem halben Jahr wegen misogyner Mobbing-Vorwürfe den Hut nehmen. Seitdem klaubt der neue, Toni Sermanni, immer noch die Scherben auf, die Heraf (der hier in einer Opfer/Täter-Umkehr über „Rassismus“ klagt) in Gestalt einer völlig verunsicherten Frauschaft hinterlassen hat. Insofern ist das neuseeländische Abschneiden durchaus anständig.

Schade ist es um die beiden südamerikanischen Vertreterinnen. Argentinien hatte zweimal unentschieden gespielt und gegen die Top-Elf aus England nur 0:1 verloren, hätte es also allemal (und mehr als andere) verdient weiterzukommen. Schließlich hatte man auch die einzigen europäischen Teilnehmerinnen, die zurecht nicht weiterkamen, die biederen Schottinnen nämlich, gut in Schach gehalten. Statt Schottland, deren Qualifikation mir ein Rätsel ist, hätten (leider gescheiterte) europäische Qualitäts-Teams wie die Frauen aus Belgien, Dänemark oder auch Österreich diesem Turnier mehr Substanz gegeben.

Dass Chile draußen ist, damit war zu rechnen, es tut nur weh, die vielleicht beste Torfrau der Welt, die umwerfende Christiane Endler nicht mehr sehen zu dürfen. Schlussendlich war ein verschossener Elfer im letzten, zu wenig hoch gewonnenen Spiel Schuld.

Achtelfinale

22.6., 17.30 Uhr in Grenoble: Deutschland - Nigeria

22.6., 21.00 Uhr in Nizza: Norwegen - Australien

23.6., 17.30 Uhr in Valenciennes: England - Kamerun

23.6., 21.00 Uhr in Le Havre: Frankreich - Brasilien

24.6., 18.00 Uhr in Reims: USA - Spanien

24.6., 21.00 Uhr in Paris: Schweden - Kanada

25.6., 18.00 Uhr in Montpellier: Italien - China

25.6., 21.00 Uhr in Rennes: Niederlande - Japan

Im Achtelfinale kommt es nun zu vier oder fünf recht offenen Duellen und zu drei Partien mit ganz klaren Favoritinnen.

Deutschland bzw. England, die Gewinnerinnen der schon erwähnten, vom Turnierbaum bevorzugten Gruppen B und D, bekommen es mit Nigeria bzw. Kamerun zu tun. Und im Gegensatz zu den Männern sind die afrikanischen Frauen-Teams doch noch einen größeren Schritt hinter der Spitzenklasse zurück. Beide werden durchaus anständig mithalten können - echte Chancen weiterzukommen haben sie aber nicht. Auch wenn die Begegnung Deutschland vs. Nigeria ein Treppenwitz der Geschichte ist: die Neuauflage des Finals der U20-WM von 2014, wo auf deutscher Seite Däbritz, Dallmann und die damalige Kapitänin Magull schon dabei waren. Bei Nigeria sind es mit Torschützenkönigin und Turnier-MVP Oshoala, Ayinde und Kanu auch nur drei.

Während die drei afrikanischen Vertreterinnen achtbare Auftritte hinlegten und eine Steigerung erkennen ließen, geht es für den asiatischen Frauenfußball steil bergab. Und das ist eine ganz traurige Entwicklung: denn die beiden Achtelfinalistinnen Japan und China waren früher Weltmächte. Die Chinesinnen waren Pionierinnen, richteten die erste inoffizielle und die erste offizielle WM aus, waren 1993 in den Top 4 und 1997 Finalistinnen, 2003 noch Gruppensieger, ehe es dann bergab ging. Japan war 2011 (direkt nach Fukushima) Weltmeisterinnen und 2015 noch im Finale.

Aktuell sind beide Teams nicht konkurrenzfähig. Im Fall der Japanerinnen liegt das an einem schlecht gestalteten Umbruch - zu lange wurden die überalterten Star-Spielerinnen nicht nachbesetzt - und der nicht gelungenen Heranführung des erfolgreichen Nachwuchses: Japan ist regierender Juniorinnen-Weltmeister. Bis dato waren sie drei Spiele lang irgendwie gar nicht auf dem Platz. Gegen die energiestrotzenden Niederländerinnen werden sie ebenso wie gegen England keine Möglichkeiten finden. Außerdem sind nur zwei der Kaderspielerinnen in guten Ligen tätig.

Stimmung und Publikums-Zuspruch im Land des Champions-League-Siegers der Frauen: bislang sehr gut.

Über die Schattenseiten (unequal pay, fehlender Zuspruch in der heimischen Liga etc) im Frauen-Fussball wird am Dienstag 21:00 bei FM4 Auf Laut diskutiert.

Die schwache Liga ist auch das Problem der Chinesinnen, die bis auf Angreiferin Wang (die mit der zackigen Frisur, spielt bei PSG in Frankreich) alle daheim in der nicht konkurrenzfähigen Liga tätig sind. Und ja, das ist mittlerweile - wie bei den Männern - ein zentrales Kriterium. Nur wer in den USA, Deutschland, Frankreich, England oder Spanien, Italien, Schweden oder Norwegen spielt, kann sich weiterentwickeln. Und da steht sich China mit seiner Isolations-Politik massiv selbst im Weg. Die Vorstellungen gegen Deutschland und Spanien waren destruktiv, kein Wunder, dass der Coach nach dem Schlusspfiff weinen musste.

Chinas einzige Chance ist die Tatsache, dass sie gegen die Höhenfliegerinnen aus Italien zu spielen kommen, die womöglich von ihren unerwartet guten Leistungen so trunken sind, dass sie einen Selbstfaller produzieren. Und der wäre nach der Leistungskurve möglich. Denn der unerwartete Auftakt-Sieg gegen Australien war, mit Verlaub, ein wenig vom Glück begünstigt - die Niederlage gegen Brasilien im letzten Match verdient.

Brasilien, der ewige unerfüllte Co-Favorit bei den Frauen, kam trotzdem nur auf Platz 3 in der Gruppe und muss deshalb gegen die Frauen des Veranstalterlandes, die Französinnen, antreten. Das wird ein spannendes Duell zwischen Gastgeberinnen, denen bislang glücksmarieartig alles in den Schoß fiel, und dem Team rund um die Altstars Marta, Formiga und Christiane, die personifizierten Pechmarien. Marta, die größte Persönlichkeit des globalen Frauen-Fußballs, hat zwar den All-Time-WM-Torrekord (17 Treffer, turnierübergreifend) geknackt - mit ihrer Mannschaft wird sie nicht sehr weit kommen.

Den Text gibt’s auch zum Anhören als Podcast.

Blumenaus Fußball-Journal 220619

Dann gibt es witzigerweise zwei Duelle zwischen den vier bislang zurückhaltendsten Frauschaften, zweimal alte skandinavische Power (mit Schweden und Norwegen, den Neo-Olympiasiegerinnen und Alt-Weltmeisterinnen) gegen alte Außenstellen der britischen Krone (Australien sowie Kanada). Die Schwedinnen haben sich ebenso wie die Norwegerinnen bisher durchgemogelt, ohne zu zeigen, wer sie sind und was sie können.

Im Gegensatz dazu waren sowohl die Matildas (was für ein schöner Spitzname) und auch die Kanadierinnen (im Match gegen Holland) Akteurinnen bei bemerkenswerten Matches - die aber dennoch keinen Rückschluss auf ihr tatsächliches Potenzial geboten haben. Nun müssen diese vier Gruppen-Zweiten in den direkten Duellen ihre Karten offenlegen.

Bleibt noch ein Achtelfinale, das der Top-Favoritinnen gegen die dark horses, den Top-Außenseiter, USA gegen Spanien. Ich hab das hier schon erwähnt: Spanien hätte klug daran getan, das letzte Gruppenspiel gegen China zu verlieren, um das Achtelfinal-Aus gegen die USA zu vermeiden und stattdessen in die andere, leichtere Tableau-Hälfte zu kommen. Haben sie nicht gemacht, und so haben sie nach drei qualvollen Spielen jetzt den Scherben auf. Das ist deshalb so schade, weil die Spanierinnen das up-and-coming Team Europas sind - seit 2014 stehen sie jedes Jahr im U19-Finale, haben die beiden letzten Titel gewonnen.

Was fehlt, ist die strategische Cleverness, wie im Gruppenspiel gegen das schlauere deutsche Team. Weshalb es wieder ein Ausbildungsturnier für die künftige Weltmacht sein wird. Denn gegen die USA in der aktuellen Form ist kein Kraut gewachsen: Da ist alles top, von Torfrau Naeher über Becky Sauerbrunn (die doch wohl burgenländische Vorfahren haben wird), Lindsay Horan oder Grauschopf Rapinoe bis hin zu Alex Morgan. Da kommt die 36-jährige Carli Llyod von der Bank und überläuft alle.

Aufhalten kann sie nur die asymmetrische Turnier-Setzung. In der einen Hälfte treffen die Siegerinnen der Gruppen A, D und F, also presumptive die Hosts Frankreich, Co-Favorit England und Top-Fav USA aufeinander. In der anderen der Rest, also Deutschland und wer sich halt in den offenen Gruppen C und E durchsetzt. Weil in C auch noch Brasilien gescheitert ist, kommen die auch noch in die USA-Hälfte.

Deutschland steht aktuell eigentlich nur noch die flamboyanten Niederlande im Weg zum Finale, während in der „oberen“ Hälfte Frankreich und dann wohl England es den USA schwermachen werden. So richtig fair ist das nicht. Aber bekanntlich richtet sich ein großes Turnier eh nie nach der Papierform.

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